Furchtlos: Ina Müller rockt!

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Sie ist vor 55 Jahren als vierte von fünf Töchtern in einer Bauernfamilie in Köhlen (bei Bremerhaven) zur Welt gekommen. Heute ist sie Ehrenbürgerin von Köhlen – aber bis dahin war es ein langer Weg. Erst hieß es mal: Stall ausmisten! Dann kam die Ausbildung als Apothekenhelferin und die Arbeit im weißen Kittel hinter dem Tresen. Hinter dem Tresen steht Ina nun seit 2007 auch in „Inas Nacht“. In der anarchischen Fernsehsendung wird viel geredet, getrunken und gesungen. So ganz jugendfrei geht es auch nicht immer zu. Denn Ina ist eine furchtlose, singende Entertainerin. Etwas, was es in Deutschland eigentlich gar nicht gibt.

Der legendäre Konzertveranstalter Fritz Rau hat sie mal eine „deutsche Bette Midler“ genannt. Das trifft es. Aber erst musste sie ja mal raus aus der Apotheke. Zufall. 1994 gründeten Ina und Edda Schnittgard das in feministischen Kreisen legendäre Kabarett-Duo „Queen Bee“. Inas zweites Soloprogramm hieß „Ina Müller liest und singt op Platt“. Und weil das Nordlicht das so gut kann, wurde sie eben auch Ehrenbürgerin ihrer Heimatstadt.

2006 ging Ina Müller, die Sängerin, mit „Weiblich, ledig, 40“ auf Tour. Jetzt ist sie 55 und ihr aktuelles Album heißt auch so: „55“. Ledig ist sie zwar noch, aber seit zehn Jahren mit dem Musiker Johannes Oerding liiert. Über Alter, Musik und das Leben sprechen zwei Männer mit Ina. - Das ganze Gespräch in der aktuellen März/April-EMMA!

 

 

Ina, seit 2007 lädst du das Who Is Who der deutschen und internationalen Musikszene in deine Sendung „Inas Nacht“ ein. Wie bereitest du dich auf deine Gäste vor?
Sehr akribisch über mehrere Tage, damit ich loslassen kann, wenn die Sendung losgeht. Wenn ein Gast zu mir auf die Bank kommt, weiß ich eigentlich alles über ihn. Mir geht es selbst so, wenn ich Interviews gebe: Ich hasse nichts mehr als Gesprächspartner, die schlecht vorbereitet sind.

Dann versuchen wir, keinen schlechten Eindruck zu hinterlassen. Nach welchen Kriterien wählst du deine Gäste aus? Nach Sympathie?
Meistens lade ich nur Leute ein, die mich interessieren und die ich spannend finde. Manchmal lasse ich mich von meiner Redaktion auch zu Gästen überreden, bisher ist das aber fast immer gut gegangen. Nein, fragt es jetzt nicht!

Je älter und erfolgreicher die Künstler, desto entspannter sind sie. Viele Jüngere haben große Sorge, ein falsches Wort zu sagen. Hast du ähnliche Erfahrungen gemacht?
Nein, in meiner Sendung sind die Gäste sehr offen. Ich bewundere das, weil ich an mir selber merke, wie sehr ich bei Interviews manchmal die Schere im Kopf habe. Es gibt bei vielen Prominenten eine riesige Angst, durch eine dumme Bemerkung oder einen missverständlichen Halbsatz die Karriere zu ruinieren. Die alten Recken wie Westernhagen, Lindenberg oder Grönemeyer interessiert das weniger, die haben immer schon den Mund aufgemacht. Aber die lebten ja auch noch in einer anderen Zeit.

Inwiefern in einer anderen Zeit?
Ich glaube, früher konntest du schon mal die Sau rauslassen. Sex, Drugs and Rock ’n’Roll, das gibt es heute so nicht mehr. Was mir aber viel mehr auffällt: Es gibt keine Stars mehr wie früher, das ist nicht mehr gefragt. In meiner Jugend mochte ich das sehr. Ich war Fan von Joe Cocker, und dann fuhr ich zum Festival und stand in der ersten Reihe, aber Joe Cocker war unerreichbar! Er war ein Star, reiste mit dem Privatjet an, kam auf die Bühne, wahrscheinlich noch betrunken, wenn er überhaupt kam, sang so ein tolles Konzert, dass ich geweint habe vor Glück, und flog wieder weg. Heute weiß ich von einem Star – und das erwartet der Fan auch –, ob er morgens schon auf Toilette war, was er gegessen hat und wo er am Abend hingeht.

