Verkehrsschilder für Gleichberechtigung

Starkes Zeichen: In Genf werden die Strichmännchen jetzt weiblich.
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Die Stadt Genf setzt ein starkes Zeichen für Frauen. Genau genommen gleich 250. Die Schweizer Bürgermeisterin Sandrine Salerno hat beschlossen, die Straßenbeschilderungen in der Stadt weiblicher zu gestalten. 250 Piktogramme, die bisher ein schwarzes Strichmännchen beim Überqueren der Straße zeigten, werden abmontiert und durch Piktogramme ersetzt, die deutlich weiblich sind: Frauen mit Locken, dünnere und dickere Frauen, Frauen mit Babybauch, ältere Frauen mit Gehstock, zwei Frauen Hand in Hand. Schon bald herrscht in Genf Parität im Schilderwald. Die Männchen sollen ja nicht gleich ganz verschwinden.

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Diese Aktion ist keine
Spielerei!

Salerno stellte die Schilder beim Vorführtermin selbst mit auf und stellte klar: „Die Idee der Feminisierung bestimmter Verkehrszeichen mag anekdotisch erscheinen, sie ist aber keine Spielerei. Historisch betrachtet ist der öffentliche Raum von Männern für Männer gedacht worden, diese Omnipräsenz verstärkt die Vorstellung, dass einige Menschen, vor allem Frauen, hier weniger zu Hause sind als andere.“ Parallel schiebt sie ein Projekt zur Umbenennung von Straßennamen an. Bislang trugen 548 Straßen einen Männernamen – und nur 41 jenen einer Frau. Jetzt sind es schon mal 141. 

Der Prototyp Mann? In Genf nicht mehr. Hier zeigen die Verkehrsschilder auch Frauen in verschiedenen Lebenslagen.
Der Prototyp Mann? In Genf nicht mehr. Hier zeigen die Verkehrsschilder auch Frauen in verschiedenen Lebenslagen.

Die EidgenossInnen zeigen sich hoch erfreut über die Initiative mit symbolischer Natur, in den Sozialen Medien in Deutschland hingegen wird mal wieder die Angst vorm Weltuntergang durch „Genderisierung“ ausgerufen. Tenor: „Gibt es nichts Wichtigeres im Leben als dämliches FeministInnen-Gezeter über Verkehrsschilder?“ Doch, gibt es sicherlich. Es gibt aber auch noch sehr viel Unwichtigeres. Es mögen nur Verkehrsschilder sein, aber sie zeigen vor allem: Der Prototyp Mensch ist der Mann. Es ist der männliche Körper, der von jedem Anatomie-Buch prangt. Und er ist es auch, nach dem sich die Medizin ausrichtet. Selbst der Steinzeitmensch ist immer ein Mann. Wenn zum Beispiel im Libanon tausende Männer auf der Straße protestieren, dann sind es „die Menschen im Libanon“. Wären es nur Frauen, würde auf diesen Umstand hingewiesen. Männer sind die Norm, Frauen die Abweichung.

Der Prototyp Mensch
ist der Mann!

Das haben in der Schweiz auch die Männer im Vorstand des Infrastruktur- und Verkehrsdepartements eingesehen und begrüßen den Mentalitätswechsel. Wenn man durch ein paar Schilder schon was bewirken könne, sei das doch sehr schön, hieß es aus der Verwaltung. Es sei die erste öffentliche Behörde in der Schweiz und in Europa, die diese „Operation“ durchführe und man sei sehr stolz darauf.

Dass „ein paar Schilder“ noch lange nicht genug sind, darauf machen die Schweizer Frauen ihre Regierung nachdrücklich aufmerksam. Am 14. Juni 2019 streikten und demonstrierten eine halbe Million Schweizerinnen (bei insgesamt acht Millionen EinwohnerInnen) für mehr Gleichberechtigung. Besonders alarmiert sind die Schweizerinnen durch die gestiegene Zahl der Femizide, der Morde an Frauen weil sie Frauen sind. Für den Schutz von Frauen wurde bislang in der Schweiz kaum Geld zur Verfügung gestellt – und das in einem der reichsten Länder dieser Welt.

