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„Le Clit“: Die große Unbekannte!

Das Klitoris-Graffiti an der Wasserwerkstraße. Fotos: Conradin Zellweger
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Wir wittern Gefahr! Denn in Zürich treibt ein Phantom, vermutlich eine Phantomin, ihr Unwesen! Ihr Gesicht, ihr Name - unbekannt! Aber sie hinterlässt eindeutige Spuren mit dem Slogan: „Le Clit“. Die Klitoris.

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Bislang sah man auch in Zürich eher wenig ansehnliche Penis-Graffitis. Aber seit einigen Tagen prangt da eine überdimensionale Klitoris an einer Wand auf der Wiese nahe der Zürcher Gemeinschaftszentren. Das berichtet das Zürcher Online-Stadtmagazin Tsüri.ch – und freut sich: „Dieses Klitoris-Graffiti war überfällig!“ 

Und siehe da: Ein paar Meter weiter, an der Zürcher Wasserwerkstraße, noch so eine Klitoris.

Wer ist bloß die Sprayerin, die diese Graffitis anfertigt? Sie ist eine Unbekannte. Wie passend. Das hat sie schließlich in vielerlei Hinsicht mit ihrem Motiv gemein.

Bei EMMA mehr über die Klitoris erfahren.
Den ganzen Artikel bei Tsüri.ch lesen.

 

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Alice Schwarzer schreibt

Die Klitoris

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Manche kennen sie gar nicht. Für viele ist sie nur ein „Knopf“, oder, neckischer, eine „Perle“. 25 Prozent aller in Frankreich befragten 15-jährigen Mädchen hatten noch nie von ihr gehört, 83 Prozent wissen nicht, welche Funktion sie hat.

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Hier ist die Rede von der Klitoris, dem weiblichen Sexualorgan und morphologischen Pendant zum männlichen Penis. Die Klitoris hat ein ähnliches Ausmaß und die gleiche Beschaffenheit wie der Penis, bzw. ihr Gesamtvolumen ist sogar größer. Sie versteift sich bei sexueller Erregung durch den Blutstau – und entspannt sich nach dem orgastischen Höhepunkt. Der entscheidende Unterschied zwischen Klitoris und Penis: Der männliche Penis liegt zu etwa zwei Dritteln außerhalb des Körpers, die weibliche Klitoris liegt zu über 90 Prozent innerhalb des Körpers.

Die Französin Odile Fillod hat die Klitoris jetzt sichtbar gemacht. Die Ingenieurin und Wissenschaftssoziologin konstruierte eine Klitoris in Originalgröße, acht bis zehn Zentimeter lang. JedeR, die oder der einen 3D-Drucker zur Verfügung hat, kann sie nun plastisch ausdrucken. Seit Mai 2016 steht die Anleitung zum Ausdrucken online, steht also weltweit zur Verfügung. Seit September 2016 sind die Klitoris-Plastiken im Einsatz in französischen Schulen, sofern engagierte LehrerInnen sie ausdrucken und im Biologie-Unterricht verwenden. „Abgesehen vom praktischen Erkenntnisinteresse“, sagt Odile Fillod, „ist es natürlich auch von hohem symbolischem Wert zu begreifen, dass Frauen ein Sexualorgan haben, das ganz ähnlich funktioniert wie der Penis“. 

Als sie ein Lehrvideo für die vom Bildungsministerium geförderte feministische Plattform matilda.education für den Sexualkundeunterricht drehte, fiel Fillod auf, dass es entweder gar keine oder nur unangemessene Darstellungen des weiblichen Sexualorgans gab. Sie entschloss sich, zu handeln.

Die Naturwissenschaftlerin entdeckte, dass Künstlerinnen bereits in den vergangenen Jahren Klitoris-Modelle gefertigt hatten. Nun ging es jedoch um eine möglichst originalgetreue, quasi klinische Abbildung. Mit Hilfe einer Fotografin erarbeitete sie eine naturgetreue Darstellung der Klitoris und setzte das Ganze in einem so genannten Fablab (= Fabrication Laboratory, ein mit modernster Technik ausgestattetes öffentliches Labor) in eine dreidimensionale Plastik um.

