"Ich bin da. Mein Herz schlägt."
In ihren Memoiren bezeichnete sich Beauvoir als eine „literarische Schriftstellerin“ und behauptete, keine „ideengebende Philosophin“ zu sein. Sie nannte Sartre als den eigentlichen Schöpfer der philosophischen Theorien in „Das andere Geschlecht“ und ihren anderen Arbeiten. Doch Beauvoirs handgeschriebenes Tagebuch aus dem Jahr 1927 erzählt eine ganz andere Geschichte.
In diesem Band, den sie als 19-jährige Philosophiestudentin an der Sorbonne schrieb, definiert Beauvoir bereits einige der zentralen Fragestellungen und Positionen ihrer späteren philosophischen Arbeiten, einschließlich „Das andere Geschlecht“ – und das zwei Jahre, bevor sie Sartre zum ersten Mal begegnete.
1927, das Jahr, in dem Beauvoir die Männerwelten der Philosophie und der Sorbonne betrat, wurde für die Studentin zu einem Jahr der persönlichen Krise und der Veränderung. Hinter sich ließ sie die Jahre an einer katholischen Mädchenschule und die sicheren, aber einengenden Grenzen familiärer Beziehungen; hinter sich ließ sie auch ihre obsessive Liebe zu ihrem zynischen Cousin Jacques. Die zentralen Themen, die sie in diesem Jahr in ihrem Tagebuch reflektiert, sind die inneren Turbulenzen, in die sie durch den Glaubensverlust und den Abbruch familiärer Bindungen geriet, der Kampf gegen die Verzweiflung, die Suche nach sich selbst und der Sehnsucht nach Liebe. In einer frühen Eintragung im Tagebuch schreibt Beauvoir:
„Ich bin intellektuell sehr allein und sehr verloren an der Schwelle meines Lebens, (...) auf der Suche nach einer Richtung. Ich fühle, dass ich etwas wert bin, dass ich etwas zu tun und zu sagen habe (...), doch meine Gedanken laufen ins Leere: In welche Richtung soll ich sie lenken? Wie kann ich diese Einsamkeit durchbrechen? Was kann ich mit meiner Intelligenz erreichen? (...) Jetzt, wo ich über mein Leben entscheiden muss, bin ich tief verzweifelt. Kann ich mich mit dem zufrieden geben, was man Glück nennt? Oder soll ich diesem Absoluten entgegengehen, das mich so anzieht?“
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