Wagenknecht hat recht!
Ich verstehe seit langem nicht, warum die etablierten Parteien das Unbehagen, das ihre eigenen WählerInnen in die Arme der AfD treibt, nicht ernst nehmen. Statt sich zu fragen, warum das so ist, brüsten sie sich überheblich mit der Verteufelung ihrer Ex-WählerInnen als „rechts“ oder „rassistisch“.
Die Menschen ernst nehmen, statt sie zu belehren
Nur Sahra Wagenknecht in der Linken hatte es gewagt, gegenzuhalten - sie wurde dafür aus der Partei gemobbt. Die ist nun um fast die Hälfte eingebrochen. Und Wagenknecht erinnert an das, was sie schon lange sagt: Nämlich, dass die Linke „eine Partei für hippe Großstädter“ geworden sei, aber „die Menschen, die um ihr bisschen Wohlstand immer härter kämpfen müssen“, vergessen habe. Dabei sollte sie deren „Sicht der Dinge ernstnehmen, statt sie zu belehren, wie sie zu reden und zu denken haben“. Wohl wahr. Das gilt auch für die SPD.
Stattdessen wurde munter skandalisiert. Von allen Seiten. Dabei hätte man zwar Rechtsextreme wie Björn Höcke oder Andreas Kalbitz von Anbeginn an klar ins Visier nehmen müssen (doch einer wie Höcke wurde zunächst einmal als Talkshow-Schreck aufgebaut), aber gleichzeitig die Probleme, die den Wut-WählerInnen stinken – Flüchtlinge, Islamisten oder soziale Missstände - wahrnehmen müssen. Auch Parteien wie die CDU, SPD, Linke oder die Grünen hätten diese Probleme sehen müssen - und zeigen, dass auch sie Lösungen vorschlagen, nur eben andere. Das heißt, falls sie diese Lösungen überhaupt haben...
Nach Jahren der Versäumnisse wählt inzwischen zirka jeder dritte Mann und jede fünfte Frau die AfD, wie jetzt in Sachsen und Brandenburg. Relativ abstinent gegen die Rechtspopulisten sind nur noch zwei Menschengruppen: die Frauen über 60 und die Frauen unter 30. Von ihnen wählte im Schnitt nur jede Sechste die Rechtspopulisten.
Wer ist noch abstinent gegen Rechtspopulisten?
Was allerdings für die einstigen Volksparteien kein Grund zur Beruhigung sein kann. Denn die jungen Frauen haben in Sachsen ebensowenig die CDU und in Brandenburg auch nicht die SPD gewählt. Etwa jede Vierte machte bei den Grünen ihr Kreuz und fast ebenso viele bei „Sonstige“ (mal genauer hinsehen!). Bei den jungen Männern wählt jeder Vierte die AfD – und bei den Midlifecrisern sogar mehr als jeder Dritte.
Und die AfD? Die lacht sich ins Fäustchen. Denn sie profitiert sowohl von der verärgerten Abwendung der ehemaligen WählerInnen der anderen, als auch von der Verfemung ihrer Partei. Die liebgewordene Einteilung der Anderen in hie Gut und da Böse macht es der AfD leicht zu sagen: Da seht ihr, so sind die. Und sie beschleunigt die Radikalisierung innerhalb der AfD, bestärkt die rechtsradikalen Kräfte.
Wie wäre es denn, wenn die Verlust-Parteien statt zu jammern einfach mal ihre Ex-WählerInnen fragen würden: Warum wählt ihr eigentlich die AfD – und nicht mehr uns? Vielleicht sind die Antworten ja nicht nur doof – zumindest aber lehrreich.
Alice Schwarzer