Beängstigende Zeit - aber für wen?
„Hi, ich habe ein Lied geschrieben und das geht so“, sagt die junge blonde Frau im grünen Top lächelnd in die Kamera, bevor sie zu singen beginnt. Ihren Gesang begleitet sie selbst auf einer Ukulele.
„Ich kann nicht in den Club gehen, um einfach nur mit meinen Freunden zu tanzen/ Ich kann nach 19 Uhr keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr benutzen/ Ich kann mein Fenster nicht öffnen, wenn ich alleine zuhause bin/ Ich kann nicht ohne Aufpasser in eine Bar gehen/ Ich kann meinen Drink niemals unbeaufsichtigt lassen.“
Am 7. Oktober postet die bis dato unbekannte junge Sängerin und Tanz-Dozentin an der Texas State University ihren Song „A Scary Time“ zeitgleich auf Youtube und Facebook. Innerhalb kürzester Zeit wird das Lied zum Internet-Hit. Heute hat der Song bereits mehr als eine Million Klicks auf Youtube, über sechs Millionen auf Facebook, er wurde über 100.000 Mal geteilt und weltweit in den Medien besprochen.
Lynzys Lied ist eine Reaktion auf Donald Trumps Spruch: „It's a very scary time for young men in America“. Anlässlich der Causa Kavanaugh hatte der Pussy-Grabber-Präsident vor Journalisten erklärt: „Es ist eine sehr beängstigende Zeit für junge Männer in Amerika. Man wird für schuldig gehalten wegen einer Tat, die man möglicherweise nicht begangen hat.“
Lynzy Lab Stewart entgegnet mit beißendem Spott: „Ja, es ist eine beängstigende Zeit für Männer/ Sie können nicht mit Frauen sprechen oder ihnen in die Augen sehen/ Es ist so verwirrend und man weiß nicht: Ist es eine Vergewaltigung oder nur Nettsein/ Es ist so lästig, dass man gründlich darüber nachdenken muss“.
https://www.youtube.com/watch?v=N34hehRgw9g
Ganz direkt geht Lynzy Lab in ihrem Song auf den Fall Kavanaugh ein. Der ist inzwischen vereidigter Richter am Supreme Court, dem Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten. Und die Frau, die ihn der versuchten Vergewaltigung beschuldigte und mutig öffentlich dazu aussagte? Die Psychologie-Professorin Christine Blasey Ford kann nicht mehr zu sich nach Hause gehen, weil sie mit Gewalt- und Morddrohungen überhäuft wird. Sie steht unter Personenschutz.
„Ich kann nicht Anklage erheben gegen denjenigen, der mich vor 35 Jahren vergewaltigt hat/ Ich werde nicht ernst genommen, auch wenn ich beim Sprechen meine Tränen zurückhalten muss“, singt Lynzy Lab.
Die Tänzerin, ehemaliges Mitglied der Houston Metropolitan Dance Company, die auch ein Tanzstück zu #MeToo choreografierte, gibt unzähligen Frauen eine Stimme: Nicht nur all jenen, die Opfer sexualisierter Gewalt geworden sind. Sondern auch all jenen, denen „es“ zwar noch nicht passiert ist, die die Angst davor aber als selbstverständlichen Teil ihres Lebens nur zu gut kennen.
Dass ihr Lied millionenfach geklickt wurde, katapultierte Lynzy Lab auch in die analogen Medien: Am 11. Oktober, dem Internationalen Mädchentag, lud Jimmy Kimmel die junge Künstlerin in seine Late Night Show, wo sie ihren Song präsentieren konnte.
Aber die junge Feministin belässt es nicht bei ihrer Bestandsaufnahme. Sie fordert ihre Hörerinnen auf, den Trumps und Kavanaughs bei den Kongresswahlen am 6. November einen Denkzettel zu erteilen: „Es ist an der Zeit für die Frauen, sich zu erheben/ unsere kollektive Stimme zu nutzen/ Wahltag ist am 6. November/ Lasst uns hingehen und Krach machen“.