Wenn Wohnen unbezahlbar wird
Wie Menschen wohnen ist immer ein Gradmesser für Gleichberechtigung. Dabei geht es für Frauen längst nicht mehr nur um „das Zimmer für sich allein“, wie es Virginia Woolf als Voraussetzung für freie Entfaltung proklamierte. Knapp hundert Jahre später ist das Wohnen noch immer eine „große soziale Frage“, wie Bundesbauministerin Klara Geywitz im Interview mit EMMA sagt, und: eine große Frauenfrage.
Im Zuge der Finanzkrise entwickelte sich der Immobilienmarkt nach 2008 rasant zum Goldgräberparadies global agierender Investmentgesellschaften, die ihre Scouts auf der Suche nach Beute in die Städte aussandten. Fündig wurden sie überall dort, wo Staat, Länder und Gemeinden kommunale Wohnungsbaugesellschaften abgewickelt, den sozialen Wohnungsbau ad acta gelegt und sich als Akteure aus der Wohnungspolitik zurückgezogen hatten. Die Folgen: Ins Hundertfache potenzierte Bodenpreise, steigende Mieten, sowie ein eklatanter Mangel an bezahlbarem Wohnraum.
Ein dem Gesetz des Dschungels überlassener Wohnungsmarkt bedroht Frauen in ihrer Existenz noch dramatischer als Männer, auch wenn der Tiefpunkt, die Obdachlosigkeit, offensichtlich eher Männer zu treffen scheint. Frauen kaschieren ihre Notlage, arrangieren sich irgendwie, verharren in schlechten Beziehungen oder prostituieren sich. Die Not summiert sich besonders an der Schwelle zum Alter und führt dazu, dass viele Frauen mit dem Beginn der Rente um ihr Dach über dem Kopf fürchten müssen. Einkommen und Renten sind nicht proportional zu den Mieten gestiegen. Von den alleinlebenden Rentnerinnen in Deutschland hat mehr als jede zweite maximal 1.300 Euro im Monat zur Verfügung. Und jede zweite Frau lebt in Deutschland ab 65 Jahren allein. Mindestens ebenso unter Druck sind alleinerziehende Mütter. In Deutschland sind das mehr als zwei Millionen Frauen.
Im Zuge der Privatisierung des Wohnraums verschärft ein inzwischen verbreitetes Phänomen die Kluft zwischen MieterInnen und EigentümerInnen: die Eigenbedarfskündigung. Die Schonzeiten nach der Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen variieren je nach Stadt und Dauer des Mietverhältnisses. Wer in Berlin wegen Eigenbedarfs gekündigt wird, hat in der Regel neun Monate Zeit bis zum Auszug. Erst als eine Berliner Kommunalpolitikerin, Astrid Hollmann (SPD), am eigenen Leib erfuhr, was Wohnungssuche, zumal unter Zeitdruck bedeutet, brachte sie Vorschläge zu gesetzlichen Änderungen ein: die Fristverlängerung sowie die Verpflichtung der Eigentümer zur Übernahme der Kosten für die Wohnungssuche und den Umzug.
Etwas fällt auf: Die Abwesenheit jedes Gedankens an gemeinschaftliches Wohnen. Sind Wohnprojekte inzwischen unattraktiv geworden? Haftet ihnen der Ruch des Zwangskollektivs an?
Das gemeinschaftliche Wohnen haben Frauen schon vor Jahrhunderten gewählt, auch außerhalb der Klöster, die für viele Frauen keineswegs immer eine freiwillige Lebensform waren. Im Mittelalter schlossen sich ledige und verwitwete Frauen zu Beginen-Gemeinschaften zusammen, in denen oft auch unabhängig gewirtschaftet wurde. Bis ins 19. Jahrhundert hinein prägten die Beginen-Höfe Architektur und Leben zahlreicher europäischer Städte. Heutige Frauenwohnprojekte, die das Wort Begine im Namen führen, sind höchst unterschiedlich organisiert. Die in Tübingen ansässige Beginenstiftung unterstützt und begleitet Frauen, die gemeinschaftlich leben wollen, bei der Realisierung von Wohnprojekten. Drei Beginenhäuser sind so entstanden, die Bewohnerinnen sind Mieterinnen, jüngere Frauen mit Kindern oder ältere Frauen, die im Alter nicht allein leben wollen. Anders in Berlin: Das BeginenWerk e. V. initiierte zu Beginn der 1990er Jahre ein Wohnprojekt für Frauen in Berlin-Kreuzberg und entschied sich für eine andere Struktur: Jede Frau lebt hier in ihrer Eigentumswohnung. Unter dem Label „Frauen Wohnen im 21. Jahrhundert“ setzte sich das Projekt an weiteren Standorten in Berlin fort.
