Catherine Deneuve entschuldigt sich

Catherine Deneuve, hier mit Roman Polanski beim Film Festival in Cannes. © Degun Paoli/Starface/Imago
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Inzwischen hat Catherine Deneuve sich bei den Opfern sexueller Gewalt entschuldigt. So will sie es nun doch nicht gemeint haben. Doch sie wird den Geist, den die 100 Französinnen mit ihrem Manifest „Für das Recht, belästigt zu werden“ aus der Flasche gelassen haben, nicht zurückholen können.

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Die Schauspielerin ist nicht die Autorin des Textes, aber eine der Erstunterzeichnerinnen, und nur Dank ihres Namens hat das Gegen-Manifest zu der #MeToo-Debatte international Aufsehen erregt. Deneuve und die anderen hätten wohl ein wenig genauer den Text lesen und verstehen sollen, wer ihn geschrieben hat, bevor sie diese sehr fragwürdige Kampagne mitmachten.

Lieber mal über „die große sexuelle Misere“ solcher Männer nachdenken?

Sicher, das Gegen-Manifest der 100 Französinnen versichert im ersten Satz: „Vergewaltigung ist ein Verbrechen.“ Doch dann geht es weiter: „Eine penetrante oder ungeschickte Anmache jedoch oder eine Galanterie sind keine machistische Aggression.“ Sodann warnt der Text vor einer feministischen „Welle der Prüderie“, der „Festschreibung von Frauen als Opfer“ und einer „haltlosen Denunzierung von Männern“. Das diene nur „den Interessen der Feinde einer sexuellen Freiheit“.

Dieser MeToo-Feminismus trüge „die Züge von Männerhass und Hass auf Sexualität“. Eine Frau könne schließlich emanzipiert sein und es trotzdem „genießen, das sexuelle Objekt eines Mannes“ zu sein. Und statt sich für „traumatisiert“ zu halten, nur weil ein Mann sich in der Metro an einem reibe, solle eine Frau in der Situation lieber mal über „die große sexuelle Misere“ eines solchen Mannes nachdenken. „Unsere innere Freiheit ist nicht zu vergewaltigen“, erklären sie.

Wer schreibt sowas? Unter den fünf Verfasserinnen sind die Kunstkritikerin Catherine Millet, die vor Jahren mit ihrer ausschweifenden, pornografischen Autobiografie „Das sexuelle Leben der Catherine M.“ Furore machte; sowie Catherine Robbe-Grille, die Witwe des Schriftstellers, dessen Faible für junge Mädchen bekannt war, und die sadomasochistische Texte verfasst. Dritte im Bunde ist eine Iranerin namens Abnousse Shalamni, die u.a. einen Essay mit dem Titel „Khomeini, Sade und ich“ verfasst hat. Kurzum Frauen, die sich der Inszenierung sexualisierter Unterwerfung und Gewalt gegen Frauen brüsten. Zumindest auf dem Papier.

In einem Fernsehinterview setzte Catherine Millet noch einen drauf: Eine Frau könne durchaus „Lust empfinden, wenn sie vergewaltigt wird“, erklärte sie. Das war dann selbst Catherine Deneuve zu viel. Sie distanzierte sich. Inzwischen hätte sie es wohl überhaupt lieber ganz gelassen. Zu spät.

Die Schriftstellerin Leïla Slimani antwortete Schauspielerin Catherine Deneuve. © Catherine Hélie/Editions Gallimard
Die Schriftstellerin Leïla Slimani antwortete Schauspielerin Catherine Deneuve. © Catherine Hélie/Editions Gallimard

Eine genaue und würdige Antwort auf das Manifest der 100 gibt die großartige Schriftstellerin Leïla Slimani. Die Franco-Marokkanerin hat gerade ein Buch über „Sex und Lügen“ in islamischen Gesellschaften veröffentlicht. Sie schrieb in Libération einen Text, den auch SpiegelOnline brachte: „Ich will nicht nur eine innere Freiheit“, schreibt sie darin. „Ich will die Freiheit, draußen zu leben, in der Öffentlichkeit, in einer Welt, die auch ein Stück mir gehört.“ mehr

