Kanzler gegen Sexkauf!

Die Abgeordneten Winkelmeier-Becker und Bär sowie Bundeskanzler Olaf Scholz: Kommt bald ein Sexkauf-Verbot?
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15. November 2023. Fragestunde im Deutschen Bundestag. Der Kanzler steht Rede und Antwort. Die CSU-Abgeordnete Dorothee Bär ergreift das Wort und fragt Kanzler Olaf Scholz: „Sie sind Bundeskanzler des Landes, das als Bordell Europas gilt. Deutschland ist leider eine Hochburg sexuellen Missbrauchs und sexueller Ausbeutung geworden. Schätzungsweise 250.000 vornehmlich Frauen sind hier unter sehr menschenunwürdigen Bedingungen in einem System von Zwangsprostitution gefangen. Wir als Union wollen diese furchtbaren Zustände stoppen. Wir sprechen uns daher für ein Sexkaufverbot aus. Und ich stelle Ihnen die Frage: Setzen Sie sich auch für ein Sexkaufverbot ein?“

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Bundeskanzler Olaf Scholz: "Ich finde es nicht akzeptabel, wenn Männer Frauen kaufen." - Foto: Thomas Trutschel/photothek/Deutscher Bundestag
Bundeskanzler Olaf Scholz: "Ich finde es nicht akzeptabel, wenn Männer Frauen kaufen." - Foto: Thomas Trutschel/photothek/Deutscher Bundestag

Tatsächlich hatte die Union eine Woche zuvor, am 7. November 2023, eine echte Zeitenwende in der deutschen Prostitutionspolitik eingeläutet. Als erste Fraktion des Bundestages hatten sich CDU/ CSU dafür ausgesprochen, in Deutschland die Freierbestrafung einzuführen. „Menschenunwürdige Zustände in der Prostitution beenden – Sexkauf bestrafen“ heißt das „Positionspapier“, das die Abgeordneten der Union einstimmig (!) beschlossen.

„Die Frau wird in der Prostitution zu einem Objekt degradiert, das wie eine Ware käuflich ist“, heißt es da. „Betroffene erleben die Handlungen der Freier an ihrem Körper sehr häufig als vielfache Vergewaltigungen – verbunden mit demütigenden, schmerzhaften und die physische wie psychische Gesundheit gefährdenden Praktiken.“ Das Milieu sei „zutiefst menschen- und insbesondere frauenverachtend“. Und jenen, die immer noch dem Narrativ von der „selbstbestimmten Sexarbeiterin“ anhängen, wird erklärt: „Den überwältigenden Teil der Prostitution in Deutschland (85 bis 95%) macht die unfreiwillige Armuts- und Elendsprostitution aus, die von Täuschung, Drohung und völliger Abhängigkeit von Zuhältern geprägt ist, nicht selten begleitet von Straftaten wie Menschenhandel und Zwangsprostitution. Die Szene wird in weiten Teilen beherrscht von Strukturen der Organisierten Kriminalität, der Banden- und Clankriminalität.“

Die rot-grüne Koalition, die 2002 mit ihrer Gesetzesreform Prostitution zum normalen „Beruf“ machen wollte, hatte dies damit begründet, Prostituierte bekämen so mehr Rechte, könnten sich krankenversichern und Arbeitsverträge abschließen. Vergeblich hatte EMMA noch vor Verabschiedung des Gesetzes gewarnt, dass die Reform nur den Menschenhändlern, Bordellbetreibern und Zuhältern nutzen und den Prostituierten schaden würde. Und genauso ist es gekommen.

Über zwanzig Jahre später, im Frühjahr 2023 hatte die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Unionsfraktion zugeben müssen: Von geschätzt mindestens 250.000 Prostituierten in Deutschland waren ganze 50(!) bei der Bundesanstalt für Arbeit sozialversicherungspflichtig gemeldet. „Das Narrativ vom ‚Beruf wie jeder andere‘, von Prostituierten mit eigener Wohnung, Kranken-, Renten- und Sozialversicherung ist damit eindeutig widerlegt“, bestätigt nun zwei Jahrzehnte später die Unionsfraktion.

Es ist sonnenklar: Die deutsche Prostitutionspolitik ist krachend gescheitert. Auch das sogenannte „Prostituiertenschutzgesetz“ von 2017, die viertelherzige Reform der Reform, hat an den katastrophalen Zuständen nichts geändert. Das Kernstück der Reform, die Anmeldepflicht, läuft nahezu ins Leere: „Nur ca. 28.000 Personen sind als Prostituierte registriert“, erklärt die CDU/CSU in ihrem Positionspapier. Das ist nur rund ein Zehntel der geschätzt mindestens 250.000 Prostituierten in Deutschland. „Über die große Mehrzahl der Prostituierten haben die Behörden keinen Überblick.“ Und selbst wenn Frauen offiziell gemeldet sind: „Auch hinter Fassaden von sogenannten Vorzeigebordellen finden Menschenhandel, Zwang und Gewalt statt.“

