Die Vagina-Monologe, letzter Akt
Was nur wird aus Carrie, Samantha, Miranda und Charlotte nach der zwölften Folge der letzten Staffel? Keine Sorge, Sex-and-the-City-Süchtigen kann geholfen werden. Die Popsängerin und Sitcom-Autorin Kathy Lette verrät uns die Fortsetzung – bis zum bittersüßen Ende.
Dank Leuten wie Michael Douglas ist Sexsucht zu einem alltäglichen Leiden geworden. Aber wo ist die Klinik für „Sex and the City“-Süchtige? Für Frauen über dreißig, die die letzten Jahre zwanghaft die Kapriolen von Carrie, Samantha, Miranda und Charlotte verfolgten? Wie sollen sie leben ohne die wöchentliche Dosis dieses Frauentraums von Schuhe kaufenden Großstadtbewohnerinnen?
Für mich hatte diese Serie immer etwas Schwules, und wie sich herausstellte, sind auch viele der Autoren so gepolt. Samanthas wahllose Sexkapaden ohne den geringsten Anflug von emotionaler Libido; das obsessive Interesse an Analverkehr; die fiesen Schnellfeuerschlagfertigkeiten; kein Häuchlein Angst vor Zellulitis oder Übergewicht – ist Ihnen schon mal eine Frau begegnet, die keine Waage im Badezimmer hat? Also wirklich, diese Frauen waren nicht normal! Den schicken Locations jedoch, den spritzigen Dialogen und den scharfen Schuhen vermochten wir nicht zu widerstehen.
Wir gewöhnten uns an die Serie. Wir wurden mit ihr vertraut. Wir solidarisierten uns. Wir stellten uns ein auf den sprühenden Sex. Wir suhlten uns im Bettgeflüster. Und als wir drauf und dran waren, uns auf eine tiefer gehende Beziehung einzulassen, was passierte? Die Serie machte Schluss. Gab uns den Miu-Miu- oder vielmehr den Jimmy-Choo-Schuh. Ließ uns mit gebrochenem Herzen und ungestillter Sehnsucht sitzen auf dem Grund eines leeren Cocktailglases.
Es gibt nur eine Lösung: eine Fortsetzung. Allerdings: Nun, da unsere televisionären Vorbilder ihre Wonder-Bras und Klingelkugeln gegen Babys und Papis eingetauscht haben, was kann da die Zukunft diesen nicht mehr sonderlich fatalen Femmes bringen?
Für Samantha gibt es nur eine Zukunftsaussicht: Schönheitschirurgie. Die Frau geht schließlich auf die 45 zu (fragt sich nur: von welcher Seite?). Die Nacht mag noch jung sein; aber Samantha ist es nicht. Nach Shoppen und Ficken ist jetzt die nächste Stufe angesagt: Shoppen und Flicken. Das Lifting geht aber furchtbar schief, was bei unserer hedonistischen Heldin zu psychischen Verwerfungen seismischen Ausmaßes führt.
Samantha, einst eine Ikone der Ausschweifung – sie trank so viele Manhattans, dass sie kopfüber in der Guacamole-Schüssel landete und erst 24 Stunden später, in den String eines ausgepumpten Chippendales verwickelt, wieder zu sich kam –, entdeckt ihr politisches Bewusstsein. Sie zieht gegen die Schönheitschirurgie zu Felde. Sie gründet ein Haus für geschlagene Frauen. Sie tauscht Make-up und Miu Mius gegen Märsche und Manifeste ein. Ihr kurz geschnittenes graues Haar sprayt sie zu einem derart harten Helm, dass Carrie und die anderen Frauen reflexartig salutieren. Vor dem missglückten Facelifting war das Politischste, was Samantha je getan hatte, ihr Beitritt zur Lobby für Tag-und-Nacht-Öffnungszeiten bei Jimmy Choo gewesen. Egal, wie oft sie „eine neue Richtung“ einschlagen wollte, sie landete immer in der Horizontalen. Aber jetzt will sie ihre PR-Fähigkeiten dafür nutzen, die erste Präsidentin zu werden und vielleicht noch ein paar Nobelpreise für ihre Verdienste um die Sache der Frauen mitzunehmen.
