Weiß & Cis - privilegiert?

Demonstration gegen den § 218 in Frankfurt am Main. Alles "privilegierte Cis-Frauen"? - FOTO: bpk/ Abisag Tüllmann Archiv
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Wenn Bücher von sogenannten „jungen Feministinnen“ erschei­nen (von denen so manche jetzt auch schon auf die 50 zugeht), scheint es eine feste Regel zu geben: Kein Manuskript ohne rituelle Distanzierung von der Frauenbewegung der 1970er. Die Passage muss mindestens eine Buchseite umfassen, besser zwei. Mehr aber nicht, denn dann, so scheint es, müsste sich die Autorin tiefergehend mit dem beschäftigen, was Historiker wie der verstorbene Hans-Ulrich Wehler oder Spiegel-Macher Rudolf Augstein als „eine der größten sozialen Revolutionen des 20. Jahrhunderts“ bezeichnen. Stattdessen wird der „dramatische Erfolg der neuen Frauenbewegung, die seit den frühen 1970er Jahren in einem bis dahin unvorstellbaren Tempo die rechtliche, zusehends auch die soziale Gleichberechtigung der Frauen erstritten hat“ (Wehler), kurz und knapp mit den immergleichen Worten aus dem intersektionalen Vokabelheft abgewatscht: weiß, privilegiert, cis.

Privilegiert? Wir dürfen kurz erinnern: Im Jahr 1971 galten Frauen laut Verfassungsgericht als „Gehilfin des Mannes“ und waren gesetzlich zur Hausarbeit verpflichtet. Männer konnten bestimmen, ob ihre Frau berufs­tätig sein darf. Das Scheidungsrecht ließ eine „schuldig geschiedene“ Frau ohne jede Versorgung zurück. Gewalt gegen Frauen existierte angeblich ebenso wenig wie sexueller Missbrauch. Ganz zu schweigen vom § 218, wegen dem so manche ungewollt schwangere Frau auf dem Küchentisch einer Engelmacherin verblutete oder an einer Sepsis starb. Die dergestalt „Privilegierten“ taten sich zusammen, um diese Zustände zu bekämpfen. 

Bei Stefanie Lohaus, 46, klingt das so: „‚Wir Frauen‘, ‚Gemeinsam sind Frauen stark‘, das sind feministische Slogans der damaligen Zeit“, schreibt die Mitgründerin des Missy Magazine in ihrem 2023 erschienenen Buch „Stärker als Wut“. Dieses gemeinsame „Wir“ jedoch sei im Grunde problematisch, denn: Es sei „essentialistisch, biologistisch, konstruiert und mache marginalisierte Positionen unsichtbar“. Schließlich, so Lohaus, wurden in der Frauenbewegung der 70er „Wirkzusammenhänge zwischen Sexismus, Rassismus, Antisemitismus, Klassenunterdrückung oder Behindertenfeindlichkeit nicht erfragt.“ Im Ernst?  

Was will uns Stefanie Lohaus damit sagen? Offenbar, dass sie es nicht okay findet, dass Frauen in den 1970ern anfingen, sich als unterdrückte gesellschaft­liche Gruppe gemeinsam zu denken. Doch genau das war ja das Revolutionäre an der Sache: Egal ob weiß oder schwarz, ob hetero oder lesbisch, Karrierefrau oder arbeitslos, mit oder ohne Behinderung – alle Frauen eint im Patriarchat die Unterdrückung als Geschlecht. Frauen sind dann gemeinsam stark, wenn sie es schaffen, sich über die zusätzlichen spezifischen Diskriminierungen hinaus gegen ihre Diskriminierung als Frauen aufzulehnen. Und so gingen in den 70ern Zehntausende Frauen gemeinsam auf die Straße: Gegen den § 218 oder gegen Sexualgewalt. In den selbstgegründeten Frauenhäusern fand die Kassiererin genauso Schutz wie die Professorengattin, die Türkin genauso wie die Deutsche. Sie alle wurden – und werden – von ihren Männern geschlagen. Gleichzeitig gründeten sich Strömungen innerhalb der Bewegung, schufen sich Lesben eigene Zentren, formulierten behinderte Frauen, die sich provokativ „Krüppelfrauen“ nannten, ihre besonderen Bedürfnisse.

Die Behauptung, die Frauenbewegung hätte die Unterschiede und damit die jeweils zusätzliche Diskriminierung einzelner Frauengruppen nicht benannt, könnte absurder nicht sein. Sie ist historisch schlicht falsch. Denn die Bewegung hat genau das getan – dann aber nicht das Trennende betont, sondern das Gemeinsame. Genau das machte ihre Schlagkraft aus.

