Neues in Sachen Netzkaufrausch

© Tupperware
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Liebe Renate,

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wie gerne denke ich an unser letztes Treffen bei euch in Heidenheim zurück, wo wir in so fröhlicher wie inspirierender Runde beisammensaßen, um deinen Geburtstag zu feiern. 

Zwischendrin klingelte es, der Paketbote stand vor der Tür und brachte dir zwei Kartons mit Kleidern und Schuhen, die du bei Internethändlern bestellt hattest. Du hast zwar nicht „vor Glück geschrien“, wie es in einer einschlägigen Werbung heißt, dich aber gefreut wie eine Schneekönigin über die schicken Schnäppchen, die du da an Land gezogen hattest. 

Ich weiß noch, dass wir, bevor es klingelte, gerade das Thema „Wirtschaft“ diskutierten. Deine Freundinnen und du meinten, das sei für euch eine ziemlich undurchschaubare, komplizierte Angelegenheit, zahlen- und formellastig, nur etwas für ExpertInnen wie mich vielleicht. Ich hätte das ja schließlich auch studiert. Von wegen, habe ich gesagt – weißt du noch? – gerade jetzt, wenn der Postmann einmal klingelt, ist das Wirtschaft pur. 

Wirtschaft, die du mitgestaltest über deine Kauf- oder sonstigen Geldverwendungs-Entscheidungen.

Zurück in Hamburg habe ich noch ein wenig recherchiert, welche ökonomischen und damit auch ökologischen Nebenwirkungen Kaufentscheidungen wie deine Internet-Bestellung aus­lösen.

Expertenschätzungen zufolge wird der Anteil des ­Online-Shoppings im Jahr 2020 um die 40 Prozent des gesamten Einzelhandels ausmachen. Das heißt, auch du trägst dazu bei, dass in kleinen und mittleren Städten wie Heidenheim schon jetzt jedes vierte Ladengeschäft aufgegeben hat und schließen musste. 

Dass mit diesem Ladensterben eine schleichende Verödung der Innenstädte einhergeht und Investoren der Immobilienbranche kein Geld mehr in neue Einkaufszentren oder in die Renovierung bestehender Ladenzentren stecken. Das wird auch dein Freund Rolf mit seiner Baufirma zu spüren bekommen, er wird wahrscheinlich über kurz oder lang eine Reihe seiner derzeit 80 Beschäftigten entlassen müssen. Von den pleitegegangenen LadenbesitzerInnen gar nicht erst zu reden. Und von der abends menschenleeren, tristen „City“ auch nicht.

Dafür „boomt“ es andererseits in den Versand- und Logistikzentren der Internethändler und Paketdienstleister. Zumindest, was die wachsenden Beschäftigtenzahlen anbetrifft. Aber was nun überhaupt nicht boomt, ist deren Bezahlung. Ganz im Gegenteil! Unerträgliche Bedingungen für Leiharbeiter und vor allem Leiharbeiterinnen beim Onlinehändler Amazon sorgten im vergangenen Jahr für kritische Berichterstattung und herben Imageverlust des US-Konzerns. Aber am Pranger stehen auch Logistik-Konzerne wie DHL oder GLS, die Subunternehmer mit der Paketzustellung beauftragen. Die wiederum lassen ihre Bediensteten in 14-Stunden-Schichten für drei bis fünf Euro die Stunde schuften.

Das alles, liebe Renate, ist Wirtschaft pur. Frei Haus. Für das ­Erkennen dieser Zusammenhänge muss man oder frau gar nicht studieren. Es reicht, aufmerksam die Nachrichten zu verfolgen und sich immer wieder die Frage zu stellen: Welche Folgen hat eigentlich meine Schnäppchen-Jagd auf dem Internet-Bazar? 

Fünf Paar Schuhe bestellt - um vier wieder zurück zu schicken?

Schon gar, wenn du, was du mir auch schon erzählt hast, mal eben fünf Paar Schuhe zur Ansicht bestellst, um dann vier wieder zurückzuschicken. Die Retourenquoten in Deutschland sind ­übrigens so weltmeisterlich wie unsere Exportbilanz: Im Schnitt geht jedes zweite Paket bei Bekleidungskäufen im Internet zurück. 

