The New Feminist Grrrls in action
Die Genossen von der Labour Party sind not amused. Vor dem G-Mex-Centre in Manchester, in dem die Abgeordneten ihren Parteikongress abhalten wollen, werden sie schon sehnlichst erwartet - von einer Gummipuppe. Einer Gummipuppe, die über ihren gigantischen Ballonbrüsten das Grinsegesicht von Tony Blair trägt. Neben der Montage aus nackter Frau und mächtigem Mann dröhnt eine junge Frau Schlagzeilen aus Männermagazinen durch ein Megafon: "Wie Sie Ihre Freundin dazu kriegen, sich wie eine Prostituierte anzuziehen!" - Oder: "Gesucht: Die heißesten Jungfrauen Großbritanniens. Kennen Sie eine Frau, die noch intakt ist?" Ein paar Schritte weiter singt eine Gruppe Frauen: "Why should we have to pass/shelves and shelves of tits and ass!" (Warum sind wir gezwungen, an Regalen mit Titten und Ärschen vorbeizugehen!") Die meisten Abgeordneten gehen angewidert weiter, aber ein paar bleiben interessiert stehen. Was passiert hier?
Die Polizei rückt an und drängt die Randaliererinnen (und ein paar Randalierer) weg vom Halleneingang. Man werde sie festnehmen, wenn sie nicht auf der Stelle aufhören würden, diese anstößigen Dinge lauthals durch die Gegend zu posaunen. "Sie sorgten sich angeblich darum, dass ein vorbeispazierender kleiner Junge es hören könnte", erzählt die junge Frau mit dem Megafon.
"Aber das ist ja genau der Punkt: Dass kleine Jungs jederzeit losgehen und sich diese Magazine einfach kaufen können! Die stehen ja direkt neben den Süßigkeiten!"
Weil das so ist, hat sich an diesem Dezembermorgen ein ganzer Stoßtrupp zusammengetan, um gegen die Lads' Mags (Lad = Kumpel) mit ihren "pornografischen und frauenfeindlichen" Bildern und Botschaften zu protestieren: die North West Feminists (kurz: NW Fems), die East Midland Feminists (kurz: EM Fems), die Gruppe Object - und ein paar Männer von der White Ribbon Campaign.
Wenige Monate später, im Februar 2007, verbucht die selbe Anti-Porno-Allianz ihren ersten Erfolg: Die Babes on the Bed-Show, die das Magazin Nuts (was so viel heißt wie "Eier", aber auch "verrückt" im Sinne von geil) - an der De Monfort University in Leicester veranstalten wollte, musste abgesagt werden.
Für diejenigen, die nicht wissen, was eine Babes on the Bed-Show ist: Frauen - in diesem Fall Studentinnen - räkeln sich spärlich bekleidet auf einem Bett, wobei sie von professionellen Pornostars instruiert und von professionellen Fotografen fotografiert werden, während eine johlende Menge - in diesem Fall Studenten - sich um sie schart. Nuts plante eine ganze Babes on the Bed-Tour.
Aber die NW Fems, EM Fems und Object intervenierten bei der Unileitung und mobilisierten die Women's Studies und die Presse. Als die Times wegen der Angelegenheit den Unikanzler interviewen wollte, wurde die Sache langsam peinlich. Nuts musste Leicester abblasen. "Das zeigt doch, dass ein paar Leute eine Menge erreichen können!" jubelt Charliegrrl - die junge Frau mit dem Megafon.
Unter http://charliegrrl.wordpress.com betreibt die 26-jährige Studentin der Uni Lancaster ihren Blog of Feminist Activism against Porn. Es gibt viel zu tun. Denn die De Montfort-Uni ist nicht die einzige, an der die Herrenmagazine sich neue Klientel erschließen wollen.
So machte FHM bei seiner Highstreet Honey-Tour (bei der die Studentinnen diesmal nicht auf einem Bett, sondern auf einer Bühne posieren) Station an der Loughborough Universität; es folgte die Nuts Brat Pack-Tour (bei der die Studenten sich mit Nuts-Models ablichten lassen durften) mit Gastspielen an mehreren Universitäten.
Nicht nur die Lads' Mags, auch die britischen Strip Clubs versuchen, den akademischen Nachwuchs zu mobilisieren. So hat sich die Ohm-Bar zu "Manchesters einzigem Strip- und Nachtclub für Studenten" erklärt - und lockt die männlichen Studenten mit Sonderangeboten (einen Lapdance für schlappe fünf Pfund). Den weiblichen Studenten dürfen beim Pole-Dance-Kurs gratis lernen, wie frau sich möglichst aufreizend an einer Stange reibt.
