Alice Schwarzer schreibt

Ahoo Daryaei: Ein Schrei aus Iran

Demonstrantinnen in Paris fordern die Freilassung von Ahoo Dariaye. - FOTO: Villette Pierrick/ABACA/IMAGO
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Ja, auch wir Frauen in Deutschland haben Probleme. Doch das sind Peanuts im Vergleich zur Lage von Frauen in anderen Regionen der Welt. Iran zum Beispiel, seit 1979 die Mutter des islamistischen Terrors, der im Namen des Glaubens die muslimische Welt und Communities im Herzen der westlichen Welt in Geiselhaft nimmt und die Frauen im eigenen Land brutal unterdrückt. Symbol dieser Frauenunterdrückung war vom ersten Tag an die Verhüllung der Frauen, das Kopftuch bzw. der Tschador.

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Die erste Frauengeneration in Iran hat sich dagegen aufgelehnt und das teuer bezahlt: Ihr verrutschter Schleier wurde ihnen mit Nägeln in den Kopf geschlagen. Sie wurden im Gefängnis Evin gefoltert. Sie wurden ermordet oder offiziell gesteinigt. Die zweite Generation war gelähmt vor Entsetzen. Die dritte Generation, die jetzigen jungen Frauen nun sind es leid! Sie wollen sich nicht länger beugen. Sie wollen sich nicht mehr verschleiern. Und koste es ihr Leben!

So wie im Fall von Ahoo Daryaie, die Studentin, die sich aus Protest gegen die Rüge und Belästigung der „Sittenwächter“ wg. Kopftuch bis auf die Unterwäsche entkleidete und so in aller Ruhe über den Campus ging (EMMA berichtete). Es hat Ahoo offensichtlich einfach gereicht. Sie konnte und wollte nicht mehr.

Ahoo hat die Kleidung abgelegt und läuft über das Campus-Gelände. Später wird sie brutal verhaftet.
Ahoo hat die Kleidung abgelegt und läuft über das Campus-Gelände. Später wird sie brutal verhaftet.

Nun gibt es einen internationalen Protest gegen die Festnahme von Ahoo. Zumindest in Frankreich. Da stellten sich die französischen Femen in Unterwäsche, Exil-Iranerinnen wie Französinnen, an das Gitter des Pantheons und forderten die Freilassung von Ahoo. Und in Deutschland? Aufregung im Netz, aber noch keine Aktionen. Die Entpolitisierung der jüngeren Frauen scheint dank des intersektionalen Irrweges fortgeschritten zu sein. Aber die Aktionen könnten ja noch kommen.

Doch es gibt neue Informationen aus dem Ausland über Ahoo. Unter anderem von Masih Alinejad, der Frau, die Berufsverbot bekam, weil sie als Parlamentskorrespondentin in Teheran zu kritisch berichtet hatte, und die seit 2009 im Exil in den USA lebt. Sie twitterte, ihre Freundinnen in Iran hätten sie informiert: „Ahoo war nicht nur unglaublich intelligent, sondern war bei ihren Freunden auch für ihren Mut und ihre Entschlossenheit bekannt, dafür, sich gegen Unterdrückung zu wehren. Sie hat ihre Rechte sowohl in der Schule wie an der Universität verteidigt und sich Belästigern und Tyrannen entgegengestellt!“

Ahoos Instagram-Account sei von den Behörden gelöscht worden. Sie soll darauf auch ihre zwei Kinder gezeigt haben. Von dem Mann, der sich jetzt als ihr Ehemann ausgebe (und in ihrem Namen fordert, die Fotos ihres Protestes zu löschen), sei sie geschieden.

Zurzeit scheint Ahoo in einer Psychiatrie zu sein, in der sie total isoliert sein soll. Die Psychiater, die zu ihr kommen, kämen von außen. Man verabreiche ihr Medikamente.

Femen-Protest vor dem Pariser Pantheon für die iranischen Schwestern. - FOTO: Stephanie Lecocq/Reuters/dpa
Femen-Protest vor dem Pariser Pantheon für die iranischen Schwestern. - FOTO: Stephanie Lecocq/Reuters/dpa

Bei aller Unklarheit ist eines klar: Ahoo ist eine Vertreterin der rebellischen dritten Generation, eher flippen sie aus, statt weiter in Angst, Schrecken und Unterdrückung zu leben. Sie soll vor ihrem Aufstand in Unterwäsche von den Sittenwächtern gerügt und belästigt worden sein. War das der letzte Tropfen?

Vom Außenministerium, das wir am 4. November angefragt hatten, was es zum Schutz von Ahoo zu unternehmen gedenkt, bekamen wir folgende Antwort: "Die Menschenrechtssituation in Iran war schon vor den Protesten im Herbst 2022 desolat und hat sich seitdem weiter verschlechtert. Insbesondere die Beschneidung der Rechte von Frauen beobachtet das Auswärtige Amt mit großer Sorge." Die Außenministerin persönlich konnte nichts sagen, sie war gerade mal wieder in Kiew.

Eines ist klar: Ahoos provokanter Auftritt ist ein Hilfeschrei, den die Welt nicht überhören darf.

ALICE SCHWARZER

 

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