Nachdem nun Samantha vom Hedonismus zum Feminismus umgeschwenkt ist – was ist denn eigentlich aus der glücklich unter die Haube gekommenen Carrie geworden? Ruft die Sexkolumnistin mittlerweile: „Wir sind ein Paar – holt mich hier raus!“?
Carrie war immer der Ansicht, dass Liebe in einer Ehe enden sollte. Nun stellt sie fest, dass dem nur zu oft so ist. Sie ist dermaßen wunschlos glücklich verheiratet mit Big, dass ihr nichts mehr zu schreiben einfällt. „Heiraten“, sagt sie Miranda, „das tut man, wenn man zu müde für Sex ist. Es bedeutet: kopulieren unter Quarantäne.“ Ihrer Freundin Samantha vertraut sie an: „Der medizinische Fachbegriff für eine Frau, die von der Hüfte abwärts und vom Hals aufwärts gelähmt ist, lautet: verheiratet.“ Und Charlotte warnt sie: „Eine Ehe solltest du eben so sorgfältig zu vermeiden suchen wie die Vögel…, äh, die Vogelgrippe.“
Voll Schreck begreift sie, dass sie ihren Single-Jahren nie gesagt hat, wie sehr sie sie geliebt hat. Ach, wie sehr sie die Weiberabende vermisst, die Hals über Kopf für den Valentinstag organisiert wurden, um Selbstmordgedanken zu vertreiben. Damals bedeutete Aufriss, spät nachts noch durch Soho zu streifen auf der Suche nach einem gut bestückten Toyboy: Jetzt bedeutet es die Vorderansicht ihrer geplanten Altersresidenz.
Wird sie nie mehr den Drang verspüren, es krachen zu lassen? Nackt vor ihren Haustieren Lambada zu tanzen? Strip-Karaoke zu machen? Den Wäschetrocknermann mit dem Waschbrettbauch und dem Knackarsch zu verführen? Angeblich um Samantha bei der Geldbeschaffung für ihr Frauenhaus zu unterstützen, nimmt Carrie an einem gesponserten Himalaja-Trekking teil. Sie will die erste Frau sein, die den Everest in Prada-Schuhen bezwingt. Vor lauter erfüllten Träumen bekommt sie schon Platzangst, und noch in Nepal beschließt sie, Big zu verlassen und ein Tierheim aufzumachen. Nach all den Typen, die sie in Manhattan aufgelesen hat, ist sie an den Umgang mit Tieren gewöhnt.
Carrie versucht, sich Miranda anzuvertrauen, aber mit der karrierebewussten Supermutter ist eine ebenso merkwürdige Verwandlung passiert. Miranda war eine jener New Yorker Karrierefrauen, die so hyper sind, dass sie Leute dafür engagieren, an ihrer Stelle zu schlafen, zu essen und zu vögeln. Sie war eine Anwältin von der Sorte, die findet, man müsse die Geburt zwischen zwei Meetings einleiten und im Kreißsaal Klientinnen anwerben, aber schnell genug, um nach Abklingen der Peridualanästhesie den nächsten Gerichtstermin wahrnehmen zu können. Kurzum: Angesichts von Mirandas Effizienz bissen andere berufstätige Mütter vor Wut ihre Aktenkoffer entzwei.
Nun ging Miranda nach der Geburt ihres Babys, Brady, tatsächlich aus dem Wochenbett in die Kanzlei, aber insgeheim fühlt sie sich wie ein Astronaut, der nach einem Spaziergang im All die Luke zum Raumschiff nicht mehr aufkriegt. Sie beneidet ihren Gespons Steve um sein idyllisches Leben als Hausmann. Und obschon sie mit Gerichtsfällen zu tun hat, bei denen es um Millionen Dollars geht, stellt sie fest, dass für sie ganz andere Dinge Priorität gewonnen haben: verlorene Abholzettel der chemischen Reinigung suchen; Hunde, die sie einst gehasst hat, zur Zahnentkalkung zu bringen; Do-it-Yourself-Abteilungen nach Ablaugemittel und Holzkitt durchstöbern; Kekse in Form von Disney-Figuren backen.