Also: Jedes Zeichen zählt!

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Gender Mainstreaming lebt

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Im Nationalpark Eifel tummeln sich auf 107 Quadratkilometern Biber, Uhus und Wildkatzen. Ein Auftrag des Parks war es schon immer, diese wunderbare Tier- und Pflanzenwelt jungen Menschen nahezubringen. Also lud der Park „Kinder“ und „Jugendliche“ zu „Wildniscamps“ ein, wo sie unter Anleitung eines Rangers Tierspuren lesen, Pflanzenrätsel lösen oder sich „im wilden Wetter warm­toben“ können. Eine coole Sache. Äußerst verblüfft waren Nationalparkchef Henning Walter und seine MitarbeiterInnen allerdings, als immer wieder Mütter oder Väter anriefen und zaghaft fragten: „Darf meine Tochter da auch mitmachen?“

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Walter war folglich froh, als der Nationalpark im Frühjahr 2004 vom Land NRW zum Pilotprojekt erklärt wurde, das herausfinden sollte: Wie muss man verschiedene Zielgruppen ansprechen, damit sie die attraktiven Angebote des Parks auch annehmen? Im Laufe der Workshops dämmerte der Park-Besatzung: Ranger, Trapper, Spurenlesen – das gilt als Jungsding. Menschen, die einem traditionell zum Thema „Wald“ einfallen: Oberförster, Holzfäller, Waidmänner. Männer eben. Mädchen? Frauen? Mal abgesehen von der bösen Hexe – Fehlanzeige.

Das Problem ließ sich, nachdem es einmal erkannt war, ziemlich einfach lösen. Der Nationalpark gestaltete seine Broschüren und seinen Internet-Auftritt um. Seither kraxeln auf den Fotos dort auch Mädchen auf Bäume und werden die Wildniscamps von „buntgemischten Gruppen aus 20 Mädchen und Jungen“ besucht. Und die Ranger? Sind eben auch mal „Waldführerinnen und Waldführer“ oder „WaldführerInnen“.

„Das sind kleine Schritte, die eine große Wirkung haben“, sagt Parkchef Henning Walter, dem das alles „vorher gar nicht aufgefallen wäre“. Jetzt hat er kapiert: „Wenn auf dem Foto der wandernden Familie immer der Mann mit der Karte vorne steht, dann ist das ein falsches Signal!“

Hört sich doch eigentlich ganz vernünftig an, oder? Der Spiegel sieht das anders. Er hämte im Januar 2007, die NRW-Landesregierung habe 27.000 Euro dafür ausgegeben, dass künftig „Bilder von der Hirschbrunft“ aus den Werbebroschüren des Parks gestrichen würden. Schlimmer noch: Gender Mainstreaming avisiere via Jungenarbeit die „Zerstörung von Identitäten“ und plane die „Fabrika­tion des neuen Menschen“. Männer sollten dazu gebracht werden, „auf Macht und Einfluss zu verzichten“. Letzteres stimmt sogar.

Der Spiegel hatte das alles in der FAZ gelesen, wo Redakteur Volker Zastrow im Sommer 2006 zum Halali auf das Gender Mainstreaming geblasen hatte, diese „poli­tische Geschlechtsumwandlung“, die ein Feministinnen-, ja schlimmer noch: ein Lesbenkomplott sei. Der Warnruf verhallt nicht ungehört und erreichte 2007 die rechtsradikale Junge Freiheit, die dann gleich nach dem Spiegel einen schaudernden Blick in das „Labor der Menschenzüchter“ warf.

Zastrow, inzwischen Ressortleiter Politik bei der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, ist der Wortführer des Backlash und gab als solcher die Parole aus, die Feministin Alice Schwarzer sei an allem schuld, sie habe schließlich schon 1975 „die Abschaffung der Hausfrau, genauer: der Hausfrau und Mutter“ geplant. Und Familienministerin von der Leyen betreibe nun als trojanisches Pferd des Feminismus ihre „Staatskrippenpläne“ und die „Geschlechtsumwandlung“ unter der verführerischen Formel der „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ voran. Und das alles wg. Gender Mainstreaming.

