Ziemlich Schlaue Mütter

Foto: Olaf Wagner/IMAGO
Artikel teilen

Die Tüpfelhyänen
Die Welt wäre eine bessere, wären wir alle Tüpfelhyänen. Zugegeben, sie gehören nicht gerade zu den Tieren, die man streicheln will. Doch für Frauen sind Tüpfelhyänen echte Role Models.

Anzeige

Es fängt schon  damit an, dass bei ihnen die Weibchen größer und stärker sind als die Männchen. Selbstverständlich leben sie im Matriarchat, das gerne mal bis zu 70 Mitglieder fassen kann. In der strengen Hierarchie steht selbst das ranghöchste Männchen noch unter dem rangniedrigsten Weibchen. Das gilt besonders beim Fressen. Da legt das Männchen dann stehend ergeben ein Vorderbein über das andere, das leicht einknickt, wenn ein Weibchen den Vortritt will. Eine Art Hofknicks.

Auch sonst herrschen royale Sitten. Die Rolle der Clanführerin wird vererbt – und zwar ausschließlich an die erstgeborene Tochter. Die Jungtiere werden nicht nur im Kollektiv erzogen, die Mutter sorgt auch für den „richtigen Umgang“ ihrer Töchter. Beobachtungen aus 27 Jahren Tüpfelhyänenforschung in Kenia zeigen, dass junge weibliche Hyänen häufig zu denselben Tieren enge Kontakte pflegen wie ihre Mütter.

Die Rolle der Clanführerin wird vererbt – und zwar an die erstgeborene Tochter

Die Töchter schauen sich generell alles bei den Müttern ab, sorgen so für den eigenen hohen sozialen Status und sind dann als Erwachsene im Clan ähnlich privilegiert wie ihre Mütter. Aber es kommt noch besser: Die sogenannte „Maskulinisierung“ zeigt sich auch anatomisch. Die Klitoris ist umgeformt zu einem „Pseudo Penis“, der in der Größe etwa dem der Männchen entspricht. Voll erigierbar. Eine vom Männchen erzwungene Paarung ist unmöglich, die Weibchen haben absolute Kontrolle darüber, mit wem sie sich fortpflanzen wollen. Männchen, die es wagen, ein Weibchen anzugreifen, werden vom Rudel sofort ausgeschlossen oder totgebissen. Tja …

Die Seepferdchen
Seepferdchen (und andere Seenadeln, zu deren Familie sie gehören) bilden die größte Ausnahme der Evolution. Denn bei ihnen bekommen die Männchen die Kinder. Keine Zeit für rivalisierende Kämpfe, das Markieren von Gebieten oder Fremdgehen – die Jungs haben zu tun.

Zuvor treffen sich Männchen und Weibchen in den Morgenstunden, sie haken ihre Schwänze ineinander und schwimmen synchron umher. Ist das Weibchen dann paarungsbereit, beginnt es mit dem Balztanz im wogenden Seegras, der mit der Begattung endet. Für diese fährt das Weibchen einen Schlauch aus und spritzt die Eier in die Bauchtasche des Männchens, das es mit seinem Sperma befruchtet.

Die Seepferdchen-Jungfische wachsen in der Bauchtasche das Männchens heran

In der Tragezeit versorgen die Männchen ihren Nachwuchs im Beutel mit Nährstoffen, entsorgen Ausscheidungen und sorgen für den Gasaustausch – ähnlich wie die Plazenta bei Säugetieren. Zehn bis zwölf Tage wachsen die Jungtiere in der Bauchtasche des Männchens heran. Dann zieht es sich dezent ins Seegras zurück und beginnt die Jungfische zu gebären, teils unter krampfartigen Schmerzen. Verlassen die Jungen die Bauchtasche, endet die elterliche Fürsorge.

Die Koala-Bären
Die australischen Koala Bären, die nicht zu den Bären, sondern zu den Beuteltieren gehören, erleben wohl die entspannteste Schwanger- und Mutterschaft ever. Es sind die Weibchen, die den Zeitpunkt der Paarung festlegen, und bevor der Nachwuchs des Vor- oder Vorvorjahres nicht selbstständig ist, passiert da gar nichts.

In der Paarungszeit machen Männchen mit lautem Gebrüll und einer Mischung aus Schnarch- , Grunz- und Rülpslauten auf sich auf merksam. Stößt das beim Weibchen auf Interesse, lockt es den Partner an. Manchmal macht es sich aber auch lieber selbst auf, um ein adäquates Männchen zu finden. Sobald der Paarungsakt vor bei ist, wird das Männchen vertrieben. Nach nur 35 Tagen kommt der Nachwuchs zur Welt. Die Geburt passiert mehr oder weniger nebenbei, das Baby ist nur zwei Zentimeter lang, nackt, blind und sieht aus wie ein rosafarbenes Böhnchen.