Einen lebendigen Wohn- und Kulturort für Frauen schufen die Frauen des Beginen Hofs Essen. Im ehemaligen Finanzamt Essen-Süd leben Frauen mit und ohne Kinder in abgeschlossenen Mietwohnungen, es gibt Gemeinschaftsräume und Angebote, die in das Viertel ausstrahlen.
Wie so viele emanzipatorische Errungenschaften wurden auch frühe Ansätze feministischen Planens und Bauens in Deutschland durch die NS-Zeit unterbrochen und lagen über Jahrzehnte brach. In ihrem Buch „Mehr als schöner Wohnen! Frauenwohnprojekte zwischen Euphorie und Ernüchterung“ warfen Ruth Becker und Eveline Linke einen Blick auf die Geschichte des visionären und zugleich pragmatischen Denkens von Architektinnen wie Margarete Schütte-Lihotzky und Lilly Reich, die in den 1920er Jahren einerseits die hauswirtschaftliche Arbeit von Frauen erleichtern wollten, zugleich aber auch schon Wohnungen für alleinlebende berufstätige Frauen entwarfen. Die 1950er- und 1960er Jahre boten mit ihrem Leitbild der Kleinfamilie mit Hausfrau kaum Nährboden für fortschrittliche Projekte.
Erst die zweite Frauenbewegung in den 1970er Jahren brachte neben einer Debatte über neue Grundrisse, die Mütter nicht in eine winzige Küche verbannten, auch autonome Frauenwohnprojekte wieder auf die Tagesordnung. Das erste entstand 1978 in Stuttgart, hervorgegangen aus dem Frauenkulturzentrum Café Sarah. Es existiert bis heute. Mit einer Hausbesetzung begann in den 1980er Jahren das Berliner Frauenwohnprojekt „Hexenhaus“. Die Architektin Marion Linder, von Anfang an dabei, wohnt auch heute noch dort. „Null Fluktuation, null Wartelisten“, bringt sie die Stabilität der Gemeinschaft auf den Punkt. Die Frauen sind allesamt Mieterinnen, das Haus gehört dem Verein „Hexenhaus e. V.“, in dem sämtliche Frauen Mitglied sind. Es gibt Gemeinschaftsräume und ein Gästezimmer, größere und kleinere Wohnungen, allesamt nach den Wünschen der Bewohnerinnen entworfen. „Wir organisieren uns komplett selbst“, sagt Marion Linder. Konflikte – etwa um die Aufgabenverteilung um die Gemeinschaftsräume herum – werden intern gelöst. „Wir sind alle nicht mehr so explosiv wie früher.“
Andere Projekte, wie das Lila Luftschloss in Frankfurt am Main, entstanden auf Erbpacht-Grundstücken, die die Stadt einer Wohnungsbau-Genossenschaft für Frauen überlassen hatte. Auch dieses Projekt besteht heute noch mit Häusern an inzwischen drei Standorten.
Schwierige Anlauffinanzierungen und eine lange Bauzeit, in der sich manche Frauen vom Projekt verabschieden, sind typisch für viele dieser Initiativen. Sie brauchen die Bündnisse mit Kommunen, aber auch mit sozial orientierten Wohnungsbaugesellschaften und ArchitektInnen. Das Berliner Alleinerziehenden-Projekt „LebensTraum Haus“ in Moabit ist ein positives Beispiel dafür, was mit Hartnäckigkeit, der Suche nach Verbündeten und eigenem Einsatz bis hin zur Arbeit auf der Baustelle erreicht werden kann. So war die Architektin Anne Lampen mit ihren Entwürfen in Vorleistung gegangen, noch bevor die Finanzierung feststand. Bei den Grundrissen wurden die Wünsche der Bewohnerinnen – und des einzigen männlichen Bewohners – miteinbezogen. Nach vier Jahren Bauzeit im Jahr 2001 bezogen, leben heute fast alle der ersten Bewohnerinnen noch immer in dem imposanten Stelzenbau. Auf dem Dach erzeugt eine Solaranlage einen großen Teil des Stroms.
Gemeinschaftliches Wohnen von Frauen ist zukunftsweisend.
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