Das ARD-Wirtschaftsmagazin Plusminus hat mal ausgerechnet, dass Tag für Tag 800.000 Pakete in Deutschland nur zurück­geschickt werden, was einer CO2-Belastung von 400 Tonnen ­täglich entspricht. Dafür könnten auch 255 Autos von Frankfurt nach Peking fahren. 

Kurz: Wirtschaft ist eigentlich ganz einfach und geht dich direkt an. Sie beginnt schon hinter deiner Haustür, in dem Moment, in dem du vor deinem Computer sitzt und wieder mal „was Nettes“ erspäht und per Mausklick gekauft hast. Denk an die Folgen ­dieses Klicks! Oder, wie die Zeitschrift Öko-Test rät: „Bestellen Sie nur das, was Sie wirklich brauchen und was Sie vor Ort nicht ­bekommen. Vermeiden Sie es, Waren zurückzuschicken.“ 

Siehst du, liebe Renate, auch du „machst“ Wirtschaft, wenn auch in diesem Fall so gar nicht positiv. Sei dennoch wie immer ­herzlichst gegrüßt

von deiner
Dagmar 

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Dagmar Deckstein über den Gender Pay Gap

Protest für gleichen Lohn auf dem Berliner Alex. - © Julia Witt
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Liebe Renate,

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das war ja mal eine tolle Nachricht! Du bist jetzt endlich Abteilungsleiterin in deinem Medizintechnischen Labor geworden! Ich kann nur sagen: So engagiert und zielstrebig, wie Du darauf hingearbeitet hast, war es für mich nur eine Frage der Zeit. ­Gratulation!

Aber, das hast Du mir auch geschrieben, ein wenig angefressen seist Du dennoch, weil Du erst kürzlich erfahren hättest, dass Dein Abteilungsleiter-Kollege aus einem anderen Laborbereich 500 Euro mehr im Monat verdient als Du. Du berührst da natürlich ein Thema, das seit vielen Jahren dauerhaft auf der Agenda steht, nämlich die Lohn- und Gehaltsunterschiede von berufs­tätigen Frauen und Männern in Deutschland.

Hochsaison hat das Thema jeden März, wenn wieder mal das „Gender Pay Gap“, mit allerlei Studien unterfüttert, zur Besich­tigung freigegeben wird. Will heißen, Frauen müssen bis Ende März des Folgejahres arbeiten, bis sie einkommensmäßig auf die Bezahlung der Männer im Vorjahr aufgeholt haben.

Die so genannte „unbereinigte Lohnlücke“ – laut Statistischem Bundesamt liegt die nach wie vor bei 22 Prozent – vergleicht den durchschnittlichen Bruttostundenverdienst von Männern und Frauen, und zwar unabhängig von der Qualifikation. Egal, ob sie ein Hochschulstudium abgeschlossen oder die Schule abgebrochen haben; ob sie als Putzfrau oder als Managerin arbeiten. Sie ­besagt nur, dass berufstätige Frauen in Deutschland im Durchschnitt weniger verdienen als berufstätige Männer.

Dass Männer im Schnitt 18 Euro, Frauen aber nur knapp 14 Euro in der Stunde verdienen, heißt aber noch nicht, dass Frauen für gleiche Arbeit weniger Geld bekommen. Frauen verdienen vor allem deshalb schlechter, weil ihre Berufsbiografien anders verlaufen. Weil sie geringer bezahlte Berufe wählen und seltener Karriere machen. Weil sie oft lange Kinderpausen machen, und danach lieber – oder auch nur aus Not, weil keine Kita-Plätze vorhanden sind – in Teilzeitjobs arbeiten. Wird das berücksichtigt, liegt die so genannte „bereinigte Lohnlücke“ bei maximal acht Prozent – was ich, bei wirklich gleicher Arbeit, immer noch zu viel finde.

Am größten ist die Differenz in Führungspositionen. Da klaffen Gehaltsunterschiede von bis zu 30 Prozent zwischen Männern und Frauen in Führung. Ich hab mich da mal ganz tief hinein­gekniet in all die Studien und wissenschaftlichen Arbeiten, die ­gerade bei diesem Thema zum immergleichen Ergebnis kommen: Je höher das Gehalt, desto höher der Gehaltsunterschied.