Am 2. April 2016 war es soweit, die erste 3D-Klitoris wurde gedruckt. Und nur ein halbes Jahr später stand die plastische Klitoris online auf der Website des Fablab und auf der Plattform „SVT Égalité“, einem Wissenschafts-Portal, das LehrerInnen antisexistisches Unterrichtsmaterial zur Verfügung stellt.  

Die (Wieder)Entdeckerinnen der Klitoris im 20. Jahrhundert waren die amerikanische Sexualforscherin Mary Jane Sherfey und die australische Urologin Helen O’Connell. Sherfey hatte 1966 das Buch „Die Potenz der Frau“ veröffentlicht. Das beeindruckte Feministinnen tief und schockierte Wissenschaftler. Die Psychiaterin und Kinsey-Schülerin erinnerte in ihrem Buch daran, dass der menschliche Embryo ursprünglich weiblich ist und sich erst in der fünften Woche in „männlich“ oder „weiblich“ differenziert (so manches Mal passiert das allerdings nicht eindeutig). 

Das „klitorale System“ sei homolog zum Penis, schrieb Sherfey, jedoch raumgreifender als er. Und überhaupt: Am ­Anfang war das Weib! Sherfey: „Embryo­logisch gesehen ist es durchaus richtig, im Penis eine wuchernde Klitoris zu sehen, im Skrotum eine übertrieben große Schamlippe, in der weiblichen Libido die ursprüngliche. Die moderne Embryologie müsste für alle Säugetiere den Adam-und-Eva-Mythos umkehren.“

Da kam Übermut auf in der Frauen­bewegung – und Missmut in der Männerwissenschaft. Ausgerechnet – bzw. gerade! – in den Jahren der „sexuellen Revolution“ wurden Sherfeys Forschungen entweder ignoriert oder bekämpft. Aber die ­Erkenntnisse ließen sich nicht mehr ungeschehen machen. Sherfey beeinflusste alle über Sexualität schreibenden Feministinnen (darunter sowohl die Amerikanerinnen wie auch mich und meinen 1975 erschienenen „Kleinen Unterschied“).

32 Jahre nach Sherfey veröffentlichte die australische Urologin Helen O’Con­nell ihre Studie „Anatomy of the Clitoris“ und lieferte damit den handfesten Beweis für Sherfeys Thesen. O’Connell hatte zehn Frauenleichen seziert und fotografiert. Sie kam zu dem Schluss, dass das klitorale System mindestens doppelt so umfassend sei wie bisher in gängigen Anatomiebüchern beschrieben. Die Medizinerin: „Der Schwellkörper ist sogar voluminöser als beim Mann.“ Ohne dieses Wissen wäre übrigens die operative Rekonstruktion genitalverstümmelter Frauen nicht denkbar.

Wie sie genau aussieht, die überwiegend innerhalb des weiblichen Körpers verborgene Klitoris, das können also von nun an nicht nur die französischen SchülerInnen sehen. Fillods Modell muss nicht auf den Sexualkundeunterricht beschränkt bleiben. Es könnte qua plastische Anschauung das Sexualleben von Millionen beeinflussen. Auf das Positivste.

Denn was lernen wir daraus? Wo sie rein körperlich angesiedelt ist, die weib­liche Lust. Und wie sie beeinflusst, beflügelt werden kann, die weibliche Lust. Nicht angesiedelt ist die Lust im „Schlitz“ bzw. der „Scheide“, also in der Vagina. Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass ein klitoraler Schwellkörper via Scheidewand bei der Penetration touchiert wird, aber eher unwahrscheinlich. Das Zentrum der körperlichen Lust ist die Klitoris, die muss stimuliert werden, wenn es was werden soll mit der Lust.

Allerdings: Eine direkte Stimulierung des empfindsamen Klitoriskopfes kann rasch zu viel sein, es geht eher um indirekte Stimulierung der Schwellkörper. Und Voraussetzung ist gerade bei Frauen die psychische Lust. Frauen funktionieren, das belegen alle Studien, in der Regel weniger mechanisch als Männer. Wobei auch deren reine Erektion noch nichts aussagt über ihre tatsächliche Lust. Das muss bei Männern nicht identisch sein.