Mit solchen Angeboten rennen sie offene Türen bei den Jungmännern ein. Auf dem Campus veranstalten die Studentenwerke Clubnächte namens Pimps and Whores (Zuhälter und Huren) oder Schoolgirl-Nights (bei denen Studentinnen, die sich als Schulmädchen verkleiden, ihre Getränke umsonst bekommen). Jetzt regt sich Widerstand, und das nicht zu knapp.
Allein in Charliegrrls Blog haben sich über 40 feministische Trupps versammelt, die die Pornografisierung ihrer Uni und ihres Lebens nicht länger hinnehmen wollen. Sie heißen No Porn Northampton oder Biting Beaver (beißender Biber, Biber = Vagina), Brand New Feminist oder Porn Detective, ReSisters oder Dead Men Don't Rape.
"Eine wahre Flut" (Guardian) von Anti-Porno-Gruppen hat sich in den letzten zwei Jahren gegründet. "Und sobald eine Gruppe Erfolg hat", erklärt die Frauenbeauftragte der National Union of Students, Kat Stark, "gibt es einen Schneeball-Effekt".
Und Erfolg haben die Grrrls eigentlich oft. Nicht nur die Warwick Anti Sexist Society (Wass), die mit ihrer Kampagne den geplanten Uni Babe-Kalender verhinderten. Oder die Sheffield Fems, die zur Weihnachtszeit mit Flugblättern ins Einkaufszentrum einmarschierten, weil sie nicht mehr länger zusehen wollten, wie der Playboy-Hase inzwischen sogar Kinderklamotten ziert und schon kleine Mädchen zu Bunnys macht.
"Die meisten Kunden, die wir ansprachen, gaben uns recht", erzählt Laura Woodhouse, eine der Gründerinnen der Sheffield Fems. Bei der 22-jährigen Studentin hatte der Kinofilm Sin City das Fass zum Überlaufen gebracht.
Während ihre Freunde sich über die Frauen im Film - sämtlich Prostituierte und Stripperinnen - köstlich amüsierten, verließ Laura das Kino und gab noch am selben Abend - und zum ersten Mal in ihrem Leben - das Wort Feminismus in ihre Suchmaschine ein. Via Internet-Seiten wie Find a Feminist fand sie rasch Verbündete.
Die erste Amtshandlung der Sheffield Fems war die Ban the Bunny!-Weihnachtsaktion, und nachdem sie den Geschäftsführern klarmachen konnten, dass ihre KundInnen von den Playboy-Produkten alles andere als begeistert sind, verbannten zwei Geschäfte die Hefner-Hasen tatsächlich aus ihren Läden.
Das Ziel ist klar - die Pornografisierung des Alltags anprangern - die Methoden variieren. Mal werden die Abgeordneten mit einer Gummipuppe schockiert, mal mit Petitionen bombardiert; mal arbeiten die Anti-Porno-Aktivistinnen undercover (wie Porn-Detective, die mit der Sprühdose ihre Spuren auf und in einschlägigen Etablissements hinterlässt), mal stürmen sie Zeitschriftenläden und drehen sämtliche Lads' Mags-Cover in den Regalen um; mal sind die Mittel klein wie die Aufkleber, die man sich im Internet herunterladen und auf Schaufensterscheiben oder gleich auf die Herrenmagazine selber pappen kann (Nuts about women? Then treat them with respect! - Verrückt auf Frauen? Dann behandele sie mit Repekt!); mal sind sie groß wie die Postkarten-Kampagne, die die Scottish Women Against Pornography (SWAP) gegen die Bank of Scotland führte.
Das ehrwürdige Finanzhaus wollte mit einer Anleihe von fünf Millionen Pfund (7,5 Millionen Euro) an den Konzern Remnant Media den Kauf von 45 Pornomagazinen mit Titeln wie Asian Babes (Asiatische Puppen), Mothers-in-Law (Schwiegermütter) oder Bareley Legal (Am Rande der Legalität) finanzieren. Nachdem viele KundInnen ihre Konten gekündigt hatten und unangenehme Schlagzeilen auftauchten ("Bank under fire for peddling porn" - Bank wegen Porno-Handel unter Beschuss ), entschuldigte sich die Bank of Scotland offiziell für den Deal und kündigte an, ihre Geschäftspolitik für die Zukunft zu überdenken. Immerhin. Und die irischen Schwestern der Schottinnen erreichten noch mehr als ein Lippenbekenntnis: Die Bank of Ireland, die sich ebenfalls an Remnant Medias Eroberung des Porno-Marktes beteiligen wollte, cancelte das Geschäft.
