Alice Schwarzer schreibt

Woody Allen: Wie lange Fakten leugnen?

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Woody Allen hat seine Memoiren geschrieben („Ganz nebenbei“). Doch in Amerika und auch z.B. in Frankreich weigern sich im Jahr 2020 die Verlage, die ihm einst dafür einen Vorschuss von einer Million Dollar geboten hatten, das Buch zu veröffentlichen. Das Problem: der Wahrheitsgehalt des Werkes. Doch ein deutscher Verlag, Rowohlt, sieht dazu keinen Grund – und kündigt für das Frühjahrsprogramm die Allen-Memoiren an.

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Nun kommt Ärger auf. Ein rundes Dutzend Rowohlt-AutorInnen protestiert gegen die Veröffentlichung in „ihrem“ Verlag. Aus „ethischen Gründen“ und unter Hinweis darauf, dass bei Rowohlt doch 2019 das Buch von Allens Sohn Ronan Farrow erschienen sei („Durchbruch: Der Weinstein-Skandal, Trump und die Folgen“). Farrow bezichtigt schon lange seinen Vater des Missbrauchs von dessen zwei (sozialen) Töchtern – Dylan und Soon Yi – ja, der „Zerstörung der Familie“.

Dieser AutorInnen-Protest wiederum brachte einen Feuilleton-Redakteur der FAZ auf die Palme, Edo Reents. Diesem „Moralpöbel“ müsse dringend „das Maul gestopft werden“, wetterte er. Denn er, der Pöbel, argumentiere nur „nach Hörensagen“. Doch: „Die Wahrheit kennen, wenn nicht noch ein Augenzeuge auftaucht, nur diese beiden“, Woody Allen und Tochter Dylan. Auch sei der Fall noch nie Gegenstand einer Gerichtsverhandlung gewesen. Es gelte also für Allen (ganz wie für Kachelmann) die „Unschuldsvermutung“. Überhaupt sei dies ganze „ruchlose“ MeToo-Debatte „langsam etwas geistfeindlich“.

FAZ-Redakteur Reents: „Dem Moralpöbel" dringend "das Maul stopfen“.
FAZ-Redakteur Edo Reents: „Dem Moralpöbel" dringend "das Maul stopfen“.

Es ist wirklich erstaunlich, dass ein Redakteur dieser so seriösen Zeitung es wagt, so uninformiert – oder verblendet? – zu argumentieren. Ein Blick in die US-Archive hätte schließlich genügt. Oder in EMMA (die allerdings Reents mit Sicherheit nicht liest, auch wenn wir die FAZ lesen).

EMMA berichtet seit Jahren, ja Jahrzehnten über den so exemplarischen Fall Woody Allen, der zum Symbol geworden ist für den Missbrauch von Kindern durch den eigenen Vater (in dem Fall den modernen Vater einer Patchwork-Familie). Und es geht dabei auch nicht „nur“ um den Missbrauch der siebenjährigen Dylan, sondern auch um die Pornofotos mit der etwa 16-jährigen Soon Yi; ein von Farrow adoptiertes schwer geschädigtes Straßenkind, die Allen später heiratete – und mit der er in den Jahren 1999 und 2000 zwei weibliche Babys adoptierte.

Hier also für den Kollegen Reents und alle, die behaupten, die Wahrheit kennten nur „die beiden“, die Fakten, inklusive „Augenzeugen“ und Gerichtsurteil - berichtet in EMMA-Artikeln aus den Jahren 1992 bis 2018.

Alice Schwarzer

PS vom 12.03.2020: „Der Fall Woody Allen, der mit großer Wahrscheinlichkeit ein Fall Mia Farrow ist, ist nun gar kein echtes Beispiel für das schwierige Thema Kunst- und Meinungsfreiheit“, schreibt Eva Menasse in der FAZ so ganz en passant. Die Schriftstellerin spielt damit auf die Frage an, ob Rowohlt Allens Memoiren veröffentlichen soll (in Amerika weigern sich alle Verlage). Darüber kann diskutiert werden. Indiskutabel aber ist Menasses Nebenbei-Behauptung, der „Fall Woody Allen“ sei wohl eher ein „Fall Mia Farrow“. Ein kurzer Faktencheck in den US-Medien, in dem Buch des Allen-Sohnes Ronan Farrow oder, mit Verlaub, auch EMMA hätte genügt. EMMA berichtet seit 1992 über den Fall Woody Allen. Hier nachzulesen: Der Fall Woody Allen

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Dylan klagt ihn an, seit 28 Jahren

Dylan Farrow spricht über die Missbrauchsvorwürfe gegen Woody Allen. © cbs this morning/screenshot
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„Ich will mein Gesicht zeigen und meine Geschichte erzählen“, sagt eine sichtlich aufgewühlte Dylan Farrow. Die Geschichte, die sie Interviewerin Gayle King dann vor laufender Kamera erzählt, ist lange bekannt. Es ist die vom sexuellen Missbrauch durch ihren sozialen Vater Woody Allen. Dylan hat diese Vorwürfe immer und immer wieder erhoben, zum ersten Mal als Siebenjährige im Jahr 1992. Aber erstmalig darf die heute 32-Jährige nun beim US-Fernsehsender CBS schildern, was sich damals auf dem Dachboden des Landhauses ihrer Adoptivmutter Mia Farrow zugetragen hat.

