Vor 55 Jahren flog die Tomate

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13. September 1968. Klatsch. Die berühmte Tomate knallt an den Kopf des Genossen Krahl. Genauer gesagt, waren es sogar drei Tomaten, die an diesem denkwürdigen Tag auf das Podium flogen, ein halbes Pfund. Sigrid Rüger hatte sie vor dem SDS-Kongress in Frankfurt eingekauft. Eigentlich zum Kochen. Aber nun feuert die hochschwangere Soziologie-Studentin ihre Esswaren auf Hans-Jürgen Krahl und seine Genossen vom Sozialistischen Studentenbund (SDS). Denn Genossin Sigrid ist sauer. Sauer darüber, dass die eigenen Genossen einfach so gar keinen Bock haben, der Frau zuzuhören, die auf dem 23. SDS-Kongress gerade eine Rede hält.

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Helke Sander ist die erste Frau, die auf einem Kongress des 1946 gegründeten Studentenbundes, einem Linksausscherer der SPD, sprechen darf. Was an sich schon gewöhnungsbedürftig für die Jungs ist, die es gewohnt sind, selbst die großen Reden zu schwingen. Verschärfend hinzu kommt: Sander hat die Unverfrorenheit, nicht über „den Kapitalismus“ und „die Proletarier aller Länder“ zu sprechen, sondern über ihre eigene Lebenslage als Frau in einer Männerwelt, ob proletarisch oder nicht. Denn, so erklärt sie: Das Private ist politisch.

Selbst privilegierte Frauen, die studieren könnten, „merken spätestens, wenn sie Kinder bekommen, dass ihnen alle ihre Privilegien nichts nützen“, sagt Sander. „Sie werden auf Verhaltensmuster zurückgeworfen, die sie meinten, dank ihrer Emanzipation schon überwunden zu haben. Das Studium wird abgebrochen oder verzögert, die geistige Entwicklung bleibt stehen oder wird stark gemindert durch die Ansprüche des Mannes und des Kindes.“ Deshalb fordert die Schauspielerin, Studentin an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB) und Mutter eines neunjährigen Sohnes, „den Klassenkampf auch in die Ehe zu tragen und in die Verhältnisse. Dabei übernimmt der Mann die objektive Rolle des Ausbeuters oder Klassenfeindes.“ Und die Frau in die Rolle der Ausgebeuteten. Ein paar Jahre später werden Yoko Ono und John Lennon das so formulieren: „Woman Is the Nigger of the World“.

Kein Mann wäre damals auf die Idee gekommen, abends aufs Kind aufzupassen

Helke Sander, die Beruf, Studium und Mutterschaft unter einen Hut bringen muss, weiß, wovon sie spricht. „Man darf nicht vergessen, dass dies eine Zeit war, in der niemals ein Mann mit Kinderwagen auf der Straße gesehen werden konnte. Kein Mann wäre auf den Gedanken gekommen, abends auf das Kind aufzupassen und stattdessen seine Frau zu einer Veranstaltung gehen zu lassen, oder sie durch irgendeine Form der ‚Mithilfe‘ zu entlasten“, schreibt Sander rückblickend. Also initiierte sie Anfang 1968 gemeinsam mit anderen Frauen in Berlin die ersten „Kinderläden“: selbstorganisierte Kinderbetreuung in den vielen leerstehenden Tante-Emma-Läden. Diese Kinderläden sollen die „autoritären Staatskindergärten“ ersetzen. Und sie sollen den gestressten Studentinnen ermöglichen, auch mal an Demos und Sit-ins teilzunehmen, die bis dato nur von den Kindsvätern besucht werden. Die fühlen sich zwar für die Weltrevolution zuständig, nicht aber fürs Babysitten.

Die Resonanz war groß: Zur ersten Einladung im Januar 1968 kamen rund 100 Frauen. Schon beim zweiten Treffen gründeten sie den „Aktionsrat zur Befreiung der Frauen“.