Je länger ich mich mit dem Thema und seinen wissenschaftlich hinauf- und hinunterdeklinierten statistischen Einflussfaktoren beschäftige, desto überzeugter bin ich, dass die meist eher am Rande diskutierten „soziologischen Ansätze“ die treffendsten sind. Dazu muss ich Dir mal ein paar Sätze aus einer Studie des Berliner Wirtschaftsforschungsinstituts DIW zum „‚Gender Pay Gap‘ in Führungspostitionen der Privatwirtschaft“ zitieren, die trotz ihres verklausulierten Wissenschaftssprech der Wahrheit sehr nahe kommen. Da heißt es:

„Die historischen, im Modernisierungsprozess gewachsenen ­Zuständigkeiten der Frau für die Familien – und des Mannes für die Erwerbstätigkeit führen auf der Mikroebene zu entsprechenden geschlechtsspezifischen verinnerlichten Orientierungen und ‚Präferenzen‘ bei der Berufswahl sowie zu diskriminatorischen Praktiken auf dem Arbeitsmarkt … Eine dieser Stereotypen ist der ‚gender status belief‘, also die Vorstellung, dass ein Geschlecht (das männliche) dem anderen überlegen ist, womit Männern eine stärkere Machtstellung und mehr Privilegien zugesprochen werden. Mit diesen ‚gender status beliefs‘ gehen auch geschlechtsspezifische Vorstellungen über berufliche Statuspositionen einher sowie Implikationen bezüglich der Überlegenheit des einen ­Geschlechts über das andere. Dies führt zu Ungleichheiten in der Arbeitswelt: Männern wird unter ansonsten gleichen Bedingungen eine höhere berufliche Kompetenz und Leistungsfähigkeit zugeschrieben als Frauen. Mit dieser Zuschreibung gehen unterschiedliche Berufschancen und Einkommenshöhen einher; letzteres deshalb, weil das Einkommen die erwartbaren Leistungen des Arbeitnehmers widerspiegelt.“

Die immer noch weitgehend männlich dominierte Arbeitgeber-Unternehmen erwarten also von Männern einfach eine höhere, bessere Leistung und bezahlen sie schon deswegen blind höher. Was natürlich angesichts der guten und besseren Leistungen, die Frauen im Beruf erbringen, vollkommener Bullshit ist. Aber ein auf zäher Tradition fußender Bullshit.

Ich glaube, ich habe Dir schon mal geschrieben, dass mir bis heute der Hals schwillt, dass erst 1977 der Paragraph 1356 im Bürgerlichen Gesetzbuch abgeschafft wurde, in dem es hieß: „Die Frau führt den Haushalt in eigener Verantwortung. Sie ist berechtigt, erwerbstätig zu sein, soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist.“  Bis vor diesem historisch ­betrachtet noch nicht mal Wimpernschlag in der Menschheitsentwicklung brauchten Ehefrauen die Zustimmung ihres ­Ehemannes, wenn sie eine Erwerbsarbeit aufnehmen wollten, welchselbige sie dem Arbeitgeber bei der Einstellung schriftlich vorzulegen hatten.

Die Frau als Dazuverdienerin.

Was glaubst Du, liebe Renate, wie schnell sich solche sogar in Gesetze gegossene Geschlechterrollen-Stereotype aus dem kollektiven Bewusstsein verflüchtigen? Das dauert. In diesem gesellschaftlichen Reptilienhirn ist immer noch die Frau als kleine „Dazuverdienerin“ gespeichert, auch wenn die Daten und Fakten über besser und bestausgebildete Frauen, erfolgreiche Teamleiterinnen und Unternehmensführerinnen das Großhirn in einer ganz anderen Sprache ansprechen.

Also, liebe Renate: Geh hin zu Deinem Institutsleiter, handle Dir weitere 500 Euro Monatsgehalt heraus. Weil Du es Dir wert bist. Und mir erst recht!

In diesem Sinne: Allerherzlichste Grüße an Dich

Deine

Dagmar

 

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