CSU-Abgeordnete Dorothee Bär: "Deutschland ist leider eine Hochburg sexueller Ausbeutung von Frauen geworden." - Foto: IMAGO
CSU-Abgeordnete Dorothee Bär: "Deutschland ist leider eine Hochburg sexueller Ausbeutung von Frauen geworden." - Foto: IMAGO

Schon im Sommer 2020 hatten 16 Bundestagsabgeordnete von Union und SPD in einer gemeinsamen Erklärung ein Ende dieses deutschen Skandals gefordert. Sie appellierten an die MinisterpräsidentInnen, die wegen Corona geschlossenen Bordelle erst gar nicht wieder zu öffnen. Unter diesen Abgeordneten war auch der heutige Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, der erklärte: „Für mich hat Prostitution keinen Platz in Deutschland.“ Kurz darauf folgte die CDU-Frauenunion mit ihrer Forderung, auch in Deutschland die Freierbestrafung einzuführen. Längst gibt es in allen Fraktionen Stimmen für das „Nordische Modell“.

Nun läutet die gesamte CDU/CSU-Fraktion den Paradigmenwechsel ein. Sie fordert: „Keine weiteren Alibi-Maßnahmen“ – wie das völlig zahnlose, angebliche „Prostituiertenschutzgesetz“ – sondern das sogenannte „Nordische Modell“. Das heißt: 1. die Bestrafung der Freier. 2. die völlige Entkriminalisierung der Prostituierten. 3. Ausstiegshilfen für die Frauen in der Prostitution. Schweden hatte bereits 1999 dieses Modell im Rahmen seines Programms „Kvinnofrid“ (Frauenfrieden) eingeführt, um die Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen. Denn, so Schweden: Die ständige Verfügbarkeit von Frauen für Männer schadet nicht nur den Prostituierten selbst, sondern der ganzen Gesellschaft. Auch das hat die deutsche CDU/CSU-Fraktion inzwischen verstanden: „Die Selbstverständlichkeit des Zugangs zu käuflichem Sex für Männer prägt das Verständnis von einer gewaltvollen, Frauen demütigenden Sexualität. Auch mit Blick auf die Prägung kommender Generationen wollen wir ein solches menschen- und insbesondere frauenverachtendes Menschenbild nicht zulassen.“

Der Beschluss der Unionsfraktion kommt genau acht Wochen, nachdem auch das EU-Parlament erklärt hatte: „Das System Prostitution ist von Natur aus gewalttätig, diskriminierend und zutiefst unmenschlich.“ Die Freier spielten in diesem System „eine Schlüsselrolle“. Und Brüssel sendete eine klare Botschaft an Berlin: „Die Nachfrage muss reduziert werden!“

Initiiert hatte den Brüsseler Bericht die SPD-Abgeordnete Maria Noichl. Er wurde vom EU-Parlament mit großer Mehrheit und den Stimmen fast aller SozialdemokratInnen verabschiedet.

Und was sagt nun der sozialdemokratische Kanzler, dessen Partei einst – zusammen mit den Grünen als treibender Kraft – so ignorant das menschenverachtende Gesetz stolz verabschiedet hatte?

Elisabeth Winkelmeier-Becker: Jedes weitere Jahr "bedeutet Zehntausende neue Opfer." - Foto: Tobias Koch
Elisabeth Winkelmeier-Becker: Jedes weitere Jahr "bedeutet Zehntausende neue Opfer." - Foto: Tobias Koch

Überraschung! Olaf Scholz bedankt sich bei Dorothee Bär (CSU) ausdrücklich „für Ihr Engagement in dieser Sache“ und antwortet auf ihre Frage: „Zunächst mal finde ich es nicht akzeptabel, wenn Männer Frauen kaufen. Das ist etwas, was mich moralisch immer empört hat“, sagt der Kanzler. Und weiter: „Es ist furchtbar, was wir über Prostitution wissen. Und diejenigen, die in diesem Bereich tätig sind, haben ein schweres Leben. Ganz oft ist es mit Missbrauch und mit Gewalttaten und mit kriminellen Strukturen verbunden.“ Der ehemalige Bürgermeister von Hamburg dürfte wissen, wovon er spricht. Und Scholz fügt hinzu: „Wir müssen in der Tat sehr viel unternehmen, um Prostitution zurückzudrängen und den Sexkauf nicht als eine Normalität akzeptieren, sondern als etwas, das nicht in Ordnung ist.“

Doch was tut Bundesfrauenministerin Lisa Paus? Die Ministerin, die als Grüne der Partei angehört, die die maßgebliche Kraft hinter der fatalen Reform von 2002 war, hatte eine Woche zuvor erklärt: Sie plane „keine Änderungen am Prostituiertenschutzgesetz“. Das Gesetz von 2002 müsse noch bis 2025 „evaluiert“ werden. „Das darf auf keinen Fall passieren“, widerspricht Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU). Die Ex-Richterin und Vorsitzende des Rechtsausschusses im Bundestag erklärt: „Denn das würde bedeuten, dass in dieser Legislaturperiode nichts mehr geschieht. Aber jedes Jahr bedeutet Zehntausende neue Opfer.“

 

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