Abigail Disney: Emanzipierte Daisy
Wenn Abigail Disney nach Disneyland fährt, macht sie sich keinen entspannten Tag mit Mickey Mouse, Cinderella & Co. Von ihrem letzten Besuch bei „The Happiest Place on Earth“ kam die Erbin des Entertainmentclans ernüchtert zurück. Viele Angestellte des Vergnügungsparks in Anaheim bei Los Angeles, erfuhr Disney in Gesprächen mit ihnen, verdienten noch nicht einmal genug, um die Familie zu ernähren.
Wieder zuhause in New York schrieb die 60Jährige an Disney-Chef Bob Iger eine E-Mail. Als er nicht reagierte, setzte sie sich vor die Kameras amerikanischer Nachrichtensender und machte die Missstände öffentlich. Reaktion: Sie wurde als „Nestbeschmutzerin“ und „Verräterin“ der eigenen Klasse beschimpft – und legte noch eins drauf. Igers Jahresverdienst von 66 Millionen Dollar, twitterte die Dokumentarfilmerin und bekennende Feministin, sei „krank“.
Wirtschaftsblätter hatten errechnet, das Einkommen des DisneyGranden läge mehr als 1.400 Mal höher als das mittlere Gehalt seiner Angestellten. „Solche Einkommen zerstören die Gesellschaft“, empörte sich Disney. „Eine bestimmte Klasse hat einfach zu viel Geld.“
Das Privileg, selbst zu dieser Klasse zu gehören, versteht die Großnichte von Walt Disney als Verpflichtung. Während viele amerikanische „One Percenters“ ihr Engagement auf Benefiz und Spenden beschränken, bringt sie Benachteiligung, Unterdrückung und Gewalt mit der Kamera an die Öffentlichkeit. Disneys „Pray the Devil Back to Hell“ zum Beispiel zeigt die Geschichte liberianischer Frauen, die mit gewaltfreien Protesten und Sexstreiks gegen den Bürgerkrieg in ihrem Land kämpften. Mit der Serie „Women, War & Peace“ machte die Filmemacherin weiter. Die Rolle der Frauen in Ägypten, NordIrland und Bangladesch, nicht nur als Opfer des Konflikts, sondern auch als Vorkämpferinnen für den Frieden, bekam plötzlich ein Millionenpublikum. „Frauen bilden das Netz aller Beziehungen. Wer Frauen stärkt, stärkt die ganze Welt“, beschrieb Disney ihren Ansatz bei einem Treffen mit EMMA in Manhattans International House.
Neben Eigenproduktionen unterstützte die promovierte Literaturwissenschaftlerin, die mit dem Schriftsteller Pierre Hauser verheiratet ist und vier Kinder hat, mit ihrem Unternehmen „Fork Films“ Dokumentationen wie „Hot Girls Wanted“, ein Blick auf AmateurPornografie, und Jennifer Redfearns oscarnominierten Kurzfilm „Sun Come Up“. Zu den zehn Projekten, die Disney aktuell fördert, gehört Pratibha Parmars „My Name is Andrea“, eine Biografie über Andrea Dworkin, die Autorin von „Pornografie. Männer beherrschen Frauen“ (1988 verlegt im EMMAVerlag). Parmar hatte 1993 mit Alice Walker („Die Farbe Lila“) einen großartigen Film gegen Genitalverstümmelung gemacht.
Disneys Faible für unbequeme Wahrheiten macht vor großen Namen nicht halt, sie ist ja selber einer. Als Hollywoods Serienvergewaltiger Harvey Weinstein von #MeToo eingeholt wurde, beließ sie es nicht bei ein paar empörten Posts. Die Enkelin des DisneyMitgründers Roy O. Disney, Walt Disneys Bruder, setzte an, die Filmgesellschaft des gestürzten Moguls zu übernehmen. „Ich wollte ein paar Frauen zusammenholen, um ,The Weinstein Company‘ zu kaufen“, sagte die EmmyPreisträgerin. „Die Gewinne sollten Frauen zukommen, die sexuell missbraucht wurden.“
Als Weinsteins Gesellschaft letztendlich an eine Bietergruppe um Milliardär Ron Burkle ging, stieß sie kurzentschlossen „Level Forward“ an. Das Medienunternehmen, ein Mix aus Studio, Talentagentur und Filmförderung, setzt künftig Plots um, die es in der männerlastigen Unterhaltungsindustrie nicht auf Fernsehschirm oder Leinwand geschafft hätten. Was Abigail Disney von Trump hält? „Abstoßend!“ Und von dem tödlich verunglückten Kobe Bryant, trotz Missbrauchsvorwürfen Amerikas BasketballIkone? „Ein Vergewaltiger, kein Gott.“ Und Disney selbst? „Ich bin mit der Prinzessinnenphilosophie der frühen DisneyFilme erzogen worden. Ich sollte sehr, sehr höflich sein. Und was ist aus mir geworden? Ein Großmaul.“
Daisy wäre stolz auf Abigail! Und Arabella auch.
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