Nathalie Pohl: Die Freischwimmerin
In elf Stunden und fünf Minuten ist Nathalie Pohl die 40-Kilometer-Strecke von Gobbins (Nordirland) nach Portpatrick (Schottland) geschwommen. Die Extremschwimmerin startete am Sonntagmorgen um 3 Uhr an der Küste von Nordirland bei ruhigem Wellengang und einer Wassertemperatur von 14 bis 16 Grad.
Wegen des kalten Wassers gilt der Nordkanal als eine der schwersten Strecken der Ocean’s Seven. Die anderen sechs Meerengen (Ärmelkanal, die Straße von Gibraltar, den Santa-Catalina-Kanal, den Kaiwi-Kanal, die Cookstraße, die Tsugaru-Straße) hat Nathalie Pohl in den vergangenen zehn Jahren durchquert. Zuletzt Anfang 2023 die Cookstraße zwischen der Nord- und Südinsel Neuseelands.
Am Wichtigsten ist die innere Haltung: Disziplin, Ausdauer, Durchhaltewillen, Mut
Nach vier Stunden zeichnete sich ab, dass der Durchquerungsversuch gelingen könnte. Nathalie war schnell unterwegs und hatte da bereits die Hälfte der Strecke absolviert. Nach fünf Stunden war die Küste Schottlands am Horizont zu erkennen. Am Nachmittag erreichte sie dann nach elf Stunden das schottische Ufer.
Damit reiht sie sich in eine Liste von weltweit 28 Menschen ein, die alle Etappen der Ocean’s Seven bezwungen haben. Erstmals gelang das 2012 einem Mann und 2013 einer Frau.
„Die Kälte ist mein größter Feind“, sagt Nathalie. Badedeanzug, Schwimmbrille, Badekappe – mehr hat sie nicht am Leib. Dafür ein bisschen vom lebenswichtigen „Channel Fat“, dem Überlebenstrick der KanalschwimmerInnen. Statt immer dünner und leichter zu werden, wie BeckenschwimmerInnen es tun, futtern sich FreischwimmerInnen absichtlich Körperfett an. Es dient als Energiereserve und Schutz gegen die Kälte. Nathalies Mittel der Wahl: Nudeln mit Butter.
Noch wichtiger als ein paar extra-Kilo ist allerdings die innere Haltung: Disziplin, Ausdauer, Durchhaltewillen und Mut. All das braucht es, wenn ein Mensch bei drei Meter hohen Wellen und starken Strömungen durchs offene Meer pflügt. Und ein paar Haie und Quallen schwimmen da auch noch rum. „Ich trage ein elektronisches Shark-Shield, das sendet Elektro-Reize, die Haie abschrecken. Bei Quallen kann man nicht viel machen. Wird man von der spanischen Galeere getroffen, ist es, als fasst man in einen glühenden Draht. Das passiert aber selten“, erzählt Natalie. Viel öfter hingegen schwimmt sie in Müll, den Container-Schiffe verloren haben.
Mit warmer Cola, Toast und Tomatensuppe wird sie vom Begleitboot aus versorgt. Auf dem sitzt auch ihr Vater, der sie seit Kindertagen motiviert und eingreift, wenn es zu gefährlich wird. 2015 rettet er der Tochter bei der Durchquerung des Ärmelkanals das Leben. Nathalies Lungen hatten sich mit Salzwasser gefüllt. Vater Andreas brach ab, zog sie aus dem Wasser. Auch jetzt auf der letzten Etappe war er mit im Boot.
1994 in Marburg geboren, lernt Nathalie mit fünf Jahren Schwimmen. „Das ist mein Sport, das habe ich sofort gefühlt“, erinnert sie sich. Doch das Schwimmen in der Halle wird ihr zu eintönig, ihr fehlt die Verbindung zur Natur. Dann liest sie das Buch „Die Eismeerschwimmerin“ von Lynne Cox. Die Amerikanerin ist eine Legende im Extremschwimmen. Als Fünfzehnjährige durchquerte Cox in damaliger Rekordzeit den Ärmelkanal.
„Das will ich auch“, sagte sich Nathalie und wechselte ins Freiwasser. Mutter und Vater, beide Unternehmer, sowie Bruder und Schwester unterstützen Nathalie, helfen bei der Organisation des Trainings.
Ich weiß, wozu ich fähig bin. Wenn der Körper aufhört, ist der Kopf alles
Die junge Frau gilt schnell als Ausnahmetalent, unter Frauen wie Männern. 2016 durchquert sie als schnellste deutsche Frau den Ärmelkanal. 2018 gewinnt sie den legendären „20 Bridges Swim“ in New York – als erste Deutsche überhaupt. 2023 durchquert sie die Cookstraße vor Neuseeland, die stürmischste Meeresstraße der Welt. Selbst Schiffskapitäne haben davor Respekt.
Nathalie wird die erste Deutsche, der die Durchquerung gelingt, und mit sechs Stunden und 33 Minuten wird sie auch die schnellste Europäerin.
„Als schwämme ich im Weltall“ beschreibt sie das Gefühl, nachts im offenen Meer zu sein. „Ich weiß, wozu ich fähig bin. Wenn der Körper irgendwann aufhört, setzt meine mentale Stärke ein. Der Kopf ist dann alles. Diese Kraft zu spüren, das ist einfach der Wahnsinn!“
Nathalie Pohl hat Geschichte geschrieben.