Und so kommt es, dass Miranda zu arbeiten aufhört, in die Vorstadt zieht und zu einer Vollzeitmutter wird, die vier Babys ausbrütet. Während unsereins weiß, dass ein Wunderkind nichts als eine Rotznase mit einer hyperehrgeizigen Mutter ist, schluckt Miranda während der Schwangerschaften literweise Fischöl, um bei ihren Babys die Hirnentwicklung zu fördern. Diese erweisen sich dann alle auch als gute Schwimmer, aber nicht wirklich als Geistesriesen, weshalb die missionarische Mutter sich immer noch kreativere Spiele mit leeren Klorollen ausdenkt. Jetzt ist Steve derjenige, der die Brötchen verdienen muss, und wenn sie ihm durchs schütter werdende Haar fährt und von einem Wäschetrockner schwärmt, dann fragt sich Steve, wie er aus „Sex and the City“ in „Enthaltsamkeit in der Vorstadt“ geraten ist.
Nun werden Sie sagen, von allen vieren sei doch Charlotte dazu prädestiniert gewesen, zu einer der roboterartigen „Frauen von Stepford“ zu werden, Charlotte, die noch nie die geringste Ungehörigkeit riskiert hat. Lange Zeit bestand ihre größte Fertigkeit darin, ein Exemplar von „Who’s who“ auf dem Kopf balancierend, aus einem Sportwagen auszusteigen, ohne dass ihr Slip aufblitzte. Sie, einst die Verkörperung der Debütantin, hat ihr Haltbarkeitsdatum überschritten. Mit ihrem vollkommenen Gatten, ihrer vollkommenen Wohnung und ihrem vollkommenen Adoptivkind führt sie ein vollkommen langweiliges Leben als perfekte Gastgeberin und Hausfrau. (Ihre Damastservietten und -tischtücher wäscht sie nach jedem Diner eigenhändig.) Charlotte, die immer so rücksichtsvoll war – sie täuschte Orgasmen vor, um nicht unhöflich zu wirken –, beginnt eine Affäre. Mit einer Frau. Sie ziehen zusammen, kaufen Frotteetücher mit den Schriftzügen „Sie“ und „Er“, treiben einen schwulen Samenspender auf, und so findet Charlotte, die immer Mama werden wollte, ihre wahre Berufung: als Papa.*
Und was wird aus der Freundschaft von Miranda, Charlotte, Samantha, Carrie? Sie treffen sich einmal jährlich in einem Heilbad in Arizona, wo sie auf den Lebensentscheidungen voneinander herumhacken und gleichzeitig ihr gemeinsames Alter in einer Residenz mit Heizkissen-Gigolos planen.
Unter dem Titel „Wie werde ich zum zehnten Mal vierzig?“ wird Carrie darüber eine Kolumne schreiben, die zur Fernsehserie „Shoppen und Stricken“ verarbeitet wird. Ob wir danach auch wieder alle süchtig werden?
Übersetzung aus dem Englischen: Thomas Bodner. - Von der Autorin, die mit ihren beiden Kindern in London lebt, erschien zuletzt: "Zu gut für diese Welt" (Heyne Ullstein TB).
*Im wahren Leben beginnt nicht Charlotte, sondern Miranda alias Cynthia Nixon eine Affäre mit einer Frau. Seit ihrer Trennung vom Vater ihrer Tochter vor zehn Monaten lebt sie mit Christine Marinoni zusammen. Nixons einziger Kommentar zu den neugierigen Medien: „Ich bin sehr glücklich.“