Als deren Sprecherin steht nun Helke Sander im September 1968 auf dem Podium und liest den Genossen die Leviten. Die hatten die Frauen bis dato stets damit vertröstet, dass zunächst der „Hauptwiderspruch“ gelöst, sprich: der Kapitalismus beseitigt sein müsse, bevor man sich dem „Nebenwiderspruch“ zuwenden könne: der Unterdrückung der Frauen. Doch Helke Sander will sich nicht länger vertrösten und zur Nebensache degradieren lassen. Und sie plädiert dafür, die „privaten“ Machtverhältnisse genauso ernst zu nehmen wie die politischen.

„Wir können die gesellschaftliche Unterdrückung der Frau nicht individuell lösen“, erklärt die Genossin. „Und wir können damit nicht auf Zeiten nach der Revolution warten, da eine nur politisch-ökonomische Revolution die Verdrängung des Privatlebens nicht aufhebt, was in allen sozialistischen Ländern bewiesen ist.“ Zuguterletzt droht sie: „Genossen, wenn ihr zu dieser Diskussion nicht bereit seid, dann müssen wir allerdings feststellen, dass der SDS nichts weiter ist als ein aufgeblasener konterrevolutionärer Hefeteig. Die Genossinnen werden dann die Konsequenzen zu ziehen wissen.“

Da die Genossen ganz augenscheinlich nicht zur Diskussion bereit waren, sondern die Rede der Genossin Sander mit Desinteresse straften, zog Genossin Rüger Konsequenzen und griff in ihre Einkaufstasche.

Die Tomate war zweifellos ein heftiges Geschütz, das seine Wirkung nicht verfehlte. Aber war sie auch der „Startschuss für die Frauenbewegung“?

Sie erinnern sich gelassen: Silvia Kontos, Cristina Perincioli und Sabine Zurmühl. - Fotos: Bettina Flitner
Sie erinnern sich gelassen: Silvia Kontos, Cristina Perincioli und Sabine Zurmühl. - Fotos: Bettina Flitner

„Vom Tomatenwurf haben ja ganz viele Menschen gar nichts mitbekommen“, erinnert sich Sabine Zurmühl, damals Studentin der Germanistik an der Freien Universität Berlin und spätere Mitgründerin der feministischen Zeitschrift Courage. Auch der „Aktionsrat zur Befreiung der Frau“ blieb ganz im studentischen Milieu verhaftet: „Ich glaube, dass den nur diejenigen mitbekommen haben, die mit dem SDS was zu tun hatten.“ Zurmühl hatte nichts mit dem SDS zu tun. Die gelernte Journalistin dreht sich in der SDS-Versammlung, die sie ein einziges Mal besucht, auf dem Absatz wieder um. „Die Männer des SDS waren ja wirklich grauenhaft anzuhören. Deren Sprache war ein Code. Und den musste man beherrschen, sonst war man überhaupt niemand. Und die Frauen im SDS waren schon sowieso niemand.“

Das hatte auch der „Weiberrat“ begriffen, der sich in der Folge des Tomatenwurfs an der Frankfurter Uni gegründet hatte. Beim nächsten SDS-Kongress im November 68 in Hannover verteilen die Weiber ihr berühmt-berüchtigtes Flugblatt mit den abgetrennten Penissen der SDS-Chefideologen, präsentiert als Jagdtrophäen. Slogan: „Befreit die sozialistischen Eminenzen von ihren bürgerlichen Schwänzen!“ Die Weiber sind sauer, keine Frage.

Auch Silvia Kontos, damals Soziologie-Studentin an der Frankfurter Uni, ist erschüttert, und das schon länger. Die 21-Jährige hatte 1965 eine verstörende Erfahrung gemacht: eine „grauenvolle Abtreibung“.

