Was ist ein Einzeltäter?
Es mag ja sein, dass Brenton Tarrant allein war, als er am Freitag in die beiden Moscheen im neuseeländischen Christchurch stürmte und 50 Menschen erschoss. Doch wer sein Manifest liest, weiß, dass der 28-Jährige viele, sehr viele Brüder im Geiste hat. Und das sind nicht nur die, die der Attentäter selbst nennt: “Ich unterstütze viele, die aufgestanden sind gegen den ethnischen und kulturellen Genozid”, schreibt er.
Zum Beispiel: Dylann Roof, 25, der am 17. Juni 2015 in einer Kirche in Charleston, North Carolina, neun schwarze Menschen erschoss. Oder Anton Lundin Pettersson, der am 22. Oktober 2015 im schwedischen Trollhättan drei Schüler und einen Lehrer erstach. Die Schule, die der damals 21-jährige für seinen Amoklauf auswählte, wurde von vielen MigrantInnen besucht. Und natürlich: Anders Breivik, der am 22. Juli 2011 in Oslo und auf der norwegischen Insel Utoya 77 Menschen erschoss.
Seine Brüder im Geiste: Alle, die den starken Mann wieder herbeisehnen
Er habe “die Schriften von Dylann Roof und vielen anderen gelesen”, erklärt Brenton Tarrant, das Manifest von Breivik jedoch sei für ihn die “wahre Inspiration” gewesen. Und so finden sich die zentralen “Thesen” des Massenmörders Breivik auch in dem Pamphlet des Massenmörders Tarrant. Titel: “The Great Replacement” (Der große Austausch).
Ausgetauscht werden solle die “weiße Rasse” gegen die muslimischen “Invasoren”, die mit ihrer “Masseneinwanderung” und durch ihre “große Fruchtbarkeit unsere Länder übernehmen”. Schuld daran seien “wir selbst, die europäischen Männer. Starke Männer werden nicht ethnisch ausgetauscht, starke Männer lassen ihre Kultur nicht untergehen, starke Männer lassen ihr Volk nicht sterben. Schwache Männer haben uns in diese Lage gebracht und starke Männer werden jetzt gebraucht, um sie wieder in Ordnung zu bringen”. Starke Männer wie Brenton Tarrant, der Arbeitersohn ohne richtige Ausbildung, gern einer gewesen wäre.
Die Lösung: Nachdem die “Invasoren zerstört” seien, müssten die “katastrophal niedrigen Geburtenraten” der westlichen Welt gesteigert werden, und zwar “um jeden Preis”. Und das heißt: Frauen zurück an den Herd! Denn: “Die einzigen Völker, die solche Probleme nicht haben, sind solche mit starken Traditionen und Geschlechternormen.” Es müsse also “eine neue Gesellschaft gebildet werden. Eine Gesellschaft mit einem viel stärkeren Fokus auf familiäre Werte, Geschlechter- und soziale Normen”. Genauso, sogar noch krasser, hatte es auch Breivik formuliert. Auch der wollte “das Patriarchat wiederherstellen”, Frauen müssten wieder “wissen, wo ihr Platz ist”.
Wir haben es also – mal wieder – mit einer fatalen Mischung aus Fremden- und Frauenhass zu tun. Und die ist anschlussfähig. Zum Beispiel bei den Maskulisten, jenen Männerrechtlern, die mit ihrer Mischung aus rechtem und frauenfeindlichen Gedankengut gegen den Verlust ihrer Vorherrschaft schäumen.
Wieder einmal eine fatale Mischung aus Fremden- und Frauenhass
„Was ist aus dem Helden geworden, dem Jäger und Ritter, dem Horizontdurchbrecher und Kontinenteerschließer?“ sorgt sich zum Beispiel Michael Klonovsky, Ex-Focus-Redakteur und heute persönlicher Referent von Alexander Gauland (AfD). „Wo schwindende Völkerschaften Räume frei machen, drängen fruchtbare nach“, erklärt auch Klonovsky, „und es wird faszinierend sein zu beobachten, wie unsere Schwulen, Lesben und Feministinnen zum Selbstbehauptungskampf gegen die muslimischen Machos antreten."
Es geht also nicht nur um Rassismus, sondern im Kern um (junge) Männer, die sich als Männer entwertet fühlen und ihren Hass auf solche Männer richten, die sie für viriler und mächtiger halten als sich selbst. Und um Hass auf Frauen sowieso. Wie die Zehntausenden “Incels” (=involuntarily celibates), diese so genannten „unfreiwillig beziehungslosen Männer“, die der Ansicht sind, dass sie ein “Recht” auf Frauen haben und in ihren Foren ihrem Hass auf Frauen freien Lauf lassen, die ihnen dieses “Recht” vorenthalten. (Und ihrem Hass auf Männer, die sie für attraktiver halten als sich selbst, zum Beispiel arabische.)
Auch bei Brenton Tarrant wird sich vor Gericht demnächst womöglich die Frage stellen, ob man ihn für zurechnungsfähig hält. Im Falle Breivik hatte das Gericht, entgegen einem psychiatrischen Gutachten, eine klare Haltung: „Ich halte es für prinzipiell bedenklich, Verbrecher von Schuldfähigkeit freizusprechen, indem man ihre Gesinnung für krankhaft erklärt“, hatte die Richterin verkündet. In der Tat: Die Gesinnung, die guten alten Verhältnisse wiederherzustellen, ist „normaler“, als wir es uns wünschen können. Denn sie schlummert in Millionen Männern.