EU-Wahl: Die neuen Kreuzritter
Das Städtchen Verona im Norden Italiens ist bisher vor allem für sein Liebesdrama „Romeo und Julia“ bekannt. Seit vergangenem Oktober darf sich Verona aber auch „Stadt des Lebens“ nennen. Seither werden Abtreibungsgegner von der Stadt finanziell unterstützt, und die Kommune engagiert sich „zur Verhinderung der Abtreibung und zur Unterstützung der Mutterschaft“. Den Antrag für dieses Gesetz brachte die rechtsextreme Lega von Matteo Salvini ein.
Im März tummelten sich alle beim „World Congress of Families“ in der Stadt, neben Vertretern der ungarischen und italienischen Regierung sowie dem polnischen Botschafter in Italien auch zahlreiche hochrangige Kirchengegner, militante Abtreibungsgegner und neofaschistische Gruppierungen.
Was in Verona im Kleinen zu beobachten ist, zeigt sich quer durch Europa im Großen. Es ist ein Angriff auf die Errungenschaften, die in den vergangenen Jahrzehnten erkämpft wurden: Das Recht der Frauen, selbst zu entscheiden, ob und wann sie ein Kind bekommen; das Recht von homosexuellen Frauen und Männern auf Anerkennung ihrer Lebensformen; das Recht auf Gleichberechtigung der Geschlechter; das Recht von Kindern, ohne Geschlechterstereotype aufwachsen zu dürfen. Das alles ist nun in Gefahr.
Da wäre zum Beispiel Italien. Schon 2016 forderte die rechtsextreme Lega italienische ÄrztInnen auf, sich in der Abtreibungsfrage von ihrem „religiösen Gewissen leiten“ zu lassen, selbst wenn sie dabei staatliche Gesetze missachten. Mittlerweile weigern sich laut Gesundheitsministerium 70 Prozent der ÄrztInnen in Italien, Abtreibungen durchzuführen. Im konservativen Süden Italiens sind es sogar fast 90 Prozent.
Ein Trend, der nicht nur Italien verändert. Nils Muižnieks, der Menschenrechtsbeauftragte des Europarats, beklagte im Dezember 2017 Rückschritte in Europa bezüglich des legalen Zugangs zu Abtreibungen. Es gäbe immer mehr Staaten, die versuchten, das Recht der Frauen einzuschränken.
Eine „Willkommenskultur für ungeborene Kinder“ fordert auch die rechtspopulistische Alternative für Deutschland (AfD), die den Zugang zu Abtreibungen erschweren möchte. „Auch ungeborene Kinder haben ein Recht auf Leben“, war im AfD-Wahlkampfprogramm 2017 zu lesen. „Wir lehnen alle Bestrebungen ab, die Tötung Ungeborener zu einem Menschenrecht zu erklären.“
In Österreich wiederum behaupten die Freiheitlichen (FPÖ), die seit Winter 2017 in der Regierung sitzen, die Fristenlösung zu akzeptieren, nach der eine Abtreibung während der ersten drei Schwangerschaftsmonate straffrei ist. Die FPÖ nennt aber gleichzeitig die Gebärmutter den „Ort mit der höchsten Sterbewahrscheinlichkeit in unserem Land“, kämpft gegen eine vermeintliche „Abtreibungsindustrie“ und möchte Spätabtreibungen aus medizinischen Gründen verbieten. Die Freiheitlichen fordern, dass ÄrztInnen in privaten Kliniken keine Abtreibungen mehr durchführen dürfen. Sie stimmten aber auch gegen die Möglichkeit, in öffentlichen Krankenhäusern abzutreiben. „Es gibt kein Recht auf Abtreibung“, erklärte die FPÖ-Frauensprecherin Carmen Schimanek vor einigen Jahren, „das ist und bleibt Unrecht“.
Hinter dem rechten Kampf gegen Abtreibung steht auch die Idee, durch eine Erhöhung der Geburtenrate den gefürchteten „Bevölkerungsaustausch“ zu verhindern, wie es die FPÖ formuliert. „Mehr Kinder statt Masseneinwanderung“ lautet auch das Motto der AfD in Deutschland. „Am Ende unseres Mandats wird diese Regierung sich stärker an der Zahl der Neugeborenen messen als an der Verschuldung“, verkündete Italiens Innenminister und Lega-Chef Salvini im August 2018. Wer zwischen 2019 und 2022 ein drittes Kind zur Welt bringt, soll in Italien künftig Ackerland für 20 Jahre pachtfrei bekommen und einen zinslosen Wohnbaukredit dazu.
Auch Ungarn setzt auf die Drei-Kinder-Politik. Weil Familien mit Einkommen ab dem dritten Baby zahlreiche Steuervergünstigungen erhalten, werden die Drittgeborenen bereits scherzhaft „Bonuskinder“ genannt. Wer mehrere Kinder hat, bekommt günstige Wohnbaukredite und sogar den Familien-Van vom Staat subventioniert.
In den Niederlanden wurde eben die smarte rechtspopulistische Partei Forum für Demokratie (FvD) von Thierry Baudet bei den Regionalwahlen stärkste Kraft im Senat. Das FvD lehnt Feminismus ab. Ihr Parteichef erklärte auch einmal im niederländischen Fernsehen, dass Frauen „einen starken Mann“ bräuchten und dass „nein manchmal ja“ bedeute.
Auch in Österreich erhalten berufstätige Eltern ab Januar 2019 pro Kind 1.500 Euro Steuergutschrift. Eine Maßnahme, die vor allem Besserverdiener unterstützt. Ähnliches fordert die AfD für Deutschland.
