Claudia: Die Mutmacherin
„Ich bin quasi schon immer Lehrerin. Nach kurzen Abstechern zu der Schweizerischen Bundesbahn oder ins Hotelgewerbe habe ich einfach gemerkt, dass ich mit Menschen am besten kann.
Bei uns an der Schule gibt es viele Kinder mit Migrationshintergrund, aus Ein-Elternteil-Familien, oder sie stecken in anderen schwierigen Situationen. Und eben auch viele Flüchtlinge: aus Eritrea, Somalia, dem Balkan, Kurden. Bei euch in Deutschland nennt man das Brennpunktschule. Als Lehrerin der Oberstufe unterrichte ich SchülerInnen von 13 bis 16 Jahren in verschiedenen Fächern, meine Spezialität ist jedoch die Berufswahl.
Jawohl, dieser
Jugendliche
kann was!
In der Schweiz gehen zirka zwanzig Prozent der SchülerInnen aufs Gymnasium, der Rest versucht eine Lehrstelle zu bekommen. Ich bereite die Jugendlichen konkret auf das Berufsleben vor, schreibe mit ihnen Bewerbungen, helfe bei der Vermittlung oder begleite durch so genannte „Schnupperlehren“ - das sind dreitägige Berufspraktika mit sofortiger Rückmeldung, wie es gelaufen ist. Jugendliche, die aufgrund der Sprachbarriere in der Schule Motivationsprobleme haben, kriegen so die Möglichkeit, sich im Berufsleben zu integrieren und gebraucht zu fühlen. Und dann liest ein/e ChefIn im ‚Schnupperbericht‘: Jawohl, dieseR Jugendliche kann was! Vielleicht ist sein/ihr Deutsch nicht so gut, aber der/die ist motiviert, der/die kommt gerne zur Arbeit. Der oder die kann anpacken!
Die Anzahl der Flüchtlinge ist im Verlauf der letzten Monate zwar nicht angestiegen, aber Hürden sind geblieben: Den meisten fehlen die Grundkenntnisse zum Beispiel in Deutsch oder Mathematik. Dazu kommen Motivationsprobleme. Wenn man in der Schule immer wieder die Rückmeldung kriegt, ‚Das verstehst du nicht!‘, egal in welchem Fach, zieht das natürlich runter. Da ist Schwänzen und noch weniger Motivation natürlich vorprogrammiert – ein Teufelskreis.
Die Rückmeldungen durch Schnupperlehren oder auch das schweizweite Jugendprojekt LIFT, bei dem ich mitarbeite, und in welchem Jugendliche an Einzelnachmittagen in Betrieben das Arbeitsleben kennenlernen, können den Jugendlichen Boden geben. Ein von mir betreuter Iraner zum Beispiel wollte zunächst partout nicht das Klassenzimmer putzen. Sein Argument: „Das ist Frauenarbeit!“ Seinen Job auf der Post macht er nach positivem Feedback so gerne, dass er sogar freiwillig in den Ferien arbeitet – und seine weibliche Vorgesetzte akzeptiert und schätzen gelernt hat. Die jungen Menschen merken plötzlich: Ich habe eine Zukunft! Und dann steigen auch die Schulleistungen wieder.
Putzen? Nö!
Das ist doch
Frauenarbeit!
Die Anzahl von Männern bzw. Frauen ist bei uns ziemlich ausgeglichen. Was wir sehen, ist, dass die Mädchen im Durchschnitt disziplinierter sind, sowohl in der Schule als auch beim Bewerbungsprozess. Die bleiben dran und können auch mal eine Absage wegstecken. Zum Beispiel eine Eritreerin, die kommt immer regelmäßig, schreibt fleißig Bewerbungen, und arbeitet eng mit uns zusammen. Einen Jungen aus Somalia musste ich immer wieder überreden mitzumachen, gut zureden. Aber natürlich gibt es auf beiden Seiten immer Ausnahmen. Nur scheu sind die Frauen schon meistens: Sie haben oftmals Probleme mit dem Auftreten und der Kommunikation. Das ist auch ein Grund, weswegen ich besonders darauf achte, dass Mädchen an dem LIFT-Programm teilnehmen. Dort sehen sie, wie es in der Berufswelt läuft und dort lernen sie sich zu öffnen.
Meine Mutter kommt aus Norditalien, war ein Kriegsflüchtling und hatte es im deutschsprachigen Raum nicht einfach. Mein Vater steckte in der gleichen Lage. Deswegen verstehe ich die Sorgen, wenn man irgendwo ganz neu beginnen muss. Und ich merke, dass mir die Arbeit mit den Jugendlichen, wenn es um Zukunftsperspektiven geht, sehr viel Spaß macht. Das Gefühl, bei so einem wichtigen Prozess dabei zu sein, erfüllt mich wirklich.“
Du willst mitmachen?
Jugendprojekt LIFT in Bern, info@jugendprojekt-lift.ch