Kiki Kogelnik: Now is the Time
Gleich beim Eintreten in die große Ausstellung steht man ihr direkt gegenüber, wie zum Duell beim Showdown eines Westernfilms: frontal, die Beine breit, die Hände an beiden Seiten hängend, allzeit bereit, den Colt zu ziehen. Eine Hand hält schon etwas gezückt – es ist ein Pinsel, von dem dick die rote Farbe tropft. Genau vor der Vulva des Cowgirls.
„Neue Periode“, notierte Kiki Kogelnik zu diesem angriffslustigen Selbstporträt, für das sie zunächst ihre eigenen Umrisse abgezeichnet und dann bedrohlich schwarz ausgefüllt hatte. Zweideutig ist damit einerseits die Periode der Frau gemeint, und andererseits eine Periode, die gemeinhin das Werk von Künstlern strukturiert. Und Künstlerinnen. „The Painter“ benannte Kiki Kogelnik ihr bedrohliches Porträt von 1975 geschlechtsneutral auf Englisch.
Über zehn Jahre lebte die in Kärnten als Tochter einer alleinerziehenden Englischlehrerin geborene Malerin da bereits schon im fernen New York. Sie war da stadtbekannt, ein Glamour-Girl der Kunstszene, immer in extravagante Kostüme gehüllt, gern aus Pelz und Latex, mit breitkrempigen Hüten und überschminkten Augen. „A walking work of art“ nannte ihr Pop-Art-Kollege Claes Oldenburg sie, der Avantgarde-Komponist Morton Feldman bezeichnete sie gar als „Love Goddess of Pop Art“.
Kiki galt mit ihrer Atelier-Nachbarin, der Performance-Künstlerin Carolee Schneemann, als „Cunt Mascot“, also Muschi-Maskottchen, der Pop-Art-Szene. Ihre Rolle im machistischen Kunstbetrieb der Siebziger wird in dem vielstimmigen Filmporträt über „Kikis Kosmos“ (2010 von ORF-Journalistin Ines Mitterer) auf die Realität heruntergebrochen. Kogelnik kam da nur mehr posthum zu Wort, sie war 1997 an Brustkrebs gestorben.
Ein makabres Schicksal für diese Frau eines Radiologen, der in New York auch angesagte Szene-Lokale betrieb. Durch ihn hatte sich Kogelnik schon früh mit Bildmaterial aus der Diagnostik beschäftigt, die sie in ihre großen, knallbunten, damals übereilt als glatt und oberflächlich abgetanen Bilder aus den Sechzigerjahren einbaute. Abgetrennte weibliche Körperteile – oder sind es Prothesen? –, Zahnräder, Schrauben schweben darauf durch leere Räume, verbunden oft zu hybriden Körpern aus Mensch und Maschine. Manche wirken wie Schnittmuster oder Baupläne zum „Cyborg Manifest“ der kunsttheoretischen Zeitgeist-Göttin Donna Haraway oder Rosi Braidottis „Posthumanem Feminismus“.
Nicht zufällig stand Kiki also auf der Biennale Venedig 2022 mit ihrem rund 90-prozentigem Künstlerinnenanteil im Zentrum. Die Chefkuratorin in Venedig, Cecilia Alemani, hatte Kogelniks Werk in einer kleinen Galerie in New York entdeckt. Sie platzierte 20 der Großformate von Kogelnik in eines der „Zeitkapsel“-Kapitel an sehr prominenter Stelle, als eine Art Show-Stopper im großen Arsenale-Parcours. Das war Kogelniks später Durchbruch. Wenig später startete ihre „Now is the Time“ überschriebene Retrospektive im Wiener BA-Kunstforum. Die Ausstellung wird ins dänische Kunstmuseum Brandts und ins Kunsthaus Zürich weiterwandern.
Jetzt ist Kiki also endlich raus aus der Kitsch-Ecke, in die sie vor allem in ihrer Heimat Österreich lange gedrängt wurde. Warum dieser ewige Kitsch-Verdacht? Das hat mehrere Gründe: Österreich war die fröhliche Formensprache der Pop Art immer verdächtig, zu wenig existenziell und pathetisch. Man rächt sich hier auch gerne an solchen, die ausziehen, woanders zu leben. Und man kannte Kogelnik zunächst durch die Flut ihres Spätwerks, das sie zurück nach Wien und Kärnten führte. Und dieses Spätwerk kann schwer missverstanden werden: hohle Gesichter, die wie Karnevalsmasken aussehen, auf Leinwänden, in Keramiken, vor allem aber auch in buntem Muranoglas.
Dabei geht es um Tod, es ist eindeutig Kogelniks Gesicht, mit ihrer stacheligen späten Igelfrisur. Sie ist krank. Sie kombiniert gerne Skelette dazu – „Hi!“ grüßt eines der ersten den Betrachter. Das ist Kogelniks Kunst: Pop-Art. Die nicht moralisiert. Die aber, anders als die vieler prominenter Kollegen, sehr wohl politisch Stellung bezieht. Auch wenn sie sich selten dezidiert feministisch äußerte, war immer klar: Ihre posierenden Frauenfiguren aus den Siebzigern etwa, die wie Modepuppen aussehen, die sexy Röckchen und gepunktete Tops und Plateauschuhe tragen, haben leere Augen und sind bleich wie Leichen. „Meine Malerei handelt von Frauen, von Illusionen, die Frauen über sich selbst haben“, beschrieb sie ihre Bilder. „Über ihre Idee von Schönheit und die Künstlichkeit, mit der sie gezeigt werden.“
Kogelnik war Mutter und Ehefrau, aber auch Künstlerin. Auf einer Einladungskarte zu einer ihrer Ausstellungen Ende der Siebzigerjahre stand wörtlich: „Trotz eines verhältnismäßig glücklichen Ehelebens ist eine gewisse feministische Aggressivität in ihrem Werk nicht von der Hand zu weisen.“ Mit schwarzem Stift strich die Künstlerin eigenhändig diese Passage aus.
Bei einem TV-Interview 1975 zeigt der Reporter sich fasziniert davon, dass der Gatte tatsächlich nichts dagegen einzuwenden hatte, dass Kogelnik für eine Party mit Freundinnen einen Stripper einlud. Gleich wollte der Journalist wissen: Ob sie denn weitere Kinder haben möchte? Nein, antwortete sie, als Mutter wie Hausfrau tauge sie nicht viel. „Mein Programm ist, einfach weiterzuarbeiten und ein Leben zu führen, das mich interessiert.“ Sie hatte einen Sohn, der heute ihre Foundation leitet.
Bis lange nach ihrem Tod war Kikis Aussehen und ihr Frausein mehr Thema als ihre Kunst. Nachzulesen auch im Katalog der großen Ausstellung ein Jahr nach ihrem Tod im Belvedere, wo man statt theoretischer Texte über ihre Kunst Zitate von Berühmtheiten einholte: Da lobten die Herren Künstler dann Kogelniks „weibliche Schönheit, geprägt von natürlicher Frische“, ihren „Sexappeal“, ihre malerischen Fähigkeiten „als Frau“. Und bis heute wird immer wieder in Porträts über Kogelnik die uralte Anekdote mit Arnulf Rainer, dem berühmten Wiener Maler reproduziert, der in den 50er Jahren ein paar Monate mit der jungen Kunststudentin verlobt war. Kogelnik selbst erwähnt seinen Namen in dem TV-Beitrag von 1975 nicht. Aber sie erzählt die Geschichte, wie sie mit einem Maler verlobt war und sich ihr Traum einer gleichberechtigten Maler-Ehe doch als ein recht unterschiedlicher herausstellte: Als der Zukünftige ihr seine Villa zeigte, führte er sie schließlich auch an den Ort, an dem sie seiner Vorstellung nach ihr Atelier haben dürfte – und schraubte dafür am Dachboden noch schnell eine Glühbirne für sie ein. „Ich habe ihn dann auch nicht geheiratet“, kommentierte sie lapidar.
Die Kunstszene war eine harte Männerpartie im Wien der Nachkriegszeit, als hätte es die Künstlerinnen der Wiener Werkstätte, die Bauhaus-Frauen wie Friedl Dicker dort nie gegeben. Alle Errungenschaften vergessen und ausgerottet. Maria Lassnig war die erste Frau, die in der führenden Wiener Avantgarde-Galerie St. Stephan ausstellen durfte. Kiki Kogelnik 1961 die zweite. Geleitet wurde die Galerie vom Wiener Dompfarrer, der in seiner Eröffnungsrede nicht müde wurde, die „Joie de Vivre“ (Lebensfreude) zu loben, die aus „Kikis“ Bildern leuchten würde. Ja, was täte man ohne die Lebensfreude der schönen jungen Frauen.
Ohne diese hätte Kiki allerdings auch nicht dieses Entree in New York geschafft, das anderen,
etwa einer Maria Lassnig, nicht vergönnt war: Als Freundin des abstrakten US-Malers Sam Francis, den sie in Paris kennengelernt hatte, bekam Kiki eines seiner Ateliers zur Verfügung gestellt, er schmiss sogar jemanden anderen für sie raus. Das Loft war so groß, erzählt sie stolz, dass sie mit Rollschuhen herumfahren musste. Es gibt härtere Wege, in die New Yorker Kunstszene eingeführt zu werden.
Als „Cunt Mascot“ hatte man Vorteile, auch als Szene-Gastronomen-Gattin. Dem Ruhm allerdings war es weniger dienlich, ihre Kunst wurde belächelt, die Dinner-Gäste des Gatten fragten nicht nach ihren Bildern. Da war wiederum der von außen gesehen härtere Weg etwa der Maria Lassnig – immer spröde, immer ein wenig neidisch auf die jüngere Landsfrau Kiki – dann doch der steilere.
Heute jedenfalls befindet sich Kiki Kogelniks Kunst mitten in der Neubewertung. Klar, stark und frontal steht sie bereit dafür, als schwarze Silhouette, ein wehrhafter Geist. Mit dem blutigen Pinsel in der Hand. Vor ihrem Geschlecht.