In Polen war es nicht zuletzt das üppige Kindergeld, das der rechtspopulistischen Prawo i Sprawiedliwoś (PiS) viel Zustimmung speziell in den ländlichen Regionen bescherte. Seit 2016 erhält jede Familie monatlich etwa 100 Euro pro Kind, aber erst ab dem zweiten. Als die PiS-Sprecherin Beata Mazurek in einem Radiointerview gefragt wurde, was sie einer polnischen Alleinerziehenden raten würde, sagte Mazurek: „Ich würde ihr raten, ihre Familiensituation zu stabilisieren und mehr Kinder zu bekommen, damit sie von diesem Kinderbonus profitieren kann.“
Neben der Familienförderung steht eine extrem restriktive Abtreibungsgesetzgebung. So wollte die rechtskatholische Regierungspartei PiS Frauen gesetzlich dazu verpflichten, auch Embryonen mit irreparablen, schwerwiegenden Gesundheitsschäden zur Welt zu bringen. Dies konnte nur durch tagelange Proteste von tausenden Frauen und solidarischen Männern verhindert werden, die im Januar 2018 vor dem Sejm, dem polnischen Parlament, ausharrten. „Ohne legale Abtreibungen werden Frauen sterben“, stand auf ihren Transparenten.
Statt eines totalen Abtreibungsverbots führte das polnische Gesundheitsministerium die Rezeptpflicht für die Pille danach ein. Er habe vier Töchter, erklärte der damalige Gesundheitsminister Konstanty Radziwiłł. Selbst wenn eine von ihnen vergewaltigt würde, bekämen sie von ihm nicht die Pille danach. Stattdessen würde er sie „mit Liebe umgeben“, erklärte der Minister. Um Frauen in Not zu helfen, schlossen sich Ärztinnen und Ärzte als „Lekarze Kobietom“ (Ärzte für Frauen) zusammen. Wer ungewollt schwanger wird, kann diese Ärzte via Facebook kontaktieren und sich so die Pille danach besorgen.
Die PiS hat 2016 ein Gesetz „Für das Leben“ verabschiedet. Frauen, die sich entscheiden, ein Kind mit einer schweren Behinderung oder einer unheilbaren, lebensbedrohlichen Krankheit zur Welt zu bringen, erhalten vom Staat eine einmalige Zahlung von etwa 1.000 Euro.
Seit kurzem verlegte sich die PiS auf ein neues Kampfgebiet: Nun sind es LGBTI-Menschen, die von den polnischen Rechtskonservativen zum Feindbild erklärt wurden, vor dem die Regierung die polnischen Kinder schützen müsse. Auch in Österreich schimpfte der heutige FPÖ-Klubobmann im Parlament, Johann Gudenus, Europa werde von einer „Homosexuellenlobby“ beherrscht, die „unsere Werte und unsere Familie zerstören will“. In Deutschland schafft die AfD den Spagat, eine offen lesbische Parteichefin zu haben und gleichzeitig gegen die „Ehe für alle“ anzukämpfen. Wie das zusammengeht, erläuterte der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke in einem AfD-Positionspapier: Homosexualität sei zwar zu tolerieren, jedoch nur im lateinischen Wortsinn: „Tolerare - ertragen! Aber: Homosexualität ist auf der Grundlage unserer Rechtsnorm nicht zu akzeptieren.“
Besonders erbost es die extremen Rechten, wenn Homosexualität in Schulbüchern als genauso normal wie Heterosexualität dargestellt wird. „Die gesellschaftspolitische Ideologiekeule hat in der Schule und in den Schulbüchern nichts verloren“, schimpft dann nicht nur die FPÖ in Österreich. In Italien forderte die Lega im Juni 2016 in der Provinz Lombardei Eltern sogar zur Denunzierung von „Gender-Ideologie“ auf. Sie sollten angebliche „Indoktrinierungsversuche“ in den Schulen melden.
Seit die rechtsextreme Vox im spanischen Andalusien mitregiert, können dort die Eltern ihre Kinder von Schulworkshops abmelden, in denen eine „Genderideologie“ vermittelt werde. Die Vox-Politikerin Alicia Rubio, eine ehemalige Gymnasiallehrerin, die im Vorstand der Partei sitzt, stellt in ihrem Buch mit dem Titel „Als sie uns verboten, Frauen zu sein … und sie euch verfolgten, weil ihr Männer seid“ einen Zusammenhang zwischen Feminismus, LGBTI, Sterbehilfe und Leihmüttern her.
Im Oktober des Jahres 2018 ließ die ungarische Regierung Gender Studies per Erlass von der Liste der in Ungarn zugelassenen Masterstudien streichen. „Diese Attacken gegen Geschlechtergerechtigkeit und die ganze Anti-Gender-Bewegung sind keine Neuauflage des alten Antifeminismus“, sagt Andrea Pető, die in Budapest den Lehrstuhl für Gender Studies innehatte. „Sie sind ein Angriff auf unsere liberale Gesellschaft und daher auch ein Angriff auf die Demokratie.“
Die Abschaffung von Gender Studies steht auch bei der AfD ganz weit oben auf der Liste. Denn die „Gender-Ideologie“ stehe „im klaren Widerspruch zum Grundgesetz“, schrieb die AfD 2017 in ihrem Wahlprogramm. Auch Frauenquoten lehnt die AfD ab. Dies sei gesellschaftlicher Unsinn, erklärte etwa der AfD-Abgeordnete Detlev Spangenberg im Bundestag, denn die Frauen „müssen es eben einmal mit Arbeit probieren“.
Es wird erwartet, dass die rechtspopulistischen Parteien mit hohem Stimmanteil in das EU-Parlament einziehen werden. Im Interesse der Frauen kann das nicht sein.
Nina Horaczek ist Chefreporterin des Falter.
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