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Schon 2014, als Woody Allen wieder einmal hofiert von Filmleuten und Journalisten über den Roten Teppich von Cannes flanierte, hatte sich Dylan Farrow in einem Offenen Brief  an die Öffentlichkeit gewandt: „Und wenn es deine Tochter wäre, Cate Blanchett?“ hatte sie gefragt und all jene SchauspielerInnen der Komplizität beschuldigt, die immer noch so taten, als wäre nichts.

v. li.: Ronan Farrow im Arm von Lark Previn, Woody Allen mit Dylan Farrow. Dritte von re: Soon-Yi. Re: Mia Farrow.
v. li.: Ronan Farrow im Arm von Lark Previn, Woody Allen mit Dylan Farrow. Dritte von re: Soon-Yi. Re: Mia Farrow.

Doch die Zeit des Wegschauens ist vorbei. Immer mehr Schauspielerinnen und Schauspieler distanzieren sich nun von Allen. Sie erklären, sie bedauerten, in Allens Filmen mitgespielt und die Missbrauchs-Vorwürfe ignoriert zu haben – wie Mira Sorvino, Ellen Page oder Greta Gerwig. Gerwig, die 2012 in „To Rome with Love“ mitgespielt hatte, erklärte: „Wenn ich gewusst hätte, was ich heute weiß, hätte ich in dem Film nicht mitgemacht. Ich habe durch Dylans Wortmeldungen begriffen, dass ich den Schmerz einer anderen Frau größer gemacht habe. Ich habe seither nicht mehr für ihn gearbeitet und ich werde nicht mehr mit ihm arbeiten.“

Einige SchauspielerInnen spenden ihre Gagen aus Allen-Filmen für die Opfer sexueller Gewalt – wie Rebecca Hall und Timothee Chalamet, beide DarstellerInnen in Allens nächstem Film „A Rainy Day in New York“ (in dem es um die Affäre eines Mittvierzigers mit einer Minderjährigen geht). „Ich möchte von diesem Film nicht profitieren“, erklärte auch Schauspieler Griffin Newman und spendete seine Gage an RAINN (Rape, Abuse & Incest National Network).

https://www.youtube.com/watch?v=ic1kMoM_kPw

Dylan Farrow hatte 2014 große Schwierigkeiten gehabt, eine Zeitung zu finden, die es wagte, ihren Offenen Brief zu veröffentlichen. Der Druck der Anwälte von Allen, der die Vorwürfe bestreitet, war enorm. Dass Dylan nun sogar im Fernsehen eine Stimme bekommt, ist dem gewandelten Klima zu verdanken (Es war übrigens ihr Bruder Ronan Farrow, der mit seinen Recherchen den Weinstein-Skandal aufdeckte, in dessen Folge die #MeToo-Kampagne startete.)

Vier Tage vor dem Interview mit Dylan Farrow in deren Haus in Connecticut hatte Oprah Winfrey in einer Talkrunde mit sieben Frauen aus der Filmbranche über die „Time’s Up“-Kampagne geredet – und dabei auch die Vorwürfe gegen Woody Allen angesprochen.

„Dylan Farrow hat zur Time’s Up-Kampagne getwittert, dass sie schon vor vier Jahren - als sie sich öffentlich gegen ihren mutmaßlichen Missbraucher Woody Allen gewandt hat - geglaubt hatte, seine Zeit sei vorbei. Aber sie war es nicht“, sagte Oprah, die eine Woche zuvor bei der Golden Globe-Verleihung eine mitreißende Rede gegen sexuelle Gewalt  gehalten hatte. Jetzt gab Winfrey Dylans Frage an die Filmfrauen in der Runde weiter: „Is his time really up now?“

https://www.youtube.com/watch?v=upfcbRu7oc8

„Ich hoffe es“, antwortete Produzentin Shonda Rhimes. „Yeah“, sagte Schauspielerin Reese Witherspoon. Und Kollegin Natalie Portman erklärte: „Ich glaube dir, Dylan!“. Gerade hat auch Oscar-Preisträger Colin Firth angekündigt, nicht mehr mit Allen arbeiten zu wollen. Es sieht so aus, als ob die unbeschwerte Zeit für Woody Allen tatsächlich vorbei ist.

 

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