Zugegeben: Das Wort „Gender Mainstreaming“ ist, gelinde gesagt, suboptimal gewählt. Es löst mit seiner Mischung aus Bürokratieverheißung und Manager-Neusprech reflexhaften Fluchtdrang aus, selbst bei jenen, die über Grundkenntnisse in Englisch und Feminismus verfügen. Und das ist schade. Denn das Prinzip hinter dem Wortungetüm ist einfach. Das Bundes­frauenministerium erklärt es auf www.gender-mainstreaming.net so: „Gender Mainstreaming bedeutet, bei allen gesellschaftlichen Vorhaben die unterschiedlichen Lebenssituationen und Interessen von Frauen und Männern von vornherein und regelmäßig zu berücksichtigen, da es keine geschlechtsneutrale Wirklichkeit gibt.“

In der Realität ist es zum Beispiel so, dass Frauen kleinere Hände haben als Männer. Jedenfalls meistens. Diesen kleinen Unterschied zu beachten, kann im Zweifel lebensrettend sein. Als das nordrhein-westfälische Innenministerium eine neue Dienstwaffe für seine 43.000 PolizistInnen einführen wollte, ließ es eine Reihe in Frage kommende Waffen testen.

Und weil Gleichstellungsbeauftrage Jutta Ben Lasfar über diesen Test wachte, nahmen – wiederum im Rahmen eines Pilotprojekts – an den Schießübungen 134 männliche und 28 weibliche Polizisten teil. Das entspricht in etwa dem Frauenanteil der NRW-Polizei von 15 Prozent, Tendenz stark steigend. Ergebnis: In vielen Fragen waren sich Testerinnen und Tester einig. Wie gut sich die Pistole auseinander- und wieder zusammenbauen lässt oder wie präzise das Ziel anvisiert werden kann, da klaffte keine Lücke zwischen den Geschlechtern. Bei den Fragen „Wie beurteilen Sie die Eigenschaften des Griffstücks?“ und „Lässt sich der Magazinhalter mit dem Daumen der Schusshand erreichen?“ allerdings war der Gender Gap enorm.

Ergebnis: Angeschafft wurde eine Walther P 99 mit einem Griff, der flexibel vergrößert oder verkleinert werden kann. „Und darüber haben sich nicht nur die Frauen gefreut“, sagt Jutta Ben Lasfar, „sondern auch die Männer mit kleineren Händen.“

Solche kleinen und großen Unterschiede offenbaren sich bei vielen kleinen und großen Entscheidungen, die Ministerien, Stadtverwaltungen oder Städtebauer zu fällen haben. Das merkt, wer seinen „Genderblick“ einmal geschärft hat.

Drei Viertel aller Männer verfügt „jederzeit“ über ein Auto, aber nicht mal die Hälfte der Frauen. Wer muss es also ausbaden, wenn der Bus nur dreimal am Tag das neue Wohngebiet anfährt und das nächste Einkaufzentrum fünf Kilometer entfernt auf der grünen Wiese liegt? Mädchen spielen seltener Fußball als Jungen (noch). Welcher Platz bleibt ihnen – außer dem Spielfeldrand – wenn der Stadtpark einen Bolzplatz, aber kein Volleyballfeld hat?

Herzinfarkte galten lange Jahre als Männerkrankheit, weshalb ÄrztInnen die Symptome bei Frauen regelmäßig übersahen. Neue Medikamente wurden jahrzehntelang nur am Durchschnittsmann – 1,80 Meter groß, 75 Kilo schwer – erprobt. Ulla Schmidt und Gender Mainstreaming sei Dank hat sich das inzwischen geändert, so dass die angegebenen Dosierungen nun auch für Frauen- und Kinderkörper geeignet sind.

Es macht eindeutig Sinn, auf jede Entscheidung einen „gendersensiblen“ Blick zu werfen und so das Prinzip „Mensch = Mann“ über den Haufen zu werfen. Gender Mainstreaming bedeutet also, dass bei einer Entscheidung nun nicht mehr nur die Frauenbeauftragte mahnend den Zeigefinger hebt (und im Zweifel mit einem „Nerv nicht!“-Blick in ihre Schranken gewiesen wird), sondern alle Beteiligten einer Institution die körperlichen wie sozialen Unterschiede von Männern und Frauen im Auge haben. „Gender“ (also das soziale Geschlecht) soll Teil des „Mainstreams“ (wörtlich übersetzt: des Hauptstroms) werden. Also nicht mehr Neben-, sondern immer mitzudenkende Hauptsache.

