Verschleiertes Model - jes or no?
Gestern erst war es wieder so weit: Weißer Mittwoch! Der Tag, an dem Frauen im Iran, Junge wie Alte, ein Zeichen setzen, unter Einsatz ihres Lebens: Sie ziehen ihren weißen (oder auch schwarzen) Schleier aus, auf der Straße, auf öffentlichen Plätzen. Dann knoten sie das Kopftuch an einen Stock und schwenken ihn wie eine Fahne zum Protest. Gegen die Zwangsverschleierung.
Auch in Deutschland ging es gestern mal wieder um das Kopftuch: Dank der neuen Werbekampagne des deutschen Traditions-Unternehmens "Katjes". Eines von drei Motiven der neuen Kampagne zeigt ein islamistisch verschleiertes Model, das lässig in die Kamera blickt und dabei Katjes mampft. Die sind nämlich, erfahren wir, nicht nur lecker, sondern auch "veggie", sprich: "halal". Und damit laut islamischem Recht "erlaubt“. Keine Gelatine und, klar, auch kein Schweinefleisch. Da darf der lässige Hashtag nicht fehlen: #achtemaldrauf.
https://www.youtube.com/watch?v=v1j4sSl7Gog
Seit das Video veröffentlicht wurde, tobt die Debatte im Netz - bis hin zu Boykottaufrufen. Bei Katjes kann man den Aufruhr nicht verstehen. Das 1950 in Emmerich am Rhein gegründete Unternehmen veröffentlichte inzwischen eine Stellungnahme auf seiner Facebook-Seite:
„Mit der neuen Kampagne wollen wir insbesondere junge Frauen ansprechen, die Spaß am Leben haben und sich dabei bewusst ernähren. Dazu zählen auch junge Muslimas, bei denen der Verzicht auf tierische Gelatine eine bedeutende Rolle spielt. Mit Katjes geht Naschen ganz einfach rein vegetarisch. Wir haben uns bewusst für drei sehr unterschiedliche starke Frauen entschieden, die als Kampagnengesichter stellvertretend für die Vielfältigkeit unserer Zielgruppe stehen und aus unserer Sicht perfekt zur Marke passen.“
Liebe Werbeabteilung von Katjes,
#achtemaldrauf: Die große Mehrheit der in Deutschland lebenden Frauen mit muslimischem Hintergrund (ja, auch der gläubigen Musliminnen) ist unverschleiert und isst einfach das, worauf sie Lust hat. Mit eurer Kampagne manifestiert ihr also ein Bild, das an der Realität eurer „Zielgruppe“ völlig vorbeigeht und zur Normalisierung eines reaktionär-fundamentalistischen Frauenbildes beiträgt. Auf Kosten der Frauen. Denn ...
#achtemaldrauf: Liberale Muslime und Musliminnen werden nicht müde zu erklären, dass das Kopftuch „nicht normal, sondern antifeministisch“ ist, wie auch Seyran Ateş, Gründerin der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee, es zum Beispiel kürzlich erst formulierte. Es teilt die Frauen in „‘gute‘ und ‚schlechte‘ auf“.
#achtemaldrauf: Nicht nur im Iran, sondern auch in Nordafrika und im arabischen Raum wehren sich Frauen massiv gegen den expliziten oder impliziten Kopftuchzwang – mindestens auf Kosten ihrer gesellschaftlichen Reputation, teilweise sogar unter Einsatz ihres Lebens. Der deutsch-algerische Islamwissenschaftler und Buchautor Abdel-Hakim Ourghi („Reform des Islam: 40 Thesen“) nennt die Katjes-Werbung deswegen „einen Skandal“: „Hier wird im Namen der wirtschaftlichen Interessen mit einem Unterdrückungssymbol der Frauen Geld verdient. Wenn es um Profit geht, scheint es eine Selbstverständlichkeit, dass die humanistischen Werte einfach aufgegeben werden. Solche Werbungen im Westen sind ein inakzeptabler Verrat an muslimischen Frauen im Iran und in anderen Ländern, die von ihrer Freiheit nur träumen können!“
#achtemaldrauf: Dieses Schweinchen-Rosa nervt (jes, total!).
Mit der Kampagne liegt die Fruchtgummi-Firma leider im Trend. Vor rund drei Jahren löste H&M mit einem Model im Hidschab vergleichbare Proteste aus. Ähnlich verlief das kürzlich mit der streng verschleierten Barbie. Und sogar Emojis gibt es inzwischen mit Hidschab.
Was kommt als nächstes?