Ihre grauenvolle Abtreibung war für Silvia Kontos wichtiger als die Revolution

Die schwangere Studentin im ersten Semester will Kinder, aber nicht jetzt. Doch Abtreibung ist gesetzlich verboten und gesellschaftlich tabu. Silvia bekommt unter der Hand die Adresse eines Arztes in der Schweiz. Sie reist hin, der Arzt weigert sich. Schließlich landet sie auf dem Küchentisch einer „Engelmacherin“, die eine Seifenspülung macht. „Ich habe mir später mal die Sterbestatistik angeschaut, da ist mir noch im Nachhinein ganz schlecht geworden“, erzählt Kontos. Die Engelmacherin lässt sich ihren Dienst kräftig bezahlen, der Gynäkologe, zu dem sie anschließend geht, auch.

„Ich hatte noch nie eine so demütigende Erfahrung gemacht“, sagt Silvia Kontos. „Dass eine Entscheidung, die mein ganzes Leben prägt, vom Wohlwollen eines Arztes abhängt – das fand ich absolut unerträglich. Ich fand das alles so furchtbar, dass mir klar war: Das darf so nicht bleiben!“

Das findet nicht nur die Frankfurter Studentin Silvia, das finden auch Hunderttausende Frauen, die bei illegalen Abtreibungen ähnlich demütigende und lebensbedrohliche Erfahrungen machen. So manche hat eine Freundin, die bei   einem Abbruch im Hinterzimmer verblutet ist. Die Wut der Frauen in Deutschland über die Bevormundung wächst. Aber noch bricht sie nicht aus.

Lediglich an einigen Unis kämpfen die Weiberräte, die sich inzwischen auch in weiteren Städten im Umfeld des SDS gegründet haben, um einen ebenbürtigen Platz an der Seite der marxistischen Machos: Vor allem machen sie nun selbst Marx-Schulungen, um mit den Genossen mithalten und mitreden zu können. Doch die sehen die revolutionäre Rolle ihrer Genossinnen vor allem darin, sich von ihnen Flugblätter tippen zu lassen und sexuell zur Verfügung zu stehen. Getreu dem Motto: „Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment!“ Doch die Strahlkraft der Weiberräte erlischt außerhalb der Uni-Mauern.

„Diese ersten Weiberräte waren eine kleine Gruppe, und die Stoßrichtung war in die Linke – in den SDS – hinein“, sagt Silvia Kontos. „Das war aber noch nichts, was sich an die Gesellschaft insgesamt gerichtet hat. Das war eigentlich erst der § 218. Der bedeutete den Ausbruch aus dem studentischen Ghetto.“

Innerhalb der linken studentischen Blase ist der Frauenaufstand bald niedergeschlagen. Kinderläden, Rollenverteilung, Sexzwang – alles bald wieder „Nebenwiderspruch“, dessen Auflösung sich höheren Zielen unterzuordnen hat: der Weltrevolution beziehungsweise deren Vorbereitung durch Marx-Schulungen.

So erklärt der „Aktionsrat zur Befreiung der Frauen“ im Oktober 1969 die Kinderläden als Mittel zum marxistischen Zweck, wie die Filmemacherin und Aktivistin Cristina Perincioli in ihrem Buch „Berlin wird feministisch“ berichtet: „Durch Kinderladenarbeit sollten – dem Protokoll zufolge – die Mütter soweit ‚befreit‘ werden, dass sie sich ebenfalls der Schulung ganz widmen könnten. Zu lesen waren die Schriften von Karl Marx, Mao Zedong, Wladimir I. Lenin, Lin Biao, Friedrich Engels, Werner Thönessen und ein Text von Rosa Luxemburg.“ Folge: „Die feministische Intention wurde in Westdeutschland von der Linken völlig aufgesogen.“