Gleichzeitig hat auch das amerikanische National Feminist Antipornography Movement eine "neue Phase" eingeleitet: "A new phase of the feminist anti-pornography movement has begun." Im Land der - auch für die Pornoindustrie - unbegrenzten Möglichkeiten sind es allerdings nicht Guerilla-Girls, sondern ein Netz von WissenschaftlerInnen - wie die Bostoner Soziologieprofessorin Gail Dines oder der texanische Journalismus-Professor Robert Jensen - die sich im Feminist Anti Pornography Movement organisiert haben und den Kampf gegen die Pornoindustrie und ihre Auswüchse in den Alltag führen. Mit einer Flut von Büchern und Publikationen versuchen die AktivistInnen, Überzeugungsarbeit leisten. Sie heißen "Pornifiziert - wie Pornografie unser Leben, unsere Beziehungen und unsere Familien verändert" oder "Gegen Pornografie: Die Offensichtlichkeit des Schadens". Und das Interesse wächst.
Als das Feminist Anti-Pornography Movement im März 2007 nach Boston zur Konferenz über Pornografie und Pop-Kultur lud, kamen 400 TeilnehmerInnen. Vor drei Jahren waren es noch 40. "Was früher Softpornografie hieß, ist heute die Norm in der Mainstream Popkultur geworden, während die Hardcore-Pornografie immer akzeptierter und immer frauenfeindlicher wird. Ein kritischer feministischer Blick ist wichtiger denn je!" erklären die Aktivistinnen. Und reisen nun mit einer Anti-Porno-Diashow durch die Lande. "Mit dieser Dia-Show versuchen wir, auch hier eine Grassroots-Bewegung zu mobilisieren", erklärt Gail Dines.
Am härtesten macht den AmerikanerInnen beim Kampf gegen die zunehmende Brutalisierung die amerikanische Verfassung zu schaffen. Die im First Amendment formulierte Freedom of Speech - die "Freiheit der Rede" - garantiert, dass jede erdenkliche Gewalthandlung gegen Frauen erlaubt ist - solange man sie als Kunst oder Pornoproduktion deklariert.
In England haben AktivistInnen hier schon einen entscheidenden Sieg errungen: Der Besitz von pornografischem Material, das "Gewalt zeigt, die geeignet ist oder scheint, ernste oder lebensbedrohende Verletzungen zu verursachen", soll verboten werden.
Initiatorin der Kampagne gegen Gewaltpornografie ist die 75-jährige Liz Longhurst aus Berkshire, und sie hatte einen guten Grund, gegen die bisherige Rechtslage aufzubegehren: Ihre Tochter Jane wurde im April 2003 von einem Mann mit einer Strumpfhose erwürgt. Während des Prozesses stellte sich heraus, dass der 36-jährige Musiker Graham Coutts regelmäßig pornografische Internetseiten besucht hatte, die genau solche Bilder zeigten. Die Tatsache, dass der Täter sich inspirieren ließ - also ein "Vorbild" für seine Tat hatte - wurde vom Gericht als strafmildernd gewertet: Zwar bekam Coutts lebenslänglich, aber die minimal abzusitzende Strafe wurde von 30 auf 26 Jahre reduziert.
50.000 Menschen unterschrieben die Petition, mit der Liz Longhurst und ihre MitstreiterInnen die Abgeordneten des britischen Parlaments aufforderte, gegen die Internetseiten vorzugehen, "die extreme sexuelle Gewalt verherrlichen". Die Petition fand Zustimmung quer durch alle Parteien und nach zweieinhalb Jahren hatte das Justizministerium ein entsprechendes Gesetz formuliert. Soeben ist es in erster Lesung im englischen Parlament.
Offenbar ist langsam, aber sicher eine Grenze erreicht. Ein der Pornografie nachgestellter Mord ist nur die Spitze des Eisbergs. Für Pippa Lewis war der Moment gekommen, bei den NW Fems mitzumachen, als ihre Tochter ihr von einer Bekannten aus der Schule erzählte: Die 14-Jährige hatte sich aus einer Papprolle eine Stripstange gebaut und sie in ihrem Zimmer aufgestellt. "Im Moment scheint es immer schlimmer zu werden" sagt Lewis. "Deshalb ist gerade so eine Art Mini-Revolution in Gang gekommen."
http://charliegrrl.wordpress.com