Alice Schwarzer schreibt

30 Jahre Frauenbewegung

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Frauen nehmen sich selbst nicht so wichtig. Das ist sympathisch. Hat aber auch seine Nachteile. Denn wenn Frauen sich nicht selber wichtig nehmen, nimmt niemand sie wichtig. Auf die Männer dürfen sie da nicht rechnen. Und auf die anderen Frauen schon gar nicht. Oder zumindest nur sehr bedingt.

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Auch darum haben Frauen keine Geschichte. Nicht, weil sie keine gemacht hätten. Sondern, weil ihnen keine zugestanden wird. Es fällt auf, dass die jüngste Geschichte der Frauen, die der Neuen Frauenbewegung, auch an den Universitäten nicht Gegenstand angemessener Spurensicherung und Analyse ist, wie es zum Beispiel bei der – so viel folgenloseren – Geschichte der 68er der Fall ist.

Und die Medien? Die feiern zwar im Fünf-Jahres-Takt die großen symbolischen Etappen der 68er (Die Kommune 1, das Attentat auf Dutschke, die Blockade der Springer-Druckerei etc. etc.), doch von der Frauenbewegung, die drei Jahre später mit Aplomp die Bühne der Geschichte betrat, ist mit keinem Wort die Rede. "Der Spiegel" schafft es gar, ganze Titelgeschichten über die "sexuelle Revolution" zu schreiben, ohne die – in dem Bereich entscheidenden – Feministinnen auch nur mit einem Wort zu erwähnen.

Dabei ist die Frauenbewegung objektiv die bedeutendste soziale Bewegung des 20. Jahrhunderts. Niemand hat so das Fühlen, Denken und Leben der Menschen verändert wie sie. Dennoch, ich will mir da gar nichts vormachen, wird EMMA vermutlich die einzige öffentliche Stimme sein, die auf dieses so bedeutende Jubiläum aufmerksam macht:

Am 6. Juni jährt sich der Tag der Initialzündung der deutschen Frauenbewegung zum 30. Mal! An dem Tag erschien die ungeheuerliche Selbstbezichtigung der 374 Frauen im "Stern": "Wir haben abgetrieben und fordern das Recht dazu für jede Frau!". Das Geständnis riss tausende, ja hunderttausende Frauen mit. Das Ende der Geduld war gekommen.

Seither haben die Feministinnen der westlichen Welt die Verhältnisse gründlich verändert – wenn auch nicht gründlich genug. Sie versuchen gegenzuhalten gegen die neue Verharmlosung der Machtverhältnisse und die totale Vermarktung der Menschen – wenn auch nicht stark genug. Und sie haben die einst hinter dem Eisernen Vorhang Verschlossenen sowie die Ex-Kolonialisierten mit dem Gedanken der Emanzipation infiziert – wenn auch nicht solidarisch genug.

Dabei ging es uns Feministinnen nie um "Glück", sondern immer um Gerechtigkeit. Denn "Glück" ist keine messbare Kategorie. Glück ist relativ und subjektiv. Für Verona Feldbusch ist es vermutlich "Glück", wenn sie für den nächsten Werbespot 100.000 DM mehr Honorar rausholt. Für den Filmstar ist es Glück, wenn die zweite Schönheitsoperation so wenig bemerkt wird wie die erste. Und für die Top-Managerin ist es Glück, wenn sie alle Konkurrentinnen hinter sich gelassen hat und endlich die einzige Frau ist unter den wenigen Männern auf der Top-Etage. Nur: Ist es das, was wir gewollt haben?

Der Feminismus ist keine Partei und kein Label. Seine Inhalte können nicht geschützt werden. Und seine ärgsten GegnerInnen kommen oft nicht von außen, sondern von innen. Was alles in den letzten Jahren im Namen des Feminismus erklärt wurde, ist nicht selten der pure Anti-Feminismus. Denn den Pionierinnen der neuen wie der historischen Frauenbewegung ging es von Anbeginn an vor allem um eines: um Gerechtigkeit und Freiheit. Gerechtigkeit für alle Menschen, inklusive Frauen und Kinder. Und Freiheit nicht auf Kosten anderer. Es ist Zeit, daran zu erinnern.

