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Erika Preisig: Sterben in Würde

Erika Preisig kann aufatmen - sie wurde in allen Punkten freigesprochen. Foto: privat
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Eigentlich ist die Sachlage klar: In der Schweiz ist es erlaubt, jemandem beim Freitod behilflich zu sein. Einzige Ausnahme sind „egoistische Beweggründe“, die etwa in einer Bereicherungsabsicht bestehen. Dennoch müssen nach jeder Sterbebegleitung die Behörden – Polizei, Staats­anwaltschaft und Gerichtsmedizin – informiert werden, die dann auch umgehend ausrücken. Es wird ein Verfahren wegen fahrlässiger Tötung eröffnet, das in der Regel nach drei Monaten eingestellt wird. 

Nach quälenden acht Jahren wurde sie freigesprochen

Vor acht Jahren befand die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Land, die Suizidhilfe bei einer 65-jährigen Frau sei nicht rechtens gewesen und klagte Erika Preisig wegen vorsätzlicher Tötung an. Die international bekannte Sterbehelferin soll der Verstorbenen das tödliche Natrium-Pentobarbital verabreicht haben, obschon die Frau nach einem Suizidversuch von einem Psychiater als depressiv beurteilt wurde. 

Für Erika Preisig brach eine Welt zusammen. Sie ist eine zarte Frau. Sie legte Berufung ein. Es gab nochmals einen Prozess, den sie ebenfalls verlor. Dann zog sie vor die höchste Instanz, das Schweizer Bundesgericht. Nach quälend langen acht Jahren sprach dieses Erika Preisig schließlich im Juni 2024 in allen Punkten frei. Das Kantonsgericht Basel-Land wurde für übereifriges Einschreiten gerügt. 

Ein Sieg auf ganzer Linie? Leider nein. 

„Das lange Verfahren hat mich kaputt gemacht“, sagt die heute 65-Jährige. Sie hatte sich in all den Jahren ausgeliefert, hilflos und bevormundet gefühlt. Sie verlor zwischenzeitlich ihre Haare, hatte keine Kraft mehr. Eine Boulevardzeitung nannte sie „Frau Doktor Tod“. Das verletzte sie zutiefst. Sie sagt: „Es fehlte da ein kleines, aber entscheidendes Wort: Ich bin ‚Frau Doktor GUTER Tod‘, denn ich möchte, dass die Menschen friedlich und würdevoll sterben können.“

Die aktuelle Januar/Februar-EMMA gibt es als Print-Heft oder als eMagazin im www.emma.de/shop
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Preisig war über 20 Jahre lang Ärztin in der Palliativmedizin, hat viele Menschen elendig sterben sehen. Sie kämpft seit langem dafür, dass sich verzweifelte, lebensmüde Menschen nicht vor den Zug werfen müssen. Sie sah genug von jenen, die das versuchten und dabei Arme und Beine verloren, aber nicht das Leben. 

Dass sie sich dafür so einsetzt, liegt an ihrem Vater. Nach einem Schlaganfall wollte er sich umbringen. Er starb schließlich mit einer Sterbehilfeorganisation. Seine Tochter erkannte, was für eine Erleichterung das für ihn und für seine Familie war. Sie begann, für einen Tod in Würde zu kämpfen. Sie gründete die Organisation „Life Circle“. Der Verein setzt sich nicht nur für selbstbestimmtes Sterben ein, sondern hilft auch bei Suizidprävention, in Lebenskrisen und bei pallia­tiver Behandlung.

Ihr erklärtes Ziel: Den Sterbetourismus in die Schweiz zu beenden. „Alle Länder brauchen ein anständiges und vernünftiges Regelwerk, das einen geregelten Freitod erlaubt“, sagt sie. Das hat sie in zahlreichen Nationen bereits erreicht. Zum Beispiel in Kanada. Die dortige Lösung erachtet sie als ideal: Vor einem geplanten Freitod werden sämtliche benötigten Dokumente eingereicht und von einem Gremium innerhalb von zwei Wochen überprüft. Ist alles in Ordnung, gibt es grünes Licht. 

Es geht darum, selbstbestimmt und in Würde sterben zu können

Dieses Vorgehen ermöglicht ein Sterben ohne Behörden, die auf einmal am Bett stehen und die Angehörigen aus ihrer Trauer reißen – wie das in der Schweiz bis heute der Fall ist. „Da steht dann zwei Stunden lang ein Polizeiauto vor dem Haus, Beamte sind da, die toten Menschen werden nackt ausgezogen und eine Stunde lang von der Gerichtsmedizin untersucht – nach dem friedlichen Tod ist das für viele Angehörige ein Schock“, sagt Preisig.

Das Urteil, das Erika Preisig jetzt erwirkt hat, ist wegweisend. Denn es hält fest, dass es – entgegen der landläufigen Meinung – weder eine tödliche Krankheit noch zwingend ein psychiatrisches Gutachten braucht, um Suizidhilfe in Anspruch zu nehmen. Und selbstbestimmt und in Würde sterben zu können.

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