Aber das hält Autorinnen nicht davon ab, gebetsmühlenartig – und in der Regel unwidersprochen – das Gegenteil zu behaupten. Und so zu tun, als seien die neuen, „intersektionalen“ Feministinnen die ersten, die endlich sämtliche Diskriminierungen zusammendächten.

 „Der Begriff des Intersektionalismus legte den Finger in die Wunde des Feminismus, in dem bisher die Lebensrealitäten weißer cis-Akademikerinnen als Standardmodell für die Erfahrungen der Frau im Patriarchat galt“, schreibt Leonie Schöler in ihrem Buch „Beklaute Frauen“. Und natürlich gilt ausgerechnet Alice Schwarzer (die aus einfachen Verhältnissen stammt und keine Akademikerin ist) als Hauptschuldige an diesem vermeintlichen Desaster. „Gerade weil weiße Feministinnen wie Alice Schwarzer so erfolgreich waren, Themen zu besetzen und die Deutungshoheit einzunehmen, wurden alle anderen Stimmen lange überhört und für nichtig erklärt.“ 

Dass die Autorin, 31, die auf TikTok und Instagram „spannendes Geschichtswissen vermittelt“ und für das woke ZDF-Format funk arbeitet, einen solchen Unsinn schreibt, mag nicht weiter verwundern. Die wirklich spannende Frage ist die: Wieso lässt das Verlags-Lektorat so etwas offenkundig Falsches durch­gehen?  „Bis in die Achtziger-, Neunzigerjahre war der Feminismus einseitig ausgerichtet an den Perspektiven, Interessen und Bedürfnissen von weißen, heterosexuellen, nicht behinderten cis Frauen“, darf auch Emilia Roig in der Brigitte behaupten. Die Tochter eines algerischen Vaters und einer Mutter aus Martinique ist laut Selbstbezeichnung eine „renommierte Expertin für Intersektionalität und Vielfalt“. Sie ging jüngst mit ihrem Buch „Das Ende der Ehe“ durch die Medien. Untertitel: „Feministische Impulse für die Abschaffung einer patriarchalen Institution“. Impulse? Dass die Ehe eine patriarchale Institution ist, ist das Gegenteil eines neuen Gedankens, sondern eine der zentralen Analysen der: Frauenbewegung. Doch nicht nur Emilia Roig, die mit ihrem Berliner „Center for Intersectional Justice“ tatsächlich Institutionen in Intersektionalismus schult, tut so, als hätte sie mit ihren uralten Thesen das feministische Rad neu erfunden. 

Inzwischen sind zahlreiche Bücher auf dem Markt, in denen Autorinnen so tun, als hätten Feministinnen von Hedwig Dohm über Simone de Beauvoir bis Alice Schwarzer nicht quasi alle zentralen Themen des Feminismus längst ausgiebig beackert. Verleugnen sie ihre Vorgängerinnen bewusst? Oder wissen sie es wirklich nicht besser? Wie kann es zum Beispiel sein, dass Anika Landsteiner in ihrem durchaus klugen Buch „Sorry not Sorry – über weibliche Scham“ ein ganzes Kapitel über ungewollte Schwangerschaft schreibt, ohne den Kampf der Frauenbewegung gegen den § 218 nur ein einziges Mal zu erwähnen?  

Wer sich am Ende über all die Geschichtsklitterung und Geschichtsvergessenheit ins Fäustchen lacht, ist: das Patriarchat. Vor allem, da die Selbstverleugnung der intersektionalen Feministinnen so weit geht, dass sie sogar das Frausein selbst verleugnen.

„Die Sprache in diesem Buch scheint einem binären, heteronormativen Denken verhaftet zu sein, weil ich die Worte ‚Mann‘ und ‚Frau‘ verwende“, schreibt Emilia Roig und beginnt ihr Kapitel über „Ehe und Sex“ allen Ernstes mit einer „Triggerwarnung: In diesem Kapitel werden die soziopolitischen Kategorien ‚Frau‘ und ‚Mann‘ mit ‚Penis‘ und ‚Vagina‘ in Verbindung gebracht.“ 

„Um die Gegenwart zu beschreiben, spreche ich nicht mehr von der Frauen- und Lesbenbewegung, sondern der feministischen Bewegung“, schreibt Missy-Gründerin Stefanie Lohaus. „Sie umfasst alle Geschlechter, also auch trans und nicht-binäre Personen sowie emanzipierte cis Männer.“ Das ist so, als wenn die Bewegung „Black Lives Matter“ das „Black“ aus ihrem Namen streichen würde, weil schließlich auch asiatische, kleinwüchsige und weiße Menschen Opfer von Polizeigewalt werden. 

Es ist einfach nur kläglich.

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