Warum haben Frauen Brüste?
Vielleicht einfach mal die mutmaßlich blödeste Frage zuerst: Wozu haben Frauen überhaupt Brüste? Rein biologisch betrachtet, würde zum Stillen eine kleine Verlängerung der inneren Milchgänge, die an geeigneter Stelle aus dem Oberkörper ragt, völlig ausreichen. Da könnte das Baby dann dran saugen und fertig. Also: Wozu Brüste?
Hypothesen, Studien und Bonmots zur Beantwortung dieser Frage füllen ganze Bibliotheken. Schließlich ist das ausgewachsene Menschenweibchen der einzige Primat, bei dem die Brüste immer da sind, und nicht nur wie beim Schimpansen beim Stillen oder während der Schwangerschaft. Brüste, diese „freundliche und liebenswerte Zugabe der Mutter Natur“, wie sie die Zeitschrift Sexualmedizin nennt, sind bloße Staffage, behauptet die amerikanische Wissenschaftsjournalistin Natalie Angier. Hübsch anzusehen, klar, aber so wie sie nun einmal sind, ohne eigentlichen Wert – bis auf ihre nährende und ästhetische Funktion.
Brüste - eine „freundliche und liebenswerte Zugabe der Mutter Natur“?
Die Anthropologin Helen Fisher würde da vehement widersprechen. Ihr zufolge liegt gerade in ihrer Hübschheit der eigentliche Wert jenseits aller biologischen Funktionen. Denn durch ihre appetitliche Präsentation würden die Brüste den Betrachter oder die Betrachterin unwillkürlich zur Brustwarze leiten, um diese zu stimulieren. Ein zielgerichteter Augenschmaus, damit diese klitzekleine erogene Zone beim Sex nicht ständig übersehen wird.
Eine ähnlich simple, aber umso wirkungsmächtigere Erklärung liefert der britische Künstler, Zoologe und Verhaltensforscher Desmond Morris. Bei ihm erscheint der moderne Mensch als eine Art dressiertes Tier; mühsam gebändigt durch Kultur und Konventionen. In seinem tiefsten Inneren aber würden noch immer die Verhaltensmuster und Triebe des Steinzeitmenschen wirken.
Erstaunlich, dass Morris genau zu wissen scheint, wie die Steinzeitmenschen Hausarbeit und Jagd aufgeteilt haben (Mutti blieb daheim), welche Sexualpraktiken sie bevorzugten (von hinten), und er daraus im Ernst seine Theorie zur heutigen Form und Funktion der Brüste entwickelt.
Morris zufolge handelt es sich um eine entwicklungsgeschichtlich notwendige Nachahmung der Hinterbacken. Unsere Vorvorfahren, die noch auf vier Beinen unterwegs gewesen sind, hätten sich bei der Auswahl ihrer Sexualpartner am Po der potenziellen Gespielinnen orientiert. Diesen schwenkten die Menschenweibchen beim Laufen ständig vor den Augen der brünftigen Männchen hin und her. Mit Erlernen des aufrechten Ganges sei der Mann dieses klaren erotischen Signals leider verlustig gegangen. Um ihn trotzdem sexuell auf sich aufmerksam zu machen und so das Überleben ihrer Art zu sichern, habe die Frau im Evolutionsprozess dann eben im Brustbereich noch einmal zwei sinnenfrohe Rundungen entwickelt: die Brüste als große Schwestern der Hinterbacken.
Diese „Frauen haben Brüste, weil Männer das geil finden“-Theorie hält sich bis heute in vielfältigen Varianten so hartnäckig wie Kaugummi am Schuh. Sie fügt sich in ein Weltbild, das die Frau vor allem im Bezug zum Mann denkt, ausgestattet mit starken visuellen Reizen, damit der instinktgesteuerte Partner auch ja die Fortpflanzung und Versorgung des Weibchens nicht vergisst.
Wenn man sich aus dem Nebel biologistischer Theorien löst, bleibt ein Phänomen, das Natalie Angier so beschreibt: „Männer haben keine Brüste, aber sie erheben gern Anspruch auf sie, und sie möchten das Gefühl haben, dass sie bei der Erfindung der Dinger ihre Hand im Spiel hatten.“ Die Kulturwissenschaftlerin Marilyn Yalom entwickelt in ihrer Studie „Eine Geschichte der Brust“ die Metapher von den Brüsten als einer Art „öffentlicher Plakatwand“, auf denen die wichtigsten kulturellen, religiösen, modischen und politischen Strömungen ihre Zeichen hinterlassen.
Interessant sind in diesem Zusammenhang die vielfältigen psychoanalytischen und artverwandten Deutungen zum Thema.