Darüber haben wir auch mit deinem Lebensgefährten Johannes Oerding gesprochen. Ein Star ist heute kein Mythos mehr, sondern muss quasi täglich seine Customer Relation sicherstellen.
Das ist doch grauenhaft! Das Schlimmste ist, dass es mittlerweile Konzertkarten gibt, bei denen du den Soundcheck mit dazu kaufen kannst. Und ich warte nur darauf, wann man dazu buchen kann, dem Künstler in der Garderobe beim Umziehen zuzusehen. Früher konnte man in die Stars viel hineininterpretieren und hineinprojizieren, die ganze Leidenschaft, für die man sonst kein Ziel hatte! Heute kommt man seinem Star als Fan hautnah, wenn man will. Wie soll da noch ein Zauber entstehen?

Wir fühlen uns bei dir übrigens mitunter an Gottschalk erinnert.
Gottschalk? Warum das?

Weil du in deinen Konzerten regelmäßig durchs Publikum gehst und mit den Gästen scherzt wie er früher bei seinen legendären Warm-ups. Du bist ähnlich schlagfertig. Ist jemand wie er für die Bühne ein Vorbild für dich?
Nein. Aber ich weiß, dass alle Kollegen, die ich kenne, wahnsinnig ehrfürchtig in Thomas Gottschalk verliebt sind. Ich habe ihn aber gar nicht so oft erlebt, weil ich an den Wochenenden, wenn „Wetten, dass …?“ lief, immer feiern war. Ich war in Harald Juhnke verliebt, eigentlich bis heute. Ich gehe aber wahrscheinlich aus demselben Grund ins Publikum wie damals Thomas Gottschalk – um die Distanz zu den Menschen zu überwinden, die ja oft auf die Bühne schauen, als würden sie fernsehen. Wenn ich dann die Bühne verlasse und zu ihnen runtergehe, mal die Hand auf die Schulter lege und einen kleinen Gag mache, dann bricht diese Barriere, und plötzlich sind wir alle wirklich zusammen in diesem Raum. Ich mag das auch mit dem Anfassen.

Manchmal erinnerst du uns übrigens auch an einen anderen, musikalisch ebenfalls sehr begabten Entertainer, an Stefan Raab. Dessen Ehrgeiz, bei „Schlag den Raab“ den Gegner zu besiegen, ist legendär. So weit gehst du nicht. Aber du willst jedem Sänger, der zu dir in die Sendung kommt, zeigen, dass du eine gute Sängerin bist.
Ich will nicht zeigen, dass ich eine gute Sängerin bin, ich weiß, dass ich eine gute Sängerin bin. Ich will einfach nur mitsingen. Egal, bei wem. Meine Sendung heißt ja auch „Inas Nacht“, das ist mein Abend, und auf den habe ich Bock. Ich möchte quatschen, erzählen, wie es mir geht, und nicht nur abfragen und mit dem Kopf nicken. Und ich möchte eben auch singen, auch wenn manche davon genervt sind, denn wenn diese Sendung von einem lebt, dann vom gemeinsamen Singen. Ich ertappe mich aber dabei, dass ich es schon weniger mache als früher.

Schmerzt dich das, wenn man dir das nach der Sendung mitunter um die Ohren haut?
Ja klar! Als Beth Hart (amerikanische Sängerin, Anm. d. Autoren) bei mir in der Sendung war, musste ich danach in den Kommentarspalten lesen, ich hätte ihren Song „kaputt gesungen“. Das tut mir echt weh, ich will das nicht lesen! Weil es auch einfach nicht stimmt. Ich habe mittlerweile ja auch das Gefühl, wenn man nicht direkt alle Songs selber getextet und komponiert hat und dazu nicht auch noch zwei Instrumente gleichzeitig spielt und steppen kann, ist der Künstler in unserer Gesellschaft nichts wert. Wir vergessen dabei aber völlig die Zeit der Interpreten. Jemand wie Marianne Rosenberg hat in den Siebzigern zwar live gesungen, aber keine Instrumente gespielt und die Songs auch nicht selbst geschrieben. Oder Frank Sinatra oder die Piaf! Trotzdem waren das fantastische Künstler, deren Können niemand angezweifelt hätte. Es gibt viele verschiedene Arten, ein Publikum zu begeistern, auch wenn ihr und andere Journalisten etwas gegen meine Art auf der Bühne habt …

… haben wir doch gar nicht!
Jetzt nichts sagen! Bei mir auf der Bühne wird jedenfalls nicht geturnt, es gibt keine dauernden Umzüge und keine Pyrotechnik, das ist ein klares Statement. Ich kann die Leute auch ohne all dieses Zeug unterhalten. Darauf bin ich stolz!