Die Genossinnen sollten vor allem Flugblätter tippen & zur Verfügung stehen

1969 wird sich der Berliner „Aktionsrat zur Befreiung der Frauen“ ganz auflösen. Diejenigen, die die Frauen schon vor der Revolution befreien möchten, darunter Helke Sander, verlassen die Gruppe. Die anderen, die marxistischen Hardlinerinnen des Aktionsrates, gründen den DDR-nahen „Sozialistischen Frauenbund Westberlin“ (SFB), der seine Aufgabe so beschreibt: „Wir organisieren uns zunächst separat als Frauen, um in theoretischer Arbeit die Ansatzpunkte zur spezifischen Frauenagitation herauszufinden. Wir sehen dies als Voraussetzung, um unter der Führung der Kommunistischen Partei unsere Aufgabe im Klassenkampf zu übernehmen.“ Der Frankfurter „Weiberrat“ existiert zwar noch, theoretisiert sich bald darauf aber ebenfalls zu Tode. Da stürmt in den USA die „Women’s Liberation“ schon Miss-Wahlen, besetzen in Holland die „Dollen Minas“ Herrentoiletten, legt in Frankreich das „Mouvement de Libération des Femmes“ (MLF) am „Grab des unbekannten Soldaten“ einen Kranz für die „Frau des unbekannten Soldaten“ nieder. Und bei allen ist das Recht auf Abtreibung eine der zentralen Forderungen.

In Deutschland hingegen beklagt die Brigitte noch im April 1971, dass die feministische Revolution hierzulande immer noch nicht ausgebrochen sei: „Deutsche Frauen verbrennen keine Büstenhalter und Brautkleider, stürmen keine Schönheitskonkurrenz und emanzipationsfeindlichen Redaktionen, fordern nicht die Abschaffung der Ehe und verfassen keine Manifeste zur Vernichtung der Männer. Es gibt keine Hexen, keine Schwestern der Lilith, wie in Amerika, nicht einmal Dolle Minas mit Witz wie in Holland, es gibt keine wütenden Pamphlete, keine kämpferische Zeitschrift. Es gibt keine Wut.“

Da irrte Brigitte. Auch die deutschen Frauen waren wütend. Über die demütigenden und nicht selten lebensgefährlichen Umstände, unter denen Abtreibungen stattfinden mussten. Über das diskriminierende Familienrecht, das ihnen ihre Bürgerinnenrechte aberkannte. Über die grassierende sexuelle Belästigung. Aber es bedurfte eines Funkens, der das Pulverfass entzündete.

Am 6. Juni 1971 erscheint der Stern mit dem berühmten Titelbild: „Wir haben abgetrieben“. Alice Schwarzer, die damals in Paris lebt und im MLF aktiv ist, hat die Selbstbezichtigungs-Aktion nach Deutschland geholt. Die Stern-Veröffentlichung wird innerhalb von Tagen zum nationalen Skandal – und Auslöser einer Lawine. Frauen schweigen nicht länger. Sie reden über ihre Angst vor nicht gewollten Schwangerschaften. Über ihre Abtreibungen. Über Sexualität. Und über Gewalt. Sie reden überall, nicht mehr nur in den Universitäten, sondern in Büros, Fabriken und auf den Straßen. In zahlreichen Städten gründen sich Gruppen der „Aktion 218“. Zum ersten gemeinsamen Treffen in Düsseldorf kommen sieben Gruppen, schon zwei Wochen später sind es beim zweiten Treffen in Frankfurt 100 Frauen aus 20 Städten.

Der Funke, der das Pulverfass entzündete, war die Stern-Aktion "Wir haben abgetrieben!"

Der Aufbruch der deutschen Frauen ist nicht mehr zu stoppen. Längst geht es nicht mehr nur um den Kampf gegen den § 218, sondern um andere Themen: Gewalt, Schönheitsdiktat, Zwangsheterosexualität und natürlich um das entmündigende Familienrecht. Jetzt fliegen auch in Deutschland Schweinshaxen auf Modenschauen und Steine in die Fenster von Pornoläden.