Warum aber ist ein genaues Wissen über die Klitoris eigentlich grundsätzlich so bedeutend? Erstens ganz einfach, damit auch Frauen zu ihrer Lust kommen. Dazu muss zweitens der Mythos vom „vaginalen Orgasmus“ entlarvt werden. Was wiederum drittens die Dominanz des Penis bzw. ihres Trägers erschüttert. Die Phalluskultur, die uns seit Jahrhunderten, ja Jahrtausenden allerorten entgegenschlägt und in zahlreichen Brunnen entgegensprudelt, ist eben nur die Hälfte der Wahrheit. Die andere Hälfte ist: Frauen müssen nicht passives Objekt, sie können aktives Subjekt ihrer eigenen Lust sein.

In Wahrheit ahnten Frauen das schon immer. Bei der Masturbation stimulieren sie sich fast ausschließlich klitoral. In der sexuellen Kommunikation mit Männern aber haben sie sich einreden lassen, dass der Sex ohne Koitus kein richtiger Sex sei; maximal ein kleines Vorspiel – und dann geht’s zur eigentlichen Sache. 

Doch in der Vagina spielt sich nicht viel ab. Sie hat so viele Nerven wie der Dickdarm, nämlich fast keine. Wie unempfindlich die Vagina ist, zeigt zum Beispiel auch die Tatsache, dass Frauen beim Tragen eines Tampons nicht gerade im Zustand der permanenten Erregung sind. Die Klitoris aber hat über 8.000 Nerven.

Und übrigens: Mit der Kenntnis der Bedeutung der Klitoris würde sich auch das Verhütungsproblem weitgehend lösen. Denn die Penetration ist zwar unerlässlich zum Zeugen von Kindern, nicht aber ­unerlässlich zum Erzeugen von Lust. Menschen – ob Frauen und Männer oder Frauen und Frauen – können auch ohne Penetration Lust miteinander haben.

Es geht bei der Relativierung der Bedeutung des Koitus also um noch viel mehr als „nur“ um die Lust der Frauen: Es geht um die Erschütterung des Sexmonopols von Männern über Frauen – und damit um die Erschütterung des Liebesmonopols von Männern über Frauen. Denn Lust & Liebe, die sind ja für die meisten Frauen unlösbar miteinander verknüpft.

Das war meine zentrale These in dem 1975 erschienenen „Kleinen Unterschied“. Damals war die Aufregung darüber groß. Denn Millionen Frauen fühlten sich verstanden. Endlich. Dass der Zustand, den wir bis heute als „Frigidität“ bei Frauen bezeichnen, neuerdings wieder steigt, ist alarmierend. Denn er ist entweder den lustlosen Lebensumständen zu verdanken oder der Ignoranz des weib­lichen Körpers. Beides geht meist Hand in Hand.

Dabei wussten wir schon mal mehr. In seinem Buch „Auf den Leib geschrieben – Die Inszenierung der Geschlechter von der Antike bis Freud“ berichtet der Historiker Thomas Laqueur von der Uni Berkeley, dass schon der berühmteste Arzt der Antike, der Grieche Claudius Galenus (ca. 129–199 n.Chr.), geschrieben hatte: „Alle Teile, welche Männer haben, haben auch Frauen. Wobei es nur einen Unterschied gibt, nämlich dass die Teile bei Frauen innen liegen, wohingegen sie bei Männern außen sind.“ Und das war vor fast zweitausend Jahren.

Wie aber konnte dieses Wissen so komplett wieder verloren gehen? Zunächst blieb es über die Jahrhunderte erhalten, in denen man von einem „Ein-Geschlecht-Modell“ ausging, also der körperlichen Gleichheit der Sexualorgane von Frauen und Männern. Erst als im 18. Jahrhundert die Frauen begannen, unbequem zu werden und gleiche Rechte forderten, behaupteten Anatomen plötzlich, die Frauen seien das ganz andere Geschlecht. Schwangerschaft und Menstruation wurden nun als „Krankheit“ definiert, die Frauen daran hindere, eine vollwertige, aktive Rolle in der Gesellschaft zu spielen. Ihre „mütterlichen Pflichten“ kamen erschwerend hinzu.

