Eine Tochter über ihre flügge Mutter

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Die Stimme meiner Mutter am Telefon klingt so aufgeregt, dass ich im ersten Moment befürchte, etwas Schlimmes sei geschehen.

„Ich habe es getan!“, schreit meine Mutter ins Telefon. Es klingt wie ein Geständnis. Aber das kann nicht sein. Nicht bei uns. Wir sind eine tadellose Familie. Was also ist passiert?

„Ich war in der Waschanlage!“

Ich will nachfragen, werde aber sofort unterbrochen von einem Schwall: „Ich bin oft daran vorbeigefahren. Immer habe ich gedacht, jetzt mach ich es. Gestern habe ich mir alles ganz genau durchgelesen. Aber dann bin ich doch in die Tankstelle reingegangen, und da war so ein netter junger Mann an der Kasse, und der hat gesagt, man muss nur die Karte einstecken und auf den grünen Knopf drücken. Dann geht es automatisch.“

„Super“, sage ich.

„Ja, es war ganz einfach, also, das mache ich wieder, überhaupt kein Problem!“ Ihr Strahlen dringt durchs Telefon. „Ich wollte es dir unbedingt gleich erzählen.“

„Total super, Mama“, lobe ich erneut.

Dann lege ich auf und rufe meine beste Freundin an, um ihr brühwarm zu erzählen, was meine Mutter in Ekstase versetzt. Bei Sanne ist belegt, das nervt mich, weil die Geschichte abkühlen wird. Ich merke es ja jetzt schon, dass ich mich frage, ob das nicht Mutterverrat ist.

Und damit stehe ich nicht allein da. Viele meiner Freundinnen beschweren sich darüber, plötzlich zu Müttern ihrer Mütter werden zu sollen. Unsere Mütter sind heute 70+. Ihre oft älteren Männer sind vielleicht gestorben, dement oder leiden an anderen Altersgebrechen. Plötzlich sollen sie Dinge tun, die bis jetzt immer ihr Mann erledigt hat. Das fängt beim Betanken des Wagens an, führt über Bankgeschäfte zu kleinen handwerklichen Tätigkeiten im Haushalt. Wo ist der Sicherungskasten? Haben wir so was überhaupt? Und natürlich sollen sie Entscheidungen fällen, ihren Mann stehen – und das überfordert sie.

Die Kinder, vor allem die Töchter dieser Mütter, also ich, haben oft jahrelang an ihre Mütter hingeredet: Mama, denk doch mal an dich. Mama, du musst selbstständiger werden, Mama, du musst ein eigenes Leben führen. Aber die Mütter sahen dazu keine Veranlassung. Es klappte doch alles prima. „Papa und ich sind ein gutes Team.“ Doch eines Tages funktioniert die jahrzehntelang gelebte Rollenaufteilung nicht mehr.

Manche Frauen, die jung geheiratet haben, denken jenseits der siebzig zum ersten Mal darüber nach: Was will ich eigentlich? Muss ich bis zum bitteren Ende an einen Griesgram gefesselt bleiben? Habe ich nicht schon genug ertragen in den Jahrzehnten davor? Vielleicht sehen sie an ihren eigenen Töchtern, dass es auch anders geht, dass Beziehungen auf Augenhöhe gelebt werden können anstatt in Dienstboten-Herrschaftsverhältnissen.

„Diana, ich trink jetzt einen Kaffee“, sagt mein Vater, und meine Mutter setzt Wasser auf. „Diana, ich ess jetzt ein Käsebrot“, sagt mein Vater, und meine Mutter schmiert ihm eins. Vor vielen Jahren schob ich mir im Beisein meines Vaters einmal ein Bonbon in den Mund. „Für mich auch“, bat er. Ich reichte ihm eines, er legte es auf die Zunge und rief empört: „Da ist ja noch Papier dran!“

Schlechter Service, ganz schlechter Service, den war er nicht gewohnt. Aber er musste sich umstellen, weil meine Mutter sich veränderte. Zum Beispiel rutschte sie vom Beifahrer- auf den Fahrerinnensitz. Meine Mutter machte den Führerschein in den 1960er-Jahren kurz nach ihrer Hochzeit, damit mein Vater, wenn sie hin und wieder ausgingen, Alkohol trinken konnte. Viel später besaß meine Mutter ein eigenes kleines Auto. Die Limousine fuhr Papa, und wann immer die beiden zusammen unterwegs waren, saß er am Steuer. Das war so unabdingbar wie die Knödel, die zum Schweinebraten serviert wurden. So vergingen die Jahre, gute Jahre.

