Alice Schwarzer schreibt

Der Merkel-Effekt

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Auch für die befragten (potenziellen) WählerInnen ist Angela Merkel ‚die Verkörperung eines neuen Leitbildes in der Politik’, ist sie ‚glaubwürdig’ und ‚sympathisch’. Auf dem ZDF- Politbarometer rangierte die schwarze Jeanne D’ Arc Mitte April mit +2,4 auf Platz 1 der Beliebtheitsskala (vor Biedenkopf und Kanzler Schröder mit +1,6 auf Platz 3 abgeschlagen).

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Hätten sie die Wahl zwischen Schröder und Merkel, 19 Prozent der traditionellen SPD- Wählerinnen würden der CDU-Frau ihre Stimme geben, meldet Forsa. Und 100 Prozent der CDU-Frauen sowieso. Würden nur Frauen wählen, meldet infratest, wäre Merkel mit 44 Prozent aller Frauenstimmen morgen Deutschlands erste Kanzlerin.

Für mich ist das keine Überraschung. Die Zeit war reif. Überreif. Über ein halbes Jahrhundert hat es gedauert, bis endlich eine Frau – und eine Ostdeutsche dazu! – an die Spitze einer der großen Volksparteien rückte. Dabei ist es beschämend für die Sozialdemokraten, dass ausgerechnet die Konservativen diesen Schritt tun.

Merkels Wahl zur Parteivorsitzenden ist ein historischer Schritt – und ein Signal für alle Frauen. Ein Signal, das die politischen Machtverhältnisse entscheidend beeinflussen könnte. Denn noch sind die Frauen zwar im politischen Geschehen kein Machtfaktor, sondern eher schlafende Riesinnen – doch das könnte sich rasch ändern.

Seit 30 Jahren, seit dem Aufbruch der Frauen Anfang der 70er Jahre, wählen Frauen anders als früher und anders als Männer. Dieser sogenannte Gendergap, die Kluft im Wahlverhalten zwischen den Geschlechtern, wird in der ganzen westlichen Welt registriert, und brachte in Deutschland 1972 die Sozialdemokraten an die Macht (und das Statistische Bundesamt zu dem Kommentar: „Die Frauen verhalfen der SPD in den Sattel“.

Doch die Hoffnungen der frauenbewegten Wählerinnen entpuppten sich rasch als Illusionen. Die Regierung Brandt machte eher mit Frauenaffären als mit Frauenpolitik Schlagzeilen, und die Regierung Schmidt überholte mit ihrer zur Familienpolitik mutierten Frauenpolitik die CDU rechts. Eine der Antworten darauf war die Gründung der Grünen, in deren Anfängen die Frauen noch führend waren (lang, lang ist’s her).

Seither hält der Trend an, dass Frauen eher ‚links’ wählen und Männer zunehmend ‚rechts’. Rechtsextreme Parteien, wie zum Beispiel die Republikaner, werden doppelt bis dreifach so häufig von Männern gewählt. Hätten nur Frauen die Wahl, gäbe es in Deutschland überhaupt keine rechten Splitterparteien in den Parlamenten. Auch Haider wurde von jedem dritten Mann, aber nur jeder fünften Frau gewählt; bei den unter 30-Jährigen votierten sogar 39 Prozent der Männer für den schönen Jörg.

Seit Mitte der 80er Jahre zeichnet sich noch ein zweiter Trend ab: Frauen wählen Frauen! So siegte jüngst die sozialdemokratische Präsidentin Halonen in Finnland dank der Stimmen der konservativen Frauen und fischte auch Ministerpräsidentin Simonis in diesen Teich. Sie immerhin dankte es ihren Wählerinnen prompt – vermutlich auch mit Blick auf den Merkel-Effekt: Schleswig-Holstein wird zur Zeit von mehr Frauen als Männern regiert.

Wenn sie klug sind, nutzen die Frauen der anderen Parteien diesen Merkel- Effekt und gehen in die Offensive. Gerade in Deutschland, wo mann in der Berliner Republik einen demonstrativen Macho-Stil pflegt (im Gegensatz zum Ausland, wo Blairs und Jospins eher mit dem Feminismus kokettieren als mit dem Sexismus). Den Frauen geht diese Männerbündelei auf die Nerven, sie hoffen, dass eine Frau ihre Interessen eher und besser vertreten wird.

Wenn schon nicht aus Überzeugung, so sollten die Parteien wenigstens aus Berechnung die Karte Frau bei Wahlen spielen, denn die könnte glatt fünf bis zehn Prozent bringen. Dass diese Karte bisher dennoch in der deutschen Politik nie Trumpf war, das zeigt nur, dass die Männer an der Macht lieber dieselbe verlieren, als sie mit dem anderen Geschlecht zu teilen.

Denn, wir erinnern uns: Auch die CDU hat Merkel ja keinesfalls freiwillig aufs Podest gehoben. Ohne die Erschütterung durch die Spendenskandale und den Druck der Basis wäre die Generalsekretärin trotz bewiesener Tüchtigkeit nie und nimmer Vorsitzende geworden, im Gegenteil: Die Dunkelmänner der CDU hatten noch bis zuletzt ihre ganze Energie ins Hinterzimmern und Intrigieren investiert ( ‚nur ein erfahrener Mann’, ‚ein Ministerpräsident’, ‚eine Doppelspitze’). Die Antwort der Basis darauf war eindeutig: für Lichtgestalt Merkel die Spitzenquote von 96 Prozent und für Intrigant Rühe die Tiefstquote von 58,5 Prozent.

Die nächsten zwei Jahre werden auch innerparteilich hart werden für Merkel, aber schon jetzt zeichnet sich ab: Sie hat echte Chancen, Kanzlerkandidatin 2002 zu werden. Und dann müsste Rot-Grün sich tatsächlich ‚warm anziehen’.

Sie hat es tatsächlich geschafft. Dieses Mädchen aus einer Familie, die mitten im Kalten Krieg von West nach Ost zog; diese Pfarrerstochter einer SPD-Wählerin und Schwester eines Grünen-Sympathisanten; diese Protestantin und Physikerin mit der sympathischen Spanne von Moral bis Verstand; vor allem aber: diese Frau, die emanzipiert lebt - aber leider ganz anders redet.

72 Minuten lang buhlte die neue Vorsitzende auf dem Essener Parteitag am 10. April um die Solidarität der Gesamtpartei, acht Minuten lang hat sie geklatscht und gejubelt. Warum? Weil die Rede so ungewöhnlich war? Wohl kaum. Wer sie nüchtern nachliest, entdeckt: Es war anscheinend weniger das Was, sondern eher das Wie, das mitriss: Merkels frischer und uneitler, nüchterner und warmherziger Stil.

Doch Symbolik hin, Symbolik her - jetzt müssen Taten folgen. Dass sie aus dem Osten kommt, hat Angela Merkel nicht vergessen. Dass sie eine Frau ist, hat sie zwar spätestens als Frauenministerin schon mal gewusst, scheint es aber als Parteivorsitzende nicht mehr der Rede wert zu finden.

Ganze drei Zeilