Im Abseits: Die Doku "Lovemobil"
Die meisten der Wohnmobile, die am Rand der Gesellschaft geparkt werden, sind eigentlich reif für den Schrottplatz. Drinnen warten Frauen auf Kundschaft. Rita aus Nigeria und Milena aus Bulgarien zum Beispiel. In Reizwäsche und eingehüllt in Decken sitzen sie im Wohnwagen an einer Landstraße in der Nähe von Wolfsburg und warten auf das Schichtende der VW-Arbeiter. In der Mitte des Monats werden bei VW die Überstunden ausgezahlt, dann halten viele Autos bei ihnen.
Die ZuschauerInnen erleben wie es ist, am Rande der Gesellschaft geparkt zu sein
Die Regisseurin Elke Margarete Lehrenkrauss hat über diese Frauen in den Wohnwagen einen beeindruckenden Dokumentarfilm gemacht. Anfang März wäre „Lovemobil“ im Kino gestartet, dann kam Corona. Trotzdem hat ihre Doku Festivalkarriere gemacht: Deutscher Dokumentarfilmpreis 2020, Preise in Los Angeles, auf deutschen Filmfesten, darunter auch der neue Frauenfilmpreis „Tilda". Am 8.12. lief der Film zum ersten Mal im deutschen Fernsehen, im NDR, und ist dort nun in der Mediathek zu sehen.
„Mich hat dieses Bild nicht losgelassen: Eine Frau mit afrikanischen Wurzeln sitzt im VW-Bus im dunklen deutschen Wald, um sie herum blinkt eine bunte Lichterkette“, erzählt Lehrenkrauss. Ein Jahr lang hat sie recherchiert, zwei Jahre haben sie und ihr Kameramann Christoph Rohrscheidt an diesem Ort verbracht und die Frauen in den Wohnwagen begleitet. „Anfangs habe ich sechs Frauen begleiten wollen, doch Rita und Milena hatten die stärkste Ausstrahlung“, erzählt die Regisseurin.
Mit ihnen erleben die ZuschauerInnen wie es ist, in einem Fahrzeug gefangen zu sein, das nicht mehr anspringt. Dringend einen „Kunden“ zu brauchen, ihn aber eigentlich nicht zu wollen. In einer Szene lehnt Milena einen Freier ab. „Ich habe ihm gesagt, wasch dich erstmal“, erzählt sie Rita rauchend.
Die Kamera liest Rita und Milena den Wunsch von den Augen ab, einfach abhauen zu wollen, es aber nicht zu können. Beide brauchen Geld für ihre Familien in der Heimat, man spürt den subtilen Druck, der mit jedem Auto, das am Wohnwagen vorbeirauscht, auf ihnen lastet. Man fühlt ihre Angst. Sie erfahren von einem Mord an einer Prostituierten im Wohnwagen. Und man spürt die Hoffnung der beiden Frauen, dass irgendjemand kommt, der sie da rausholt.
Mit jedem Auto, das am Wohnwagen vorbeirauscht, spürt man den subtilen Druck
Wer regelmäßig vorbeikommt ist Uschi, die „Wohnwagenvermieterin“. 70 Euro kostet die Miete des „Lovemobils“ pro Tag. Und Uschi, früher selbst eine Prostituierte, kassiert kompromisslos ab. Gleich zu Beginn erlebt man, wie sie am Telefon eine neue „Mieterin“ bei einem Zuhälter bestellt: „Wann bringst Du mir meine Frau?“
Voyeuristisch ist der Film nicht. Die Szenen mit "Kunden" sind distanziert gedreht. Lehrenkrauss kommt aus der Kunst. Sie studierte an der Kölner Hochschule für Medien und machte davor ein Diplom in Videokunst in Luzern. „Ich wollte keine investigative Reportage über Prostitution machen“, erzählt sie, „ich wollte die Athmosphäre des Lebens dieser Frauen einfangen, die Tristesse, in der sie leben, aber auch von der Banalität des Alltags erzählen.“
Die Regisseurin kommt aus Gifhorn, ist selbst oft an den „Lovemobilen“ vorbeigefahren. „Letzen Endes wollte ich einen Film machen über eine fragwürdige Gesellschaft.“ Das ist ihr gelungen.
Lovemobil, Regie Elke Margarete Lehrenkrauss. NDR Mediathek