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Alice Schwarzer schreibt

Es geht immer um Scham

© vika_kuzina - Fotolia.com
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"Die Scham ist vorbei.“ So lautete in den 1970er-Jahren der Titel eines in frauenbewegten Kreisen beliebten Buches. Und ja, es stimmte: Die Scham schien vorbei. Womit die höchste innere Hürde überwunden schien – und der Weg frei für die Überwindung der äußeren Hürden.

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Die Belästigung im Beruf war
vor 42 Jahren erstmals Thema

Vor 46 Jahren hatten Frauen erstmals öffentlich gesagt: Ich habe abgetrieben und schäme mich nicht; im Gegenteil – eine Gesellschaft, die ungewollt Schwangere auf den Küchentisch von Engelmacherinnen treibt und so ihr Leben in Gefahr bringt, sollte sich schämen! Ein paar Jahre darauf gestanden die ersten Frauen: Ja, mein Mann schlägt mich; doch dafür muss nicht ich mich schämen, sondern er. Wenig später erklärten Frauen öffentlich: Ja, ich bin vergewaltigt worden – aber das war nicht meine Schuld, sondern sein Verbrechen. Doch als EMMA dann 1977 als erste über sexuellen Missbrauch von Kindern schrieb, dauerte es noch ein paar Jahre, bis die so früh Gebrochenen sich kollektive Stimmen gaben.

Und die „sexuelle Belästigung im Beruf“? Die machten vor 42 Jahren als erste Amerikanerinnen öffentlich: die sexuelle Jagd, sexual harassment! Deutsche Frauen übernahmen das Schlagwort in der verharmlosenden Formulierung der „sexuellen Belästigung“. 

Seither ist viel passiert. Frauen sind stärker geworden. Männer einsichtiger. Nicht alle, aber viele. Doch es gibt sie immer noch: die Scham. Die Scham der Frauen.

Sie schämen sich dafür, zu der Sorte Mensch zu gehören, mit der man es machen kann. Am liebsten würden sie es sich noch nicht einmal allein vorm Spiegel eingestehen: Ich bin herabwürdigend behandelt worden, weil ich eine Frau bin. Ich bin angetatscht worden, weil ich eine Frau bin. Ich bin vergewaltigt worden, weil ich (s)eine Frau bin.

Nein, ich doch nicht!

Ein fast tragisches Beispiel dafür lieferte jüngst im Stern eine erfahrene Reporterin. Im Rahmen der Berichterstattung der MeToo-Bewegung berichtete sie über 30 Jahre bitterer eigener Erlebnisse mit sexualisierter Erniedrigung. Die Täter: von ihr interviewte Politiker und die eigenen Kollegen. Doch mitten in der Aufzählung des Grauens, das einem schier den Atem verschlug, schrieb sie: „Vieles an der aktuellen Debatte scheint mir überzogen. Wir sind doch deshalb noch keine Opfer!“

Klar, wir doch nicht. Wer will schon Opfer sein?! Opfer. Heutzutage ein Schimpfwort auf deutschen Schulhöfen: „Du Opfer!“ Dieser Hohn verschließt Opfern endgültig den Mund. Wie praktisch für die Täter. Denn wo keine Opfer sind, sind auch keine Täter.

Übrigens, Frau Kollegin, sobald Opfer sich wehren, sind sie keine Opfer mehr.

Sobald Opfer sich wehren,
sind sie keine
Opfer mehr.