Dabei kann Gender Mainstreaming allerdings die Frauenförderung nicht immer ersetzen. Anders gesagt: Gender Mainstreaming stellt fest, dass Mädchen, die nicht Fußball spielen, im Stadtpark ihr Volleyballfeld bekommen sollten. Frauenförderung sorgt dafür, dass Mädchenfußball in die Lehrpläne kommt und der örtliche Fußballverein eine Mädchenmannschaft gründet.

Noch unter „Gedöns“-Kanzler Schröder hat die Bundesregierung Gender Mainstreaming zu ihrem Leitprinzip erklärt, nachdem sich die EU-Staaten 1999 im Amsterdamer Vertrag dazu verpflichtet hatten: „Gender Mainstreaming ist ein Strukturprinzip, das genauso selbstverständlich wie etwa die Rechtsfolgenabschätzung, die Beschreibung der Auswirkungen auf das Preisniveau, oder die Abschätzung finanzieller Folgekosten werden soll.“ Pilotprojekte in den Bundes- und Landesministerien sollen zeigen, wie das gehen kann.

Zum Beispiel das Projekt ‚Gender Mainstreaming und Gesetzesfolgenabschätzung‘, das unter Federführung des Bundes­­frauenministeriums läuft. Ob El­tern­­­geld oder Verdienststatistikgesetz, jedes Mal wird hier gefragt: Welche Auswirkungen hat das Gesetz auf Frauen und Männer? Bei der Novellierung der Strahlenschutzverordnung zum Beispiel muss der Schutz schwangerer Frauen beachtet werden. Gleichzeitig darf die Tatsache, dass eine Frau schwanger werden kann, nicht dazu führen, dass sie in Röntgenlaboren oder Atomkraftwerken beruflich benachteiligt wird. Wie macht man das?

Sich über diese Fragen den einen oder anderen Gedanken zu machen, fand Kerstin Schneider vom Stern „trivial und teuer“. „‚Frauen und Männer haben unterschiedliche Fortpflanzungsorgane.‘ Solche Erkenntnisse lässt das Bundesfamilienministerium via Internet verbreiten“, hämte sie.

Wieviel Panik im Spiel ist, musste auch die Stadt Wien erfahren, als sie im Dezember 2006 eine kleine, aber feine Kampagne startete. Von Australien bis Moldawien ging ein – oft hysterischer, manchmal freudiger – Aufschrei durch die Presse, als Frauenstadträtin Sandra Frauenberger verkündete: Fortan sollten die Schilder in Wiens Bussen und Bahnen, die Fahrgäste zum Räumen der Sitze für behinderte Personen auffordern, auch eine behinderte Frau zeigen. Und in den Toiletten der öffentlichen Gebäude würde künftig auch ein wickelnder Vater den Weg zum Wickelraum weisen. Flankiert wurde dies von einer Plakataktion mit weiteren Piktogrammen, die nicht real zum Einsatz kommen, aber Rollenstereotype entlarven sollten: Ein Baustellen-Schild mit bezopfter Bauarbeiterin, ein Notausgang-Schild mit flüchtender Frau im Rock. Titel der Kampagne: ‚Wien sieht’s anders‘.

In Wiens Caféhäusern waren die „Zeichen der Zeit“ (BBC) wochenlang Gesprächsthema Nummer eins. Vor allem die Herren zeterten und tobten und schrieben der Frauenstadträtin böse Briefe. „80 Prozent der Beschwerden kamen von Männern“, erzählt Sandra Frauenberger. Hauptkritik: Für so was habt’s ihr Geld! „Dabei betrugen die Druckkosten nur 2.000 Euro. Und ich finde, da hatten wir doch für kleines Geld eine große Debatte!“

Überhaupt ist der Vorwurf, Gender Mainstreaming sei teuer, so nicht haltbar. Sicher, die Studien kosten Geld und vermutlich ist hier inzwischen ein ganzer Berufszweig entstanden, hat sich so manche Wissenschaftlerin aufs Gendern spezialisiert und kassiert dafür beträchtliche Honorare. Aber die Kosten lassen sich erheblich reduzieren, wenn nicht erst gegendert wird, wenn Mädchen oder Junge schon in den Brunnen gefallen sind, sondern bereits im Vorfeld. Dann muss weder umgebaut noch nachgerüstet noch neuverfasst werden.