Du meinst so etwas wie einen Gegenentwurf zur „Helene-Fischerisierung“ der deutschen Musik?
Eine Helene-Fischer-Show ist für mich ein echtes Spektakel. Das ist Zirkus, gepaart mit Höchstleistung, viel Tanz und noch mehr Show. Man könnte es auch „Das-Helene-Fischer-Musical“ nennen. Denn genau das ist es für mich. Ich will darüber gar nicht schimpfen, auch nicht über den Schlager von heute. Der Deutsche marschiert nun einmal gerne. Wenn man zu „Atemlos“ losmarschiert wie ein Zinnsoldat, dann weiß man, warum dieser Song so gut funktioniert. Aber Musik ist ja zum Glück Geschmackssache und nicht diskutierbar.

Du singst tiefgreifende, emotional berührende Lieder wie „Pläne“ über den Tod eines Freundes, gleichzeitig forderst du das Publikum aber immer wieder unter der Gürtellinie heraus. Frauen haben Angst, alt und dick zu werden, Männer sind ein bisschen blöd und sehr schwanzgesteuert. Läufst du nicht Gefahr, mit dieser Mischung aus Reinhard Mey und Jürgen von der Lippe manche zu verprellen, die deine Musik eigentlich schätzen?
Das soll es doch auch sein, diese Mischung aus Reinhard Mey und Jürgen von der Lippe! Warum sollte ich mich entscheiden, nur Musik zu machen oder wie ihr es wahrscheinlich nennen würdet – nur Alte-Frauen-Kabarett?

Von Alte-Frauen-Kabarett haben wir ja gar nicht gesprochen!
Natürlich schieße ich in meinem Programm eher gegen Männer als gegen Frauen. Weil die Frauen meiner Generation sich wirklich viele Jahre von den überwiegend männlichen Kabarettisten und Comedians schlimme Dinge anhören mussten. Ich solidarisiere mich mit den Frauen und piesacke ihre Männer. Das ist vielleicht altmodisch, macht mir aber sehr viel Spaß. Und ich glaube, dass so tiefgründige Songs wie „Pläne“ gerade deswegen so gut funktionieren, weil dieser Abend eine emotionale Achterbahnfahrt ist. Ich kann ernst sein und fühle das dann auch. Aber es gibt zwischendurch eben auch mal den gepflegten Pimmelwitz. Der ist vielleicht nicht besonders schlau, aber damit kann ich sehr gut leben.

Man kann unsere Frage auch umkehren: Ist es typisch deutsch, dich jetzt schon wieder zu fragen, warum du ernsthafte Songs neben Pimmelwitzen machen kannst?
Ich finde schon, dass das sehr deutsch ist. In Amerika gab es zum Beispiel Bette Midler, eines meiner größten Idole. Sie machte auf der Bühne genau das: Sie sang den großen Song, mit viel Pathos, machte dann aber ihre Witzchen, die auch nicht immer schlau und auch oft unter der Gürtellinie waren. Warum sollte ich auf der Bühne auf diese Gabe, Geschichten und Pimmelwitze gut erzählen zu können, verzichten?

Du meinst die Kunstform des Conférenciers, die in Vergessenheit geraten ist. Ein Künstler, der singen kann, führt mehr oder minder geistreich und unterhaltsam mit vielen Anekdoten durch den Abend.
Fritz Rau, der große Konzertveranstalter, hat kurz vor seinem Tod eines meiner Konzerte in Frankfurt besucht und danach zu mir den schönsten Satz gesagt, den ich je über meine Arbeit gehört habe: „Ich habe früher Bette Midler in Deutschland gemacht und immer gedacht, so etwas kriegen wir hier nicht hin. Jetzt weiß ich, das stimmt nicht, wir haben das hier auch!“ Ich stand in meiner Garderobe und habe geweint, weil ich so überwältigt war. Seitdem zweifele ich das, was ich mache, nicht mehr an.