Der berühmte französische Philosoph der Aufklärung, Voltaire, ging so weit zu behaupten: „In ihrer Physis ist die Frau aufgrund ihrer Physiologie schwächer als der Mann. Der regelmäßige Austritt von Blut, der Frauen entkräftet, und die Leiden, die aus ihrer Unterdrückung resultieren, die Dauer der Schwangerschaft, die Notwendigkeit, Säuglinge zu stillen und diese zu versorgen, die Zartheit weiblicher Glieder, machen sie ungeeignet für jeg­liche Art der Arbeit oder Beschäftigung, die Kraft oder Ausdauer erfordert.“

Wir sehen, hier wird immerhin der Faktor „Unterdrückung“ benannt, aber „Natur“ und Kultur werden vermischt. Voltaire spricht im selben Atemzug von der biologischen „Physiologie“ der Frau und ihrer sozialen „Unterdrückung“. 

Die 1789er-Revolutionäre gingen noch einen Schritt weiter: Ihnen lieferte der angeblich fundamentale körperliche Unterschied zwischen den Geschlechtern die Berechtigung, Frauen nicht teilhaben zu lassen an dem Recht aller Menschen auf die „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ – aller, außer den Schwestern. Der Trick, die Frauen aus den allgemeinen Menschenrechten rauszuhalten, war eben deren angebliche „Andersartigkeit“. Frauen wie Olympe de Gouges, die das nicht hinnehmen wollten und öffentlich die „Menschenrechte für Frauen“ forderten, landeten auf dem Schafott. Geköpft von der Revolution der Brüder.

So war es auch kein Zufall, dass der deutsche Anatom Georg Ludwig Kobelt im Jahr 1844 eine Studie veröffentlichte, die belegte, „dass die Frau eine Struktur besitze, die in all ihren Einzelteilen ganz und gar dem Mann entspricht“. Es sind die Jahre der 1848er Revolution, in der auch Frauen an vorderster Front kämpfen – und wieder die Forderung nach Gleichheit im Raum steht. Ein Mann wie Kobelt ist an ihrer Seite. Vergeblich. Von ihren Mitkämpfern enttäuschte 48er-Revolutionärinnen, wie Franziska Anneke, wurden später die Pionierinnen der Ersten Frauenbewegung.

Und es war auch kein Zufall, dass Sigmund Freud ausgerechnet auf dem Höhepunkt dieser Ersten Frauenbewegung Anfang des 20. Jahrhunderts der Klitoris erneut den Todesstoß versetzte. In seinen „Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie“ schrieb der Vater der Psychoanalyse – wider besseres Wissen? –, dass die Klitoris nur „wie ein Span Kienholz dazu benützt werden kann, das härtere Brennholz in Brand zu setzen“. Spricht die Vagina. Der Mythos von der „unreifen“ klitoralen Lust und der „reifen“ vaginalen Lust war geboren. Und er prägte das Sexualleben der Geschlechter bis heute. Denn Ideologie kann stärker sein als Realität.

Nach Freud vergingen wieder 60 Jahre, bis Feministinnen sein Diktum erneut erschütterten. Doch seit den frauenbewussten, aufgeklärten 1970er-Jahren wurde das Wissen um die weibliche Lust erneut verschüttet, überschattet von der allgegenwärtigen Rammel-Pornografie. So ergab zum Beispiel im Jahr 2000 die ­Recherche von Rebecca Chalker, Autorin von „Klitoris – die unbekannte Schöne“, dass in der US-Nationalbibliothek für Medizin 78 Artikel zur Klitoris stehen – und 1.611 zum Penis. 

In Zeiten, in denen wieder einmal der Krieg der Geschlechter auf dem Schlachtfeld des weiblichen Körpers ausgetragen wird, in der Epoche zwischen Entblößung und Verschleierung, erinnern Feministinnen sich nicht zufällig an die Sichtbarkeit und die Selbstbestimmung der weiblichen Lust.

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