Repräsentative Umfragen aus dem Jahre 2000 zeigen: Zwei von drei deutschen Frauen träumen wieder von einer "starken Frauenbewegung", und jeder zweite Mann träumt mit (Infratest). An der Spitze dieses neuen Unbehagens stehen die viel geschmähten jungen Frauen. So fordern 77 % der jungen Frauen eine "Organisation von Frauen" und 52 % plädieren sogar direkt für die so runtergeredete und –geschriebene "Frauenbewegung" (Allensbach). Doch wie könnte die aussehen, die neue Frauenbewegung?

Am 8. März vergangenen Jahres veröffentlichten junge rot-grüne Politikerinnen einen offenen "Streitbrief an Alice Schwarzer". Diese Hand voll jüngerer Frauen, die vorgaben, für "die Jugend" zu sprechen (und dabei so unreflektiert die Generationen-Spaltung mitmachen), distanzierten sich von den so genannten "alten Feminismuskonzepten" und forderten einen "modernen Feminismus". Nur: Was sollen wir darunter verstehen? Sind nach 4000 Jahren Männerherrschaft die wahrhaft umstürzlerischen Ideen der Feministinnen nur 30 Jahre nach Aufbruch der Neuen und 100 Jahre nach dem der historischen Frauenbewegung wirklich schon von gestern?

Nein. Die Forderungen der Feministinnen sind im Gegenteil erschreckend aktuell: vom Recht auf eine selbstbestimmte Mutterschaft, gegen die Vermarktung des Körpers bis zur Hälfte der Welt für die Frauen – und der Hälfte des Hauses für die Männer.

Sicher, erstmals in der neueren Geschichte haben wir Frauen uneingeschränkt gleiche Rechte. Erstmals haben wir Frauen einen, zumindest formal, uneingeschränkten Zugang zu Bildung und Beruf. Und erstmals stellen wir Frauen in den meisten Parlamenten und Regierungen der westlichen Welt ein Drittel und mehr aller Abgeordneten und MinisterInnen.

Doch da, wo die Macht heute wirklich spielt, in der Wirtschaft, sind wir weiterhin auf verlorenem Posten (nur acht Prozent der Top-Manager in Deutschland sind Frauen). Und da, wo die Macht so schwer fassbar ist, im Bereich des Symbolischen, sind wir mehr denn je relative Geschöpfe nun angeblich auch noch gerne. Und da, wo noch immer die Weichen für die Geschlechterrollen gestellt werden, im Privaten, haben wir uns zurückdrängen lassen ins Individualistische. Eine gesellschaftliche Reflexion der Geschlechterbeziehungen findet kaum noch statt. Auch sie gilt als gestrig.

Wie konnte das passieren? Was hat die Frauenbewegung falsch gemacht?

Nun, "die" Frauenbewegung gab es in Wahrheit nie. Sie war keine Organisation und keine Partei. Aber sie hatte von Anfang an bestens organisierte Gegner. Sie selbst war jedoch nur ein lockerer Verbund von ein paar tausend Aktivistinnen, die sich in Bewegung gesetzt hatten. Vielleicht zu locker. Denn diese Aktivistinnen verweigerten jegliche Institutionalisierung und Hierarchisierung – und konnten darum in dieser Welt auch nie die Machtfrage stellen. Ganz im Gegensatz zu ihren damaligen Gefährten, die heute an der Macht sind. Die kehrten ab Anfang der 80er wieder in die weit geöffneten Arme der Männerbünde zurück und machten klassisch Karriere in Medien, Kultur, Politik und Wirtschaft.

Höchste Zeit also, dass wir Frauen uns wichtig nehmen.

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