Ask Alice! Feminismus versus Freundschaft mit Männern?

ich war heute Abend zu einer Geburtstagsfeier eingeladen, wo es zu einer hitzigen Diskussion über Prostitution kam. Ich outete mich und stand zu meiner Meinung, dass Prostitution abgeschafft gehört, weil sie menschenunwürdig sei und die Frauen die Leidtragenden seien. Ich stand alleine da mit meiner Meinung.

Meine Begleitung war ein Arbeitskollege, mit dem ich seit kurzem auch ab und zu privat etwas unternehme. Gegen Ende des Abends meinte er, es sei besser, wenn wir beide den Kontakt einschränkten, es sei ihm erst jetzt bewusst geworden, dass ich derart feministisch sei. Feministinnen seien aggressiv und männerverachtend.

Eigentlich weiß ich tief in mir drin, dass meine Einstellung für mich stimmt, und ich finde, es ist an der Zeit, dass ich zu meinen Ansichten stehe. Dennoch ist es verunsichernd und auch verletzend, Freunde zu verlieren. Ich frage mich: Habe ich über das Ziel hinaus geschossen mit meinem öffentlichen, vielleicht etwas aggressiven Bekenntnis zu feministischem Denken? Gehört es dazu, dass Menschen sich deshalb von einem abwenden? Ist das der Moment, in dem sich sozusagen die Spreu vom Weizen trennt?

Herzliche Grüße aus der Schweiz.

Reeva Meier, 36, Basel

 

Liebe Reeva Meier,

ja, ich fürchte, genauso ist es: Bei der Prostitution scheidet sich die Spreu vom Weizen – und der Weizen ist viel weniger als die Spreu. Ich weiß nicht, ob es ein Trost für Sie ist, wenn ich Ihnen sage: Uns hier geht es genauso. Uns, der EMMA, aber auch jeder Einzelnen von uns in ihrer Welt, geht es wie Ihnen.

Nicht zufällig bekommen EMMA und ich persönlich ja gerade jetzt – auf dem Höhepunkt unseres Kampfes gegen Prostitution - noch mehr Gegenwind als in den Jahren zuvor. Wir werden als altbacken, gestrig und prüde diffamiert. Und nicht zufällig positionieren sich so genannte „Jungfeministinnen“ (die in nicht allzu ferner Zeit schon wieder von gestern sein werden) als Befürworterinnen der Prostitution und „sex positiv“ (Ein im Zusammenhang mit der Prostitution übrigens besonders makabrer Begriff, da ja von Freiern zunehmend ungeschützter Verkehr verlangt wird – das könnte also sehr schnell zum HIV-positiv werden). Und auch ich ganz persönlich zahle natürlich einen Preis für den Erfolg unserer Kampagne. Schließlich geht es beim Geschäft mit der Prostitution nicht nur um die Interessen der Freier, sondern auch um die Milliarden der Händler).

Liebe Reeva, Sie haben dennoch recht mit Ihrer Haltung. Auch die Geschichte wird Ihnen in hoffentlich nicht allzu ferner Zeit recht geben: Prostitution ist menschenunwürdig, für Frauen wie Männer. Aber das nutzt Ihnen ganz persönlich jetzt nichts, wenn sich plötzlich Menschen deswegen von Ihnen abwenden und Sie alleine dastehen. Einziger Trost: Ein Mann, der pro Prostitution ist und Feministinnen männerverachtend findet, der taugt eh nichts. Und er ist vermutlich auch ein schlechter Liebhaber. Zum Bruch wäre es also irgendwann sowieso gekommen. Dann lieber gleich.

Ehrlich gesagt glaube ich, dass Sie auch gar nicht (mehr) die Wahl haben: Wenn man die Zusammenhänge einmal erkannt hat, kann man nicht mehr wegsehen und auch nicht mehr vergessen. Nicht angepasst sein, das ist manchmal schwierig, tut oft weh, aber es bringt auch etwas. Für einen selber – und bei der Unterscheidung zwischen Spreu und Weizen.

Wie hat Simone de Beauvoir mal gesagt? „Auch die Toten sind der Erde besser angepasst als die Lebenden.“ Sie leben! Sie denken! Sie fühlen! Und Sie fühlen mit! Lassen Sie sich das nicht nehmen – und suchen Sie sich die richtigen Menschen, die diesen Weg mit Ihnen gehen wollen. Es gibt sie ja. Auch unter den Männern.

Ich wünsche Ihnen Kraft und Glück

Herzlich
Ihre Alice Schwarzer