Warum dachte Rau, dass es so etwas wie Midler in Deutschland nicht geben könne?
Weil es diese Tradition in Deutschland nicht gab. Hier warst du entweder Sängerin, die ausschließlich Musik gemacht hat, oder Kabarettistin, dann hattest du meistens eine Kittelschürze an und Lockenwickler drin, und dein Programm hieß: Schwanz ab, Schwanz ab! Dieses Genre wie in Amerika, diesen Harald Juhnke in weiblich, hatten wir hier nie. Ist wahrscheinlich nicht unsere Kultur.

Du hast beim Kabarett angefangen und bist gemeinsam mit Edda Schnittgard und dem Duo Queen Bee bekannt geworden. Gerburg Jahnke vom legendären Frauenkabarett Missfits hat dich früh unter ihre Fittiche genommen. War sie stilprägend für euch?
So stilprägend, dass ich mir, als ich aus der Apotheke kam und auf die Bühne ging, alles von Gerburg abgeschaut habe. Ihre Bewegungen, ihre Art zu sprechen; irgendwann hörte ich mich an, als käme ich aus dem Ruhrpott. Ich habe sie imitiert, weil ich nicht wusste, wie man das macht, Kabarett. Ursprünglich wollten Edda und ich auf der Bühne auch nur singen und gar nichts erzählen. Die Vorstellung, auch zu reden, war Horror für mich!

Die Missfits hatten großen Erfolg, wurden aber auch immer wieder wegen ihres emanzipatorischen Programms von Männern angefeindet. Waren sie ein Eisbrecher, was weibliche Kabarettistinnen in Deutschland angeht?
Gerburg und Stephanie waren der Eisbrecher schlechthin, sie haben sich mit dem Oberkörper auf den Kopierer gelegt und standen mit Titten-T-Shirts auf der Bühne. Heute wäre das kein Skandal mehr, aber damals war es ein unheimlich starkes und witziges Statement. Wegweisend waren vor allem ihre Geschichten, die bei Weitem nicht immer nur der platte Pimmel- oder Emanzenhumor waren. Gerburg und Stephanie sind gelernte Schauspielerinnen und haben gute, vielschichtige Theatergeschichten erzählt: angetrunkene Bestsellerautorinnen, autoritäre Lehrerinnen, Hausfrauen, die den ganzen Tag zu Hause auf ihre Männer warten. Die Missfits haben den Frauen im deutschen Kabarett den Weg bereitet.

Vor den Missfits und auch noch zu ihren Zeiten hat man Frauen diese Rolle auf der Bühne noch kaum zugestanden. Die Kleinkunstszene war sehr männerlastig, es war die Welt von Thomas Freitag, Dieter Hildebrandt. Weibliche Kabarettistinnen wie Frau Jaschke waren eher die Ausnahme.
Politisch war Frau Jaschke aber nicht, das politische Kabarett wurde von den Männern dominiert. Auch Edda und ich waren wesentlich unpolitischer als die Missfits, das war aber auch nicht unser Anspruch.

Du kokettierst in deinen Songs, aber auch in Interviews wie jetzt immer wieder mit dem Thema Alter und sprichst etwa von „faltigen Händen“. Ist dein Älterwerden so ein großes Thema für dich?
Natürlich ist das ein Thema! Ich will in meinen Songs nicht beliebige Texte singen, immer von Wind und Himmel und Liebe und Sehnsucht, sondern über Themen, die eine jüngere Frau so vielleicht noch nicht singen könnte. Ein Lied wie „Pläne“ kann ich glaubwürdiger vertreten, weil in meinem Alter die ersten Freunde anfangen zu sterben. Ich kann auch eher darüber Texte schreiben, wie es ist, kein Kind bekommen zu haben, auch das kann eine 25-Jährige nicht. Ich suche bewusst nach den Themen meiner Generation. Zumal unsere Gesellschaft das Älterwerden irgendwie noch immer ausblendet.