In Frankfurt organisiert Silvia Kontos mit ihren Mitstreiterinnen vom inzwischen gegründeten Frauenzentrum Abtreibungs-Fahrten nach Holland und platziert volle Windeln auf Kirchenaltäre. Cristina Perincioli initiiert in Berlin gemeinsam mit anderen Frauen die „Homosexuelle Aktion Westberlin“ und später das Frauenzentrum in der Hornstraße. Sabine Zurmühl bekommt am Ku’damm einen Zettel in die Hand gedrückt, auf dem steht: „Kommt ins Frauenzentrum!“ „Und ich dachte: Das ist was Tolles, da gehst du hin! Und ich habe da begriffen: Das, was wir jetzt hier machen, nennt sich ‚Frauenbewegung‘.“

Und Helke Sander? Die gründet die feministische Initiative „Brot und Rosen“, die 1972 ihr „Frauenhandbuch Abtreibung und Verhütungsmittel“ herausbringt, das reißenden Absatz findet.

Am 11./12. März 1972 laden die westdeutschen Frauengruppen der „Aktion § 218“ zum ersten „Bundesfrauenkongress“ nach Frankfurt. Rund 450 Frauen aus 40 Städten reisen an. „Der Frankfurter Weiberrat, bisher eher bekannt dank seiner marxistischen Schulungsgruppen, erschien mit einem Lied auf den Lippen“, schreibt Alice Schwarzer damals in Pardon. „Da reimten sich auf der Melodie von Lotta continua die ‚Puppen‘ in der Werbung auf die ‚Leichtlohngruppen‘ in der Arbeit, und die Zeile ‚Schluss mit Objekt sein in Betten‘ auf ‚Frauen, zerreißt eure Ketten!‘. So ein wenig holprig klang das noch, trotzig und vor allem ungewohnt. Deutsche Frauen singen Kampflieder in eigener Sache – Ausdruck eines neuerworbenen Selbstbewusstseins, das ihnen, im Gegensatz zu den Amerikanerinnen und etlichen Europäerinnen, bis vor kurzem noch so ganz abgegangen ist.“

Jetzt aber ist es da, das Selbstbewusstsein, und es hat alle erfasst: Reporterin Schwarzer, angereist aus ihrer damaligen Wahlheimat Paris, notiert: „Es trafen aufeinander: geschulte Genossinnen und aufmüpfige Hausfrauen, interessierte Parteifrauen und versprengte Urfeministinnen. Zwei Tage lang wurde im Plenum und in vier Arbeitsgruppen heiß diskutiert.“ Es geht dabei um „die Funktion der Familie in der Gesellschaft“, „die Situation der erwerbstätigen Frau“ und die „Gründe für die Selbstorganisation der Frauen“.

Am Ende steht eine gemeinsame Resolution: „Frauen müssen sich selbst organisieren, weil sie ihre ureigensten Probleme erkennen und lernen müssen, ihre Interessen zu vertreten“, heißt es da. Und: „Die Gruppen, die zunächst größtenteils nur aus dem Kampf gegen den Abtreibungsparagraphen entstanden, haben erkannt, dass die Unterdrückung der Frauen in einem  umfassenden gesellschaftlichen Zusammenhang zu sehen ist, der über die Abtreibungskampagne hinausgeht.“

Die deutsche Frauenbewegung ist geboren.

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Chesler: Angst vor Linken

Die Amerikanerin Phyllis Chesler 1972 in Israel. - Foto: www.phyllis-chesler.com
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Warum fällt es den Frauen im Westen so schwer, sich mit den Frauen in den arabischen Ländern zu verschwestern?
Gute Frage! Ich denke, dass viele west­lichen Feministinnen einfach zu große Angst davor haben, es sich mit der linken Intelligenzia zu verscherzen. Und mit den eher links orientierten Universitäten, wo sie lernen und lehren. Oder mit den linken Stiftungen, die ihre Arbeit finanzieren. Manchmal wird ihre Arbeit ja sogar direkt aus dem Iran und Saudi-Arabien gesponsert. Und deswegen müssen sie Pro-Islam sein.