Mit Anfang achtzig ließ Papas Gedächtnis nach. Je vergesslicher er wurde, desto mehr mutierte meine Mutter zum Navi: Vorsicht, da vorne kommt ein Fahrradfahrer. Jetzt links! Achtung, eine Ampel. Rot. Rot! Stopp!!! Betreutes Fahren. Es wurde gefährlich. Aber wie sollte sie ihrem Mann das Fahren ausreden? Das konnte sie ihm nicht wegnehmen, nicht sein Auto!

„Da wird nicht diskutiert“, sagte ich. „Du nimmst ihm einfach den Schlüssel ab.“ Einfach? Seinem Chef, unter dem man seit mehr als fünfzig Jahren diente?

Aber meine Mutter hatte die Führungskraft jahrzehntelang aus dem Hintergrund gesteuert. Von der Pike auf hatte sie Diplomatie gelernt. Niemals war sie den geraden Weg gegangen, stets über verschlungene Pfade, eine Untergrundkämpferin wie so viele in ihrer Einheit „Trautes Heim Glück allein“. Und genau deshalb war sie mir nie ein Vorbild gewesen. So wollte ich ganz bestimmt nie werden.

Immer öfter rief meine Mutter mich nun an, um mir von ihren Erfolgen zu berichten. Mit kleinen Schritten eroberte sie sich ihr eigenes Territorium, durchaus auch mal Luftraum. Sie handelte bei einer Versicherung einen günstigeren Tarif aus – Feilschen war bislang die Domäne meines Vaters gewesen. Sie kaufte im Internet eine Kaffeemaschine und, ohne davor die Erlaubnis ihres Mannes einzuholen, einen neuen Staubsauger. Sie fand heraus, wo sie einen vernachlässigten Hund melden konnte, der tagelang auch bei Regen in einen Garten gesperrt war, und als ich das abends meinem Mann erzählte, fiel mir auf, dass es sehr selten vorkam, dass meine Mutter mir etwas Interessantes erzählte, was nicht unsere Familiengeschichte betraf.

„Sie erlebt eben wenig, immer zu Hause mit deinem Vater“, meinte er.

Das Telefon klingelte. Die Nummer meiner Mutter erschien auf dem Display. Die nächste Sensation? Es war immerhin nach 20 Uhr, und da rief man nur bei Notfällen an, oder?

„Gibst du mir mal bitte den Johannes?“, fragte sie. Ein wenig verwundert reichte ich das Telefon weiter. Er hatte doch nicht Geburtstag. Und wie geschäftig sie geklungen hatte.

Johannes hörte zu, nickte und sagte dann Sätze, die auf Schrauben, nicht aber auf Muttern passten. „Ja, der Perlator ist verkalkt.“

Was wurde hier gespielt? Ich entnahm dem Gespräch, dass meine Mutter die Wasserhähne entkalkte und eine Frage zu einer Dichtung hatte. „Sie hat was?“, fragte ich, als Johannes das Telefonat beendet hatte. „Ich könnte dir das auch mal zeigen“, meinte er. „Ich finde schon, dass man das wissen muss.“ „Aber das ist doch dein Job!“, entfuhr es mir. Und dann schämte ich mich in Grund und Boden.

Einige Tage darauf berichtete ich Johannes, dass meine Mutter einen neuen Klodeckel gekauft und ihn montiert hatte. „Alle Achtung!“, staunte er. „Ist das schwierig?“ fragte ich. „Ja, schon. Den muss man justieren. Ich glaube nicht, dass du das schaffen würdest.“

Ich muss der Wahrheit ins Gesicht sehen: Meine Mutter hängt mich ab. Bei nächster Gelegenheit fragte ich sie, ob der alte Deckel kaputt gewesen sei. „Nein“, antwortete sie. „Aber da gab es ein Sonderangebot, und dann habe ich mir gedacht, dass ich das wohl hinkriege.“ – „Und wie fühlt sich das an?“ fragte ich meine Mutter. „Man sitzt gut drauf. Er hat noch kein einziges Mal gewackelt.“

Aber mein Thron der emanzipierten Tochter, der wackelt.

Weiterlesen: Michaela Seul: Lieber spät als nie – Wenn Mütter flügge werden (Lübbe, 16 €)

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