Wirklich? Wir haben den Eindruck, die Älteren haben heute eine lautere Stimme als früher.
Die Oma ist in der Gesellschaft ja auch anerkannt, die findet man schon wieder gut. Wenn du siebzig und witzig bist, dann ist das okay. Aber eine mittelalte Frau wie ich zu sein, ist gerade ziemlich unmodern. Die „OK-Boomer“ blendet man lieber aus. Wir kommen in der Gesellschaft gerade irgendwie nicht so sympathisch rüber wie ihr.

Vielen Dank, aber so jung sind auch wir nicht mehr. Wir sind um die vierzig und haben auch oft das Gefühl, von den Klischees überfordert zu werden. Weil immer so getan wird, als könne man alles problemlos unter einen Hut bekommen: Familie, Karriere, Beziehung, und das alles am besten störungsfrei und immer gut gelaunt.
Ja, und mit dem Altern ist es genauso. Wir sollen ganz natürlich aussehen, ungeschminkt, authentisch sein. Und dann wirst du auf dem Weg zum Sport fotografiert und siehst sehr natürlich, ungeschminkt und authentisch aus, und es heißt: „Oh Gott, ist das etwa Ina Müller?“ Im Moment gibt es eine riesige Verlogenheit, weil auf der einen Seite der Eindruck erweckt wird, es sei überhaupt kein Problem, alt und faltig zu sein. Aber auf der anderen Seite wird es überhaupt nicht akzeptiert. Dabei kann nicht jede Frau Iris Berben sein, in die wir alle verliebt sind, weil sie so eine tolle Schauspielerin und wahnsinnig sympathisch ist und mit siebzig außerdem noch unfassbar gut aussieht!

Heute tut die Gesellschaft so, als sei sie schon viel toleranter und emanzipierter, denkt aber immer noch dasselbe, nur dass sie es nicht mehr offen zugibt?
Das hast du schlau auf den Punkt gebracht. Aber du hast ja auch studiert.

Siehst du Unterschiede bei Männern und Frauen, was diese Verlogenheit angeht?
Männer holen ja stark auf, was den Beautydruck im Promibusiness angeht. Was bei den Frauen immer schon wichtig war, also schön und dünn sein, sind beim Mann jetzt das Sixpack und die dicken Arme. Der durchtrainierte Körper kann nicht die fehlende Intelligenz oder den fehlenden Humor ersetzen.

Ist das Bild, das du da malst, nicht selbst doch eher ziemlich klischeehaft?
Nein, wieso denn? Allein die Debatte über Adele, die jetzt so abgenommen hat. Viele Zeitungen haben mit großer Bewunderung darüber geschrieben, wie toll sie das finden. Aber wenn es doch schon so nebensächlich ist und angeblich keine Rolle mehr spielt, wie man aussieht, warum schreiben sie dann überhaupt noch darüber? Eigentlich dürfte nur die Tatsache ein Thema sein, dass Adele eine fantastische, außergewöhnliche Sängerin ist. Das Wichtigste für viele ist im Moment aber: Adele hat abgenommen.

Spürst du diese verzerrten Mediendebatten auch in anderen Bereichen? Du hast keine Kinder. Hast du das Gefühl, dich dafür rechtfertigen zu müssen, nicht Mutter geworden zu sein?
Nein, ich habe meine Kinderlosigkeit nie als Tabuthema gesehen. Ich habe sie ja selbst für mich gewählt. Aber ich bekomme mit, dass es als Tabuthema behandelt wird, und finde es schlimm, dass man in dieser Frage heute so Partei ergreifen muss. Ich singe auf der Bühne den Song „Wie du wohl wärst“, damit besinge ich alles, was ich darüber denke. Aber manchmal möchte ich auch zurückfragen: „Warum ist es eigentlich so toll, Kinder zu haben?“ In einer Folge des Podcasts „Fest und Flauschig“ sagte Jan Böhmermann neulich den Satz: „An alle kinderlosen Wichser da draußen.“ Mir ist die Zahnbürste aus dem Mund gefallen, weil mich die Härte der Aussage so getroffen hat. Die einen können eben keine Kinder bekommen, die anderen wollen keine.