Aber ist das Ganze nicht eigentlich gar kein Problem zwischen Männern und Frauen, sondern ein allgemein menschliches? Sind nicht auch Männer Opfer? Das fragt man sich vor allem in Deutschland – gegen alle Lebenserfahrungen und Statistiken. Der Spiegel allen voran. Mitten in einer fundierten Titelgeschichte über sexuelle Gewalt im Beruf und die wiedererwachte Gegenwehr zitierte das Blatt einen gewissen Joris Lammers. Nie gehört? Ich auch nicht. Google sagte mir, dass er Assistenzprofessor an der Uni Köln ist. Warum gerade er zitiert wird? Nicht etwa wegen bahnbrechender neuer Erkenntnisse, sondern wegen geschmeidiger Willfährigkeit.

Denn der Psychologe „glaubt nicht, dass Frauen ihre Macht weniger ausnützen würden als Männer“, heißt es. Glaubt. Würden. Da macht der Spiegel sich schon mal vorauseilend Sorgen: „Warum werden dann aber mehr Männer als Frauen auf frischer Tat ertappt?“, fragt er. Allen Ernstes. Herr Lammers kennt die Antwort: „Weil es vielleicht weniger als Skandal gesehen wird, wenn Frauen Untergebene verführen. Und sich die Männer möglicherweise auch weniger laut beschweren.“ Verführen. So steht es 2017 im Spiegel. Und niemand lacht. In Deutschland geht sowas durch.

Über Jahrtausende war Sexualität nicht ein Instrument zur Erzeugung von Lust, sondern von Macht: zur Beherrschung der Frauen. Der Anspruch einer gleichberechtigten, kommunikativen Sexualität, auch zwischen den Geschlechtern, ist relativ neu. Es ist ein zartes Pflänzchen, das gehegt und geschützt werden muss. Aber da, wo weiterhin Machtverhältnisse herrschen, hat dieses zarte Pflänzchen wenig Chancen zu gedeihen.

Das Fundament jeder Gleichberechtigung, also Eigenständigkeit, ist die Ökonomie. Wir wissen, der vor allem Lebenslauf-bedingte Gender Pay Gap zwischen Frauen und Männern beträgt in Deutschland 22 Prozent. Und jede zweite berufstätige Frau arbeitet teilzeit. Das Weltwirtschaftsforum meldet: In Sachen wirtschaftlicher Gleichheit liegen Frauen in Deutschland im Jahr 2017 auf Platz 43, noch hinter Kamerun und Jamaika.

Diese Abhängigkeit ist der Boden, auf dem die Scham gedeiht, oft missverstanden als Demut – und umgekehrt: Diese Scham verhindert das Selbstbewusstsein, das es für einen eigenen, selbstbestimmten Weg braucht. Und dann ist da noch die Angst. Die Angst, dass der Ehemann sich eine Handzahmere nimmt, wenn seine Frau unbequemer wird. Die Angst, die Stelle zu verlieren, wenn die Angestellte fordernder wird. Die Angst vor dem Blick des Anderen, die Angst, sich zu „blamieren“.

Wir wissen es schon lange aus Umfragen: Das Risiko, Opfer sexueller Gewalt zu werden, ist in zwei gegensätzlichen Branchen besonders groß: in klassischen Frauenbranchen, wo Gefälligkeit zum Berufsbild gehört (vom Zimmermädchen bis zur Schauspielerin) und in traditionellen Männerbranchen, wo die Erstgeborenen das Eindringen der Neuen durch sexuelle Stigmatisierung und Gewalt abwehren (von der Polizei bis zum Militär). Und klar, in den Chefetagen.

Das Praktische für die Sexualtäter ist, dass das Opfer immer Beweisschwierigkeiten hat. Denn in der Regel werden die Herren ja übergriffig, wenn sie mit ihren Opfern allein sind. Also „Aussage gegen Aussage“, wie mir jüngst nach meinem Vortrag in Stuttgart ein älterer Gentleman aus der Chefetage triumphierend zuzischte: „Keine Beweise!“

