Seevögel, die verhungern, weil unverdauliches Plastik ihre Mägen füllt. Meeresschildkröten, die sich mit Plastikschnüren strangulieren. Meeressäuger, die an Plastik, das sie für Beute halten, ersticken und noch dazu chemische Weichmacher im Blut haben. Korallen und Schwämme, denen das Licht und Sauerstoff fehlen, weil Plastik den Meeresboden bedeckt. Der Bilder sind viele. Eines schrecklicher als das andere.
„Die Forschung wirkt wie eine Taschenlampe, mit der wir Lichtstrahlen ins Dunkel der Ozeane werfen. Erfasst und erforscht ist erst ein Bruchteil der Folgen, doch die Schäden müssen als Warnsignal für ein weit größeres Ausmaß verstanden werden" sagt Dr. Melanie Bergmann, Meeresbiologin am Alfred-Wegener-Institut, dem Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung. Sie hat an der neuen Studie federführend mitgearbeitet und kämpft seit über zehn Jahren wie kaum eine andere dafür, dass der Plastikmüll endlich verringert wird.
Die Bilder vom Meeresboden der Arktis waren ihre Initialzündung
Melanie Bergmann gilt als "Deutschlands größte Plastik-Forscherin". Seit 2011 ist unser Müll ihr Hauptgebiet, sie erforscht unter anderem die großen Müllstrudel im Nordpazifik. Die Bilder, die sie über mehrere Jahre vom Meeresboden in der Arktis machte und die von Jahr zu Jahr mehr Müll zeigten, waren ihre Initialzündung - und der Anlass für viele Forschungsinstitutionen, dem Plastik auf den Grund zu gehen.
Und die neuesten Ergebnisse der Meeresbiologin sind niederschmetternd. Zwischen 86 und 150 Millionen Tonnen Kunststoff liegen der Studie zufolge im Ozean. Besonders schlimm ist die Lage im Mittelmeer, im Gelben sowie im Ostchinesischen Meer. Auch in der Tiefsee sammle sich immer mehr davon. Der Müll werde bei Hochwasser von Deponien weggespült - oder oft auch direkt ins Meer gekippt. Mikroplastik gelange auch über das Abwasser in die Meere. Zwar hielten moderne Klärwerke bis zur 97 Prozent der Partikel zurück, aber in einer Stadt wie Berlin oder Hamburg bedeute selbst ein Prozent immer noch eine große Menge, so Bergmann.
Sie gehört zu den wenigen NaturwissenschaftlerInnen, die gehypte Projekte wie „The Ocean Cleanup“ kritisieren. Die riesigen Meeresfilter sollen Plastik an der Meeresoberfläche einsammeln, wurden medial schnell als Heilsbringer für die Ozeane hingestellt. Einsammeln, fertig. Dabei liegt der meiste Müll am Boden.
Bergmann ist fest davon überzeugt, dass die 600 Meter langen Fangarme mehr zerstören, als sie retten können. Sie erzählt: „Solche Strukturen, die an der Wasseroberfläche treiben, ziehen eine bestimmte Community von Tieren an, zum Beispiel Fische, die dort Schutz suchen. Die Fangarme des Ocean Cleanup werden auch sie zusammentreiben und fangen, genauso wie wunderschöne Nacktschnecken und Segelquallen. Außerdem ist viel von dem Müll besiedelt. Wird er beseitigt, werden auch die Tiere beseitigt.“
Bergmann und ihre Kollegin und Leiterin des Alfred-Wegener-Instituts, Antje Boetius, kämpfen für „Vermeiden statt einsammeln“. Strände und Flussufer müssten vom Müll befreit werden, damit er nicht mehr ins Meer gelange. Und natürlich müsse der weltweite Konsum von Plastik dringend gedrosselt werden, denn auch er trägt zum Klimawandel bei. Die weltweite Plastikproduktion aber hat in den vergangenen Jahren zwischen 1970 und 2013 um unfassbare 620 Prozent zugenommen. Bergmann: "Und der Mikroplastik-Gehalt wird sich in den kommenden 30 Jahren noch mehr als verdoppeln!"
Das, was du da unten erlebst, verändert dich, du willst plötzlich helfen!
Bergmann und Boetius versuchen immer wieder, Menschen auch durch Bilder der Schönheit der Meere zu einem vernünftigeren Handeln zu bringen. Ihre Aufnahmen der Tiefsee sind spektakulär. "Das, was du da unten erlebst, verändert dich“, erzählt Antje Boetius. „Das ist, wie wenn man ins All fliegt und unsere kleine blaue Kugel von oben sieht. Du willst ihr plötzlich helfen.“
Wenn Deutschlands bekannteste Tiefsee- und Polarforscherin für Tauchgänge in ihre kleine Glaskapsel steigt und hunderte Meter hinab in die Dunkelheit gleitet, weiß sie nie, was ihr begegnen wird. Boetius entdeckt Dinge unter Wasser, die noch kein Mensch auf dieser Welt gesehen hat: Vulkane in der Arktis, gigantische Gebirge und Schluchten, ganze Landschaften aus Seeanemonen. Bizarre Lebewesen, leuchtende Fische mit riesigen Fangzähnen und gelatinösen Gliedern. Und die „Methan-Fresser“. Mikroorganismen, die das Methan im Meeresboden filtern. Es wäre eine Katastrophe, würden die mikrometerkleinen Wesen an ihrer Arbeit gehindert. „Wenn große Mengen Methan hochsteigen würden, gäbe es eine katastrophale Verstärkung der Erderwärmung“, sagt Boetius.
Der WWF, der die neue Plastik-Studie beim Alfred-Wegener-Institut in Auftrag gegeben hat, fordert ein verbindliches globales Abkommen, um die unwiderrufliche Vermüllung der Weltmeere zu stoppen, bevor ökologische Kipppunkte überschritten werden. Melanie Bergmann: "Es eilt!"