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Was sollten wir universalistischen Feministinnen also tun?
Wir haben keine Kontrolle über das, was gerade in Ägypten oder in der Türkei passiert. Aber wir sollten eine Kontrolle darüber haben, was in unseren eigenen Ländern passiert. Und das bedeutet: Gesetze erlassen, die Frauen aller Religionen schützen – und auch die, die nicht religiös sind. Wir brauchen Schutzräume für Frauen und Mädchen, die vor Gewalt im Namen der Ehre fliehen. Und wir sollten die Burka verbieten, dieses Gefängnis aus Stoff.

Wie war denn die Stimmung, als die ­Women‘s Lib Ende der 1960er-Jahre losgelegt hat?
Das war wirklich eine Revolution! Wir hatten ein Fenster in der Geschichte, das sich so nie wieder geöffnet hat. Und die Illusion, dass uns das ganze Patriarchat zu Füßen liegen wird. Hunderte, ach Tausende Frauen sind alle zur selben Zeit aus ­ihren Häusern herausgetreten. Es war eine Erlösung, fast wie eine Party. Frauen wurden zu Verbündeten. Alleine das war schon revolutionär. Vorher hatten wir ja nur Bücher von Männern gelesen und auch die meisten unserer Professoren ­waren Männer. Und wir glaubten, wir würden unsere Revolution innerhalb eines Jahrzehnts erledigen. Wir waren allgegenwärtig, sogar die Medien haben positiv über uns berichtet. Es war in den 60er- und 70er-Jahren bei weitem nicht so hart, eine Feministin zu sein, wie es dann später in den 80er- und 90er-Jahren werden sollte.

Und warum bist du auf die Straße gegangen?
Ich hatte mein ganzes Leben nur darauf gewartet! Wenn du früher als Mädchen aufgewachsen bist, warst du einfach weniger wert. Du solltest das Leben deiner Mutter leben. Und wenn du das nicht konntest oder nicht wolltest, dann warst du eine schlechte Tochter. Und wenn du zur Schule gegangen bist, dann haben sie dir gesagt: Für dich gibt es keine Zukunft, warum verschwendest du hier deine Zeit? Und wenn du dann einen Freund hattest, der dich schlecht behandelt hat, dann hast du gedacht: Das liegt an mir, ich bin hässlich und schrecklich. Selbstverständlich bist du auf der Arbeit sexuell belästigt worden. Wenn du nicht mit dem Boss ins Bett gegangen bist, hast du deinen Job verloren. Und du wusstest gar nicht, dass es direkt um die Ecke eine politische Analyse gibt, dank der plötzlich dein ganzes Leben einen Sinn ergibt. Wir Frauen hatten bis dahin isoliert und alleine gelitten und gekämpft.

Ist das heute anders?
Ich weiß es nicht ... Vielleicht ist es heute alles etwas unpolitischer und ichbezogener. Und der Hype der Identitäts-Debatte, der Fokus auf den Lesbisch-Schwul-­Bi-Transgender-Wahnsinn, der ja inzwischen an einen Kult grenzt, macht es noch schwerer. Das ist wie eine Verschwörung. Wobei ich sagen würde, dass lesbische Frauen sehr bewusst sind, vielleicht sogar bewusster als heterosexuelle Frauen. Aber wir haben es jetzt vor allem mit der Politik von schwulen Männern zu tun. Sie haben die Homo-Ehe erkämpft. Sie sind es, die jetzt die Leihmutterschaft befeuern, eine immense Ausbeutung von Frauen. Und ausgerechnet manche heutige Feministin ist für die Leihmutterschaft. Ich verstehe das Leid der unfruchtbaren Frauen sehr gut. Aber heißt das, dass ­jemand anderes ausgebeutet werden darf? (...)

Das ganze Interview in der Mai/Juni-EMMA lesen

 

Phyllis-chesler.com

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