„Inas Nacht“ wirkt auch deshalb so echt, weil du Dinge zum Programm erhebst, die mittlerweile eigentlich verpönt sind, Alkoholtrinken zum Beispiel. Heutzutage kein kleines Vergehen mehr.
Oder Plastikstrohhalme! Neulich war in einer Folge ein Plastikhalm in einem Longdrink, und es gab viele erboste Zuschriften. Aber wir sind eben bei Frau Müller, in einer Kneipe, in der es noch keine Glashalme gibt. Wir könnten jetzt so tun, als gäbe es sie schon. Das will ich aber nicht. Beim Alkohol ist die Empörungswelle manchmal ähnlich groß, aber wem will man denn weismachen, dass erwachsene Menschen nach 22 Uhr in einer Kneipe nur am Wasser rumnuckeln? Nur beim Rauchen reißen wir uns zusammen. Die Hälfte meiner Gäste raucht, und dann machen wir halt kurz die Kamera aus und rauchen eine zusammen.

Nervt dich das, dieser gut gemeinte „Tugendfuror“?
Mich nervt es, dass unsere Gesellschaft immer radikaler wird. Manchmal möchte ich auf die Straße rennen und laut schreien: „Leute, jetzt mal ganz ehrlich! Wo ist eigentlich das gute, alte Mittelmaß geblieben?“ Es gibt nur noch entweder viel Fleisch essen oder Veganer sein, Kette rauchen oder gar nicht rauchen, saufen oder keinen Schluck anrühren. Warum nicht ein bisschen rauchen, ein bisschen Fleisch essen, ein bisschen saufen? Oder sich zur Abwechslung mal nur ein bisschen beschweren? Ich habe das Gefühl, wir sind mittlerweile alle so frei, dass wir es vor Freiheit kaum noch aushalten. Und deshalb setzen wir uns damit diese engen Grenzen selbst.

In deiner Sendung kommst du deinen (männlichen) Gästen in gemütlicher Kneipenatmosphäre auf der Bank sehr nah. Hast auch du schon Ärgerliches erlebt?
Kleine Anzüglichkeiten, die „zufällige“ Hand auf dem Bein? Anzüglichkeiten gibt es immer wieder mal, deshalb muss das Setting klar sein. Ich bin stark, du bist stark. Wir begegnen uns hier auf Augenhöhe. Wenn wir dann rumfrotzeln, ist das in dieser Situation völlig okay. Das Problem ist eher, dass ich viele Menschen kenne, die sagen: „Wieso wehren die Frauen sich nicht direkt und hauen den Männern nicht einfach auf die Finger?“ Ich bin stark, ich würde Männern auf die Finger hauen und habe das auch schon getan! Ich haue drauf, verbal und von mir aus auch körperlich. Aber man darf einfach nicht davon ausgehen, dass jede Frau stark ist. Wenn Frauen so etwas erleben, sind viele erst einmal geschockt und wie gelähmt und nehmen das mit nach Hause. Nicht jede hat den Mut, sich sofort zu wehren, und das ist wichtig zu wissen. Das muss man akzeptieren.

Man fragt im weiblichen Bekanntenkreis herum und erschrickt, weil fast jede Frau von solchen Erfahrungen berichten kann. Wie bei der Betriebsfeier „zufällig“ die Hand auf dem Oberschenkel landete. Oder wie sie beim Konzert in der Menge angegrapscht wurde.
Das kennt doch fast jede Frau! Irgendwer begrapscht dir in der Menge den Hintern. Du drehst dich um, dann ist der Typ in der Menge schon untergetaucht. Dir fällt die Kinnlade herunter, und du fragst dich: Sage ich jetzt was, oder bin ich dann wieder die überspannte Emanze? Das macht was mit einem, weil es einfach übergriffig ist. Wir sprechen hier nicht von Vergewaltigung. Es sind diese vielen kleinen, miesen Tatschereien, die du im Gewühl gar nicht so schnell zuordnen kannst. Oder wie reagiert man auf den wichsenden Typen, mit dem man nachts allein in der U-Bahn sitzt? Was sagt man da?

Auch das haben wir noch nie erlebt. Weggehen? Konfrontieren?
In jedem Fall die Männer nicht mit solchen Sachen durchkommen lassen, die Polizei rufen! Sich wehren, stark sein! Es tut mir auch leid, dass ich hier so pauschalisieren muss. Natürlich sind nicht alle Männer so. Aber es gibt keine andere Lösung dafür, als diese Dinge so hart anzusprechen.

WEITERLESEN: Das Gespräch ist eine gekürzte Fassung aus „Soundtrack Deutschland“ von Oliver Georgi und Martin Benninghoff (EMF Verlag)

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