Wie zum Beispiel die ‚Route der Industriekultur‘, die AnhängerInnen des Ruhrgebiets quer durch den Pott zu Zechen und Hochöfen führt. Erst ein strenger nachträglicher Genderblick zweier Historikerinnen ergab: Es fehlt was. Die Frauen. Die Näherinnen und Weberinnen zum Beispiel, die bis in die 80er Jahre zu Zehntausenden zwischen Duisburg und Dortmund in den Textilfabriken oder als Heimarbeiterinnen malochten. „Dabei hat der Niedergang der Textilindustrie im Ruhrgebiet zu mehr Arbeitslosigkeit geführt als die Schließung der Zechen. Aber als die großen Industriemonumente gelten eben die Fördertürme und Hochöfen“, erklärt Gudrun Kemmler-Lehr.

Die Frauenbeauftragte des Regionalverbands Ruhr (RVR) hat das Geschlechtergutachten in Auftrag gegeben, das außerdem zutage förderte: In den Welt­kriegen war wg. Männermangel das strikte Frauenverbot auf den Zechen aufgehoben worden. 20.000 Frauen und Mädchen „keulten“ 1918 über und sogar unter Tage auf dem „Pütt“. Und auch an den Hochöfen schwitzten Frauen, die als „Möllerinnen“ – kein Schreibfehler – die Öfen mit Erz und Koks befüllten. Hätten die Routenplaner die Ruhrpottlerinnen von vornherein im Blick gehabt, hätte eine geschlechtergerechte Route keinen Cent mehr gekostet als die Männertour, die nun nachgebessert werden musste.

Bisweilen kann man via Gender Mainstreaming sogar Geld sparen. Gerade wird zum Beispiel im Ruhrgebiet emsig an einem neuen ‚Bäderkonzept‘ gearbeitet. „Und Umfragen ergeben, dass vor allem Frauen an Wellness-Angeboten interessiert sind. Schwimmbäder, die solche Angebote machen und damit zusätzliche Klientel anziehen, sind also sehr wahrscheinlich die, die nicht geschlossen werden“, erklärt Gudrun Kemmler-Lehr. „Letztendlich geht es darum, dass man für die Menschen plant. Und dann muss ich eben gucken: Wer sind diese Menschen und was wollen die? So einfach ist das.“ Und die Frauenbeauftragte weiß: „Die Wienerinnen sind da unglaublich aktiv.“

Stimmt. In Wien hat man beziehungsweise frau sich nicht nur ein Bildnis von wickelnden Männern und buddelnden Frauen gemacht, sondern bereits die halbe Hauptstadt gegendert. Die Abteilung ‚Wien leuchtet‘ hat Parks und Parkhäuser mit Lichtern ausgestattet, damit der nächtliche Heimweg auch für Bürgerinnen nicht mehr zum Fürchten ist. Friedhöfe, die überwiegend von älteren Damen besucht werden, die nicht mehr gut zu Fuß sind, haben mehr und niedrigere Wasserstellen bekommen sowie Handkarren, mit denen Stiefmütterchen und Säcke mit Blumenerde transportiert werden können. In vielen Kindergärten sind Puppenecke und Bauecke abgeschafft, und die Nachricht „Liebe Mutti, morgen bitte Ersatzwäsche mitbringen“ gehört ebenfalls der Vergangenheit an.

