Weiberaufstand bedeutet, auf Abstand zum Vatikan zu gehen. So wie die Redakteurinnen der Frauenzeitschrift Donne Chiesa Mondo (Frauen Kirche Welt). Ende März gaben die elf Journalistinnen bekannt, dass sie kollektiv gekündigt haben. Ihre Publikation gehört zum Osservatore Romano, dem vatikanischen Zentralorgan. Die Kündigung ist Kapitulation und Kampfansage zugleich. Eine „zunehmende männliche Kontrolle“ beklagte Lucetta Scaraffia, die bekannteste Stimme der Redaktion. In einem offenen Brief an Papst Franziskus schreibt sie: „Wir werfen das Handtuch, weil wir uns von einem Klima des Misstrauens und fortschreitender Delegitimierung umgeben fühlen.“
Vor einem Jahr veröffentlichte das Frauen-Magazin einen Schwerpunkt zum Thema „Frauen und Arbeit“, darin eine Geschichte über Ordensfrauen, die für Kleriker die Hausarbeit erledigen – „für Gotteslohn“, wie es im Kirchenjargon heißt. Von „Sklavenarbeit“ spricht hingegen eine anonyme Interviewpartnerin. Jüngst berichtete das Magazin über die systematische sexuelle Gewalt von Priestern gegen Ordensfrauen. Dass es sie gibt, ist nicht neu. Aber wenn ein vatikaneigenes Magazin offen anspricht, dass sich zum Beispiel Geistliche in Afrika aus Angst vor Aids Nonnen halten wie Prostituierte, lässt sich das nicht mehr als Hirngespinst kirchenfeindlicher Medien abtun. Papst Franziskus konnte nicht umhin, in einem Interview am 5. Februar ein „kulturelles Problem“ einzugestehen.
Weiberaufstand bedeutet, in den Ausstand zu treten. Vom 11. bis zum 18. Mai werden Frauen der Initiative „Maria 2.0“ keine Kirche betreten und keinen Dienst tun. Niemand stimmt dann in der Mutter-Kind-Gruppe die Lieder an, richtet Blumengebinde vor der Messe, lädt zum Erzählcafé mit Geflüchteten, begrüßt zum Vortragsabend und überreicht am Ende dem Moraltheologen die Weinflasche.
Die Aktion „Maria 2.0“ haben sich Frauen eines kirchlichen Lesekreises in Münster ausgedacht. Sie sprechen nicht von Streik, weil das zu passiv klingt. „Wir tun ja etwas, aber außerhalb des Kirchenraums“, sagt Lisa Kötter, eine der Initiatorinnen. „Wir reden Klartext und lassen uns nicht mehr sagen, wir Frauen sollten geduldig sein und uns über kleine Fortschritte freuen.“
Die Aktion zieht gerade bundesweit Kreise. Die kleinen Verweigerungen stehen in einem großen Zusammenhang. In der Petition von „Maria 2.0“ im Internet heißt es: „Wir beklagen die vielen bekannten und unbekannten Fälle von Missbrauch und Verletzungen jeglicher Art in der römisch-katholischen Kirche; deren Vertuschung und Verdunkelung durch Amtsträger; das Fehlen glaubhafter Entschuldigungen und echter Hilfe für alle, denen Gewalt angetan wurde. Wir stehen fassungslos, enttäuscht und wütend vor dem Scherbenhaufen unserer Zuneigung und unseres Vertrauens zu unserer Kirche.“ Knapp 5.000 Menschen haben den Aufruf in den ersten Wochen online unterzeichnet. 5.000 von mehr als 23 Millionen registrierten Katholikinnen und Katholiken; 5.000 von Millionen ehrenamtlich Engagierten und über 700.000 bei Kirche und Caritas hauptamtlich Beschäftigten. Es könnten mehr sein, wenn es weniger Angst gäbe.
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der Münchner Erzbischof Kardinal Reinhard Marx, möchte sich auf Anfrage von EMMA nicht zum Frauen-Ausstand äußern, sein Sprecher verweist auf Münster. Dort erklärt Pressesprecherin Anke Lucht im Namen des Bistums: „Die Meinung, dass Kirche neu über die Rolle von Frauen nachdenken und dringend ,weiblicher‘ werden muss, teilen wir. Gruppen, die sich für das wichtige Ziel einer stärkeren Beteiligung von Frauen in der Kirche einsetzen, können natürlich frei entscheiden, mit welchen Ausdrucksformen sie das tun.“
Weiberaufstand heißt: aufstehen, rausgehen, protestieren. Als am 11. März die deutschen Bischöfe in Lingen ihre Frühjahrs-Vollversammlung eröffneten, standen vor der Kirche 300 Demonstrantinnen. Mitglieder der katholischen Frauengemeinschaft kfD leuchteten mit Taschenlampen gegen die Kirchenmauer. Viele waren still, manche laut. „Frauen in alle Weihe-Ämter“ stand auf Transparenten und „Keine Ämter für Täter“. Die meisten Bischöfe wichen den Blicken der Protestierenden aus, manche lächelten auch verlegen – oder überlegen. Franz-Josef Bode, als Bischof von Osnabrück Gastgeber des Treffens, ging auf die Gruppe zu. Die kfd überreichte eine Liste mit 30.000 Unterschriften für eine Erneuerung der Kirche. Bode ist auch zuständig für die Unterkommission „Frau in der Kirche“.
