70 Jahre "Das andere Geschlecht"
13. Oktober 2018. Vorne, am Pult des Amphitheaters der Pariser Fakultät Diderot sitzt Sylvie Le Bon de Beauvoir. Die Adoptivtochter von Beauvoir ist seit deren Tod 1986 für die Pflege und Herausgabe ihres Werkes zuständig. Sie ist eine der letzten, die zum Abschluss dieser dreitägigen Konferenz mit ihren dreißig Referaten und Podien von ExpertInnen aus der ganzen Welt spricht. Penser avec Simone de Beauvoir aujourd’hui (Mit Simone de Beauvoir heute denken) lautet der Titel des internationalen Symposiums.
Es ist der Moment. Beauvoirs Theorie von der, bei aller Unterschiedlichkeit, grundsätzlichen Gleichheit der Menschen, also der Universalismus, ist heute notwendiger denn je – aber auch bedrohter denn je.
Das Denken des so genannten Differenzialismus und Intersektionalismus spaltet die Menschen in x Identitäten auf und bedroht das universalistische Denken. Das geht in erster Linie vom Gemeinsamen aus und nicht vom Trennenden.
Von diesen aktuellen akademischen Kontroversen ahnen die zahllosen Frauen, die Tag für Tag Blumen, Metrotickets oder Briefe auf dem Grab von Beauvoir auf dem Friedhof Montparnasse niederlegen, nichts („Du hast mein Leben verändert“ – „Du hast mich gerettet“ – „Du hast mir die Augen geöffnet“). Aber an den Universitäten der westlichen Welt herrscht babylonische Verwirrung in Sachen Gender.
In so manchen Genderdebatten wird ständig das Rad neu erfunden – und drohen essenzielle Erkenntnisse verloren zu gehen.
Vor genau 70 Jahren erschien „Das andere Geschlecht“. Beauvoir fasste ihr Credo in dem legendären Satz zusammen: „Man wird nicht als Frau geboren, man wird es.“ Damit war die „Konstruktion“ der Geschlechterrollen in neun Worten erfasst.
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