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Iran: Film auf der Flucht

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Nach atemberaubenden 167 Minuten verlässt man den Kinosaal tief erschüttert. Denn man fühlt: Dies ist keine Fiktion, es ist Realität. Und das nicht nur, weil der Regisseur seine Geschichte mit realen Videos von den blutigen Straßenprotesten der (vor allem) Frauen nach dem Tod von Jina Mahsa Amini verbindet. Wir sehen, wie die Frauen sich den Schleier vom Kopf reißen und skandieren: „Frau! Leben! Freiheit!“, wie die „Sittenwächter“ und Polizisten sie niederprügeln, sie auf dem Boden treten und sie mit maximaler Brutalität verschleppen. Die Frauen werden in einem der Foltergefängnisse landen, verschwinden oder aber zum Tode verurteilt werden. „Die Zahl der Hinrichtungen“, alarmierte gerade die Anwältin und Frauenrechtlerin Nasrin Sotoudeh, „eskaliert dramatisch.“

Die Frauen können und wollen nicht mehr. Sie riskieren alles

Wie es zu so einer Eskalation des Grauens kommen kann, das lässt der Filmemacher Mohammad Rasoulof uns jetzt mit seinem so wuchtigen Film „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ quasi live erleben. 

Wir sehen die Geschichte von Iman und seiner Familie. Der eigentlich nette Richter wird gerade ans Revolutionsgericht befördert: Da heißt es, sich noch mehr ducken. Seine eigentlich nette Frau und Mutter zweier Töchter will also noch weniger auffallen als bisher. Doch die eigentlich braven und unpolitischen halbwüchsigen Töchter geraten an der Uni in den Strudel der Frauenproteste nach dem Tod von Jina Mahsa Amini, die „Sittenwächter“ im September 2022 wegen eines verrutschten Kopftuchs ins Koma gesprügelt hatten. 

Jetzt können die seit 1979 entrechteten und brutal unterdrückten Frauen nicht mehr. Sie wollen auch nicht mehr! Sie gehen auf die Straße und riskieren alles. 

Die aktuelle Januar/Februar-EMMA gibt es als Print-Heft oder als eMagazin im www.emma.de/shop
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Während das passiert, sitzt der im Westen vielfach preisgekrönte Filmemacher Rasoulof mal wieder im Evin Gefängnis. Er ist einer von meh­reren großartigen iranischen Filmemachern, die unter unvorstellbaren Bedingungen immer weiter drehen. Zusammen mit seinem Kollegen Jafar Panahi war er 2010 zum ersten Mal verhaftet worden. Zuletzt erhielt auch er Drehverbot. Aber diese iranischen Filmemacher sind auch durch brutalste Repression nicht zum Schweigen zu bringen. Ihr Mut ist atemberaubend. 

Kaum aus dem Gefängnis, dreht Rasoulof unter abenteuerlichen Umständen einen Film über die jüngste Revolte der Frauen. Am Beispiel einer Familie zeigt er nicht nur den Terror auf der Straße, sondern auch den im Herzen der Familie: zwischen den Generationen und zwischen den Geschlechtern. Wir erleben, wie Angst, Paranoia und Wut steigen – und letztendlich zur Explosion führen.

Zu bewundern ist nicht nur Rasoulof für sein Können und für seinen Mut, sondern sind es auch die SchauspielerInnen, ist es die ganze Crew. Sie alle haben ihr Leben für die Wahrheit riskiert. „Während der Dreharbeiten hing die Angst, ver­haftet zu werden, wie eine dunkle Wolke über unserer Gruppe. Aber am Ende war der Mut die treibende Kraft für uns alle, weiterzuarbeiten“, sagt Rasoulof. 

Das Team hatte Angst, während der Dreharbeiten verhaftet zu werden

Wenige Wochen vor der Premiere des „Feigenbaums“ wird Rasoulof in Iran zu acht Jahren Gefängnis, Peitschenhieben und Beschlagnahmung seines gesamten Besitzes verurteilt. Er flieht. Über die Berge, durch den Schnee. Auch einige der SchauspielerInnen schaffen es ins Exil.

Der Film bekam im Mai in Cannes den renommierten Preis „Un certain Regard“, hatte auf Festivals in Hamburg und Leipzig Deutschland-Pre­miere und kommt am 26. Dezember in die Kinos. Man sollte ihn nicht verpassen.  

„Die Saat des heiligen Feigenbaums“ läuft ab dem 26. Dezember im Kino.

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