Im Mai feiern katholische Gläubige die Jungfrau Maria. Das Empfangende entspreche dem weiblichen Wesen, behaupten Päpste.
Doch die Journalistinnen in Rom haben ihren Dienstposten verlassen. „Maria 2.0“ widerspricht der Stimme der Herren und die Demonstrantinnen von Lingen schlagen nicht die Augen nieder, wenn ein Bischof verärgert guckt. Nicht länger still, bescheiden und demütig sein!
Von Misstrauen und klerikaler Kontrolle schreibt Lucetta Scaraffia. Was sie als Missstand in ihrer Redaktion kritisiert, ist laut vatikanischer Lehre die artgerechte Haltung für weibliche Wesen. Frauen wird zwar seit der Mitte des 20. Jahrhunderts in lehramtlichen Dokumenten die gleiche Würde attestiert wie Männern, aber daraus folgen nicht die gleichen Rechte. „Gleichwürdigkeit und Gleichberechtigung sind in der katholischen Kirche entkoppelt“, stellen die Kirchenrechtler Georg Bier und Norbert Lüdecke in ihrem Buch „Das römisch-katholische Kirchenrecht“ fest.
Ordensoberinnen dürfen weniger als Ordensobere, Messdienerinnen haben weniger Rechte als Messdiener. Grundsätzlich gilt, dass Kleriker Frauen ihren Platz zuweisen. Sie legen fest, wie eine wahre katholische Frau zu sein hat.
Dem versuchen sich die meisten Katholikinnen in Deutschland durch Nicht-Beachtung zu entziehen. Aber die lange Tradition der Diskriminierung lässt sich weder durch Ignoranz noch durch eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses beenden. Notwendig wäre eine Reform des Kirchenrechts und seines ideologisch-theologischen Überbaus, an deren Ende schlicht Gleichberechtigung stünde, ohne die spitzfindige Unterscheidung in Gleichheit und „wahre Gleichheit“.
Doch dafür gibt es keine Anzeichen. Während des Anti-Missbrauchs-Gipfels im Vatikan wurden Videos von Betroffenen eingespielt. Eine Frau erzählte, dass ein Priester sie mit 13 zum ersten Mal und dann immer wieder vergewaltigte. Als sie schwanger wurde, zwang er sie zum Abbruch. Manche Bischöfe zeigten sich erschüttert, allerdings eher wegen der Abtreibungen als wegen der sexuellen Gewalt.
Absolutistische Regime pflegen auf zwei Arten das Zeitliche zu segnen: durch Revolution oder durch Zusammenbruch. Für eine Revolution taugen die zarten Zeichen der Weiberauf- und abstände kaum. Erste Symptome eines klerikalen Kollapses sind erkennbar. Die Kardinäle könnten knapp werden: Gleich drei Eminenzen wurden innerhalb weniger Wochen entweder von Gerichten verurteilt oder von Franziskus degradiert. Aber noch bis heute hat kein Bischof – auch kein deutscher – freiwillig benannt, was er in Sachen sexualisierter Gewalt getan oder als Personalverantwortlicher unterlassen hat. Bei der Abschlusspressekonferenz der Bischofskonferenz sagte ihr Vorsitzender Reinhard Marx: „So kann es nicht weitergehen!“ Geplant ist ein synodaler Weg, das heißt, eine breite Diskussion über drei Themen: Macht, Sexualität und priesterliche Lebensform, also auch das Zölibat. Am Ende soll Konkretes stehen. Auf die Anfrage von EMMA, ob er sich eine Änderung des Kirchenrechts in Richtung Priesterinnenweihe wünscht, mag Kardinal Marx nicht antworten. Der letzte Gesprächsprozess, zu dem die Deutsche Bischofskonferenz nach dem Missbrauchsskandaljahr 2010 geladen hat, endete kläglich. Der mehrere hundert Seiten dicke Abschlussbericht ist für 25 Cent im DBK-Online-Shop erhältlich. Reformen folgten nicht.
Im Herbst 2018 wurde eine Studie zum sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche Deutschlands veröffentlicht. Die Wissenschaftler machen neben der verklemmten Sexualmoral das Männerbündische als Risikofaktor für sexualisierte Gewalt aus. Die Bischofskonferenz hat sich eine Frauenquote für Leitungspositionen von 30 Prozent verordnet, der Münchner Erzbischof Marx denkt laut über eine Generalvikarin nach, ein Posten, der bisher mit der Priesterweihe verknüpft ist. „Mindestens eine Weltbischofssynode, wenn nicht sogar fast ein Konzil“ müsste über die Frage der Frauenweihe entscheiden, sagt sein Osnabrücker Amtsbruder Franz-Josef Bode. Der Erzbischof von Köln, Rainer Maria Woelki, warnt schon jetzt davor, sich eine Veränderung der Lehre „abtrotzen“ zu lassen. Die Spitzenkleriker sind schwer zu Reformen zu bewegen. Sie bewegen rekordverdächtig viele Gläubige zum Kirchenaustritt.