Denn: „Wir wollen den Kindern neue und zum gängigen Rollenstereotyp alternierende Möglichkeiten geben“, erklärt der Kindergarten fun & care seine „gendersensible Pädagogik“. „So können sie ihr Leben eher nach ihren persönlichen Vorlieben und Talenten gestalten, anstatt weitgehend den gesellschaftlich vorgegebenen Modellen von Männern und Frauen zu folgen. Das bedeutet, dass sie aus einer größeren Vielfalt von Möglichkeiten wählen können.“

Um zu erklären, warum das Prinzip Gender Mainstreaming in Wien so erfolgreich angewandt wird, braucht Frauenstadträtin Frauenberger leider wiederum einen Anglizismus. „Gender Mainstrea­ming funktioniert nur als Top-Down-Strategie.“ Auf gut Deutsch: „Es muss von der Spitze, in diesem Fall der Stadtspitze, getra­gen und von dort auf die unteren Ebenen weitergeleitet werden.“

Vom Wiener Bürgermeister Michael Häupl und Magistratsdirektor Ernst Theimer hat Frauenberger hundertprozentige Rückendeckung. Und das ist wichtig. „Wenn da die Frauenstadträtin daherkommt und sagt den Abteilungen: ‚Bitte tut’s gendergerechte Daten erstellen‘, dann ist das so eine Sache. Aber wenn das der Bürgermeister und der Magistratsdirektor anordnen, dann wird das auch ernstgenommen!“ In Wien ist Gender Mainstreaming also Chefsache.

Schließlich nützt es ja auch nicht nur Frauen und Mädchen, sondern auch Männern und Jungs. Nach den zwei Frauengesundheitszentren F.E.M. hat Wien nach Durchsicht der Daten über Arbeitswahn und Alkoholkonsum vor drei Jahren auch das Männergesundheitszentrum MEN gegründet. Das könnte zum Beispiel dabei helfen, dass die Symptome essgestörter Jungen nicht länger übersehen werden. Weil Essstörungen wg. 90 Prozent weiblicher Betroffener als „Mädchenkrankheit“ gilt, schieben ÄrztInnen den Gewichtsverlust bei Jungen oft auf „das Wachstum“.

Wer den Genderblick einmal verinnerlicht hat, der fasst nicht nur die unterschiedlichen Bedürfnisse von Männern und Frauen ins Auge, sondern der denkt überhaupt zielgruppengerechter.

Der Nationalpark Eifel beispielsweise hat seit seiner Genderung auch seine poten­ziellen BesucherInnen mit Behinderung, ältere Wandersleute oder die bel­gischen Nachbarn im Auge. So gibt es Führungen auf Französisch oder in Gebär­densprache; Wanderungen weisen aus, ob sie so leicht sind, dass man sie auch mit Gicht oder Kinderwagen bewältigen kann; die Internetseite kann per Knopfdruck auf große Schrift oder ein­fache Sprache umgestellt werden. Und das, findet Parkchef Henning, „sollte doch eigentlich immer eine Selbstverständlichkeit sein“.

Das sagt der Mann so. Der Vorsitzende des Verbandes der Österreichischen Sicherheitsingenieure, Franz Kaida, dagegen ­beklagte sich bitterlich über das Wiener Notausgang-Schild mit der flüchtenden Langhaarigen: „Man muss sich vorstellen, dass Menschen in Paniksituationen verwirrt werden und denken könnten: Das ist ein Fluchtweg nur für Frauen – und ich muss woanders hinrennen.“ Es gibt viel zu tun. Gendern wir’s.

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Dossier Biologismus: "Aus zwei mach eins" (4/07)
Alice Schwarzer: Die Antwort (Kiepenheuer & Witsch, 16.90 €).
Kirsten Jordan/Claudia Quaiser-Pohl: Warum Frauen glauben, sie könnten nicht einparken und Männer ihnen Recht geben (dtv 9.50 €)
Smilla Ebeling & Sigrid  Schmitz: Geschlechterforschung und Naturwissenschaften. Einführung in ein komplexes Wechselspiel (VS-Verlag, 39.90 €)
Mirja Stöcker (Hg.): Das F-Wort (Ulrike Helmer Verlag, 12.90 €)
Gabriele Kämper: Die männliche Nation. Politische Rhetorik der neuen intellektuellen Rechten (Böhlau, 37.90 €)
Christine Baur/Eva Fleischer/Paul Schober: Gender Mainstreaming in der Arbeitswelt (Studien Verlag, 21 €)

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