Beim Vergleich mit anderen Ländern der westlichen Welt scheint die Einschüchterung der Frauen in Deutschland noch immer besonders niederschmetternd. Es fällt auf, dass ausgerechnet hierzulande bisher noch kein einziger Täter-Name genannt wurde (Anfang des Jahres fiel ein erster Name: Der des Regisseurs Dieter Wedel - er hat allerdings schon einen Eid darauf geschworen, dass alles ganz anders gewesen sei). Dafür hat aber schon mal ein Berliner Prominentenanwalt vorauseilend mutmaßliche Opfer gewarnt („Beweise!“). Und eine Hamburger Journalistin auf der oberen Hierarchieleiter der Zeit hat tatsächlich zur juristischen Verfolgung ihrer eigenen jungen Kollegin von ZeitOnline geraten. Die hatte gewagt, Andeutungen über sexuelle Gewalttäter im Berliner Kulturbetrieb zu machen, ohne Namen zu nennen.

Gegen solche Einschüchterungsversuche wagen jetzt Frauen in der ganzen Welt – gerade sogar in dem arabischen Land Jordanien! – sich zumindest im öffentlichen und beruflichen Bereich zu wehren. Im privaten Bereich sieht das allerdings nochmal anders aus.

Je „privater“ die sexuelle Gewalt ist, umso heißer wird das Terrain. Die Vergewaltigung auf der Straße wird inzwischen verfolgt (doppelt, sobald es ein dunkler Ausländer ist). Die sexuelle Gewalt im Beruf wird nun immerhin wieder thematisiert. Aber die sexuelle Gewalt im Ehebett oder Kinderzimmer – das ist weiterhin das ganz große Tabu. Diese Opfer stoßen auf eine mächtige Lobby, die grundsätzlich als erstes tönt: Das Kind/die Frau lügt!

Was wir Frauen brauchen, sind männliche Verbündete!

Ein Paradebeispiel dafür ist der Fall Woody Allen. Er ist letztendlich nicht zufällig der Auslöser für den Weinstein-Skandal. Der Sohn von Woody Allen hat ihn ins Rollen gebracht. Nachdem Ronan Farrow vor 25 Jahren ohnmächtig hatte zusehen müssen, wie die Klage seiner siebenjährigen Schwester Dylan wegen Vergewaltigung durch den Vater ungehört verhallte; nachdem der Sohn weiter zusehen musste, wie sein Vater mit einer anderen seiner (sozialen) minderjährigen Töchter Pornos produziert hatte und sodann das traumatisierte ehemalige Straßenmädchen aus Asien heiratete; nachdem der Sohn hinnehmen musste, dass auch die öffentliche Distanzierung von seinem Vater, dem „Zerstörer meiner Familie“, von ihm und seinen Geschwistern ungehört verhallte und der Täter bis heute auf allen Festivals über den roten Teppich schreitet – nach all dem entschloss Ronan sich, zu handeln. Er unterlag bei der Anklage der „privaten“ Sexualgewalt – aber siegte bei der im Beruf.

Woody Allens Sohn Ronan war es, der 2016/2017 zusammen mit seiner Mutter Mia Farrow monatelang recherchiert und es geschafft hat, Stars und Sternchen in Hollywood zum Reden zu bewegen. Doch auch der Bericht des Journalisten landete bei seinem TV-Sender NBC in der Schublade. Monatelang. Bis Ronan Farrow zum New Yorker ging. Das Wochenmagazin veröffentlichte seine Recherchen. Und wenige Tage vor Erscheinen zog die Tageszeitung New York Times mit ihren Enthüllungen vor. Auch die müssen schon lange in der Schublade gelegen haben. Das ist die Rache des Sohns am Vater und an ganz Hollywood, das weggesehen hatte.

Was wir Frauen also brauchen, sind männliche Verbündete! Ihre Stimme, auch die unserer Söhne, wiegt immer noch um so vieles mehr als unsere. Wir brauchen sie auf allen Ebenen: zuhause, im Büro, in den Medien, in der Justiz, in der Politik!

Also, Männer: #HowIWillChange!

Alice Schwarzer

Aktualisierte Fassung vom 12. Januar 2018

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