Die Geburt passiert so nebenbei, das Baby ist nur zwei Zentimeter lang

Sofort macht es sich ohne die Hilfe der Mutter auf den Weg zum Beutel. Dort angekommen, saugt es an der Zitze, die anschwillt und verhindert, dass das Neugeborene von seiner Nahrungsquelle getrennt wird. Zusätzlich zieht das Muttertier den Schließmuskel an der Beutelöffnung zusammen, um ein Herausfallen des Babys zu verhindern. Die Mutter braucht kein Nest, keine Höhle, muss nicht nach Feinden Ausschau halten oder Futter ranschaffen. Ihr Baby schlummert gut geschützt in ihrem Beutel, nuckelt sich groß und öffnet nach fünf bis sechs Monaten zum ersten Mal die Augen. Um sich eine Übersicht verschaffen, streckt es vor sichtig von Zeit zu Zeit den Kopf aus dem Beutel und wandert nach sechs Monaten auf den Rücken
der Mutter, um dann mit ihr Eukalyptus zu kauen.

Mehr EMMA lesen: Die September/Oktober-Ausgabe jetzt im EMMA-Shop!
Mehr EMMA lesen: Die September/Oktober-Ausgabe jetzt im EMMA-Shop!

Die Bonobo-Affen
Bonobo Mütter setzen dem Thema Mutterschaft quasi die Krone auf. Ihnen geht es in erster Linie um reichlich Nachwuchs, besonders bei den Enkelkindern. Und da überlassen sie nichts dem Zufall. Bonobo-Weibchen haben – im Vergleich zu Schimpansen – eine starke Stellung in der gemischten Gruppe, sind oft das dominantere Geschlecht. Weibchen bilden mit anderen Weibchen Koalitionen und bevorzugen nicht-aggressive Männchen.

Die biologischen Vorteile männlicher Aggression sind für Bonobos sogar zu einem Negativmerkmal geworden. Laut Studien des „Max Planck Instituts für evolutionäre Anthropologie“ in Leipzig besteht bei ihnen kein Zusammenhang zwischen Dominanzstatus, Testosteron und Aggression. Bonobos mögen es friedlich. Und die Mütter unter ihnen nutzen ihren hohen Rang, um ihre Söhne an Weibchen heranzuführen, die sie für besonders geeignet halten. Nicht nur das. Sie schützen ihre Söhne bei der Brautwerbung vor konkurrierenden Männchen und behindern die Rivalen auch aktiv bei Annäherungsversuchen. Der resolute Beistand der Mütter hat Erfolg. Die Aussicht der Söhne auf Vaterschaft steigt um das Dreifache.

Bonobos mögen es friedlich, Weibchen bilden mit anderen Weibchen Koalitionen

Bonobo-Weibchen sind auch dem eigenen Geschlecht recht zugetan. Konflikte lösen sie meistens durch Sex. Begegnen sich fremde Bonobo-Gruppen an Reviergrenzen, laufen die Weibchen mitunter auf die andere Seite und reiben mit den fremden Weibchen ihre Genitalien aneinander. Innige Umarmungen, Zungenküsse, gegenseitige orale und manuelle Stimulation, ekstatisches Aneinanderreiben der Geschlechtsteile ist für Bonobos fester Bestandteil sozialer Interaktion – und zwar homo- wie heterosexuell. „Sex ist für Bonobos wie Hände schütteln“, sagt der Primatenforscher Frans de Waal.

Die Elefanten
Sie gehören ohne Frage zu den weisesten Müttern des Tierreichs. Das Familienleben spielt sich bei Elefanten hauptsächlich unter den Weibchen ab. Während die Männchen ab der Pubertät (sechs bis acht Jahre) zu Einzelgängern werden oder in kleinen Bullen Grüppchen leben, bleiben die Weibchen ihr Leben lang im Familienbund. Durchschnittlich zehn miteinander verwandte Elefantenmütter und ihre Kälber bilden die eisern verbundene Herde.

Das dominanteste Weibchen mit der größten Erfahrung führt die Gruppe an. Oft ist es die Mutter oder Großmutter mit den meisten Nachkommen. Sie legt die Wanderrouten fest, weiß, wo sauberes Wasser und frische Vegetation zu finden sind, und sie gibt ihr Wissen an die nächste Generation weiter. Die Leitkuh bestimmt das gesamte Familienleben. Bei Gefahr stellt sie sich als erste schützend vor ihre Herde.

Das Elefantenweibchen mit der größten Erfahrung führt die Gruppe an

Sobald ein Elefantenbaby geboren wird, eilen alle Herdenmitglieder herbei, bilden einen schützenden Kreis und unterstützen die werdende Mutter bei der Geburt. Die enge Bindung zwischen dem Muttertier und ihrem Kind besteht bis weit über das Erwachsenalter, das Kind wird von der gesamten Herde beschützt. Auch andere Elefanten können es säugen und spielen mit ihm. Verwaiste Kälber werden adoptiert. Stirbt ein Weibchen der Herde, bleiben die anderen lange Zeit in der Nähe, um zu trauern. Sie halten regelrecht Totenwache.

Von wegen ‚im Tierreich sind Weibchen noch Weibchen und Männchen noch Männchen‘ – im Tierreich gibt es Weibchen und Männchen, die so sehr gegen jedes Klischee sind, dass Männchen und Weibchen noch was davon lernen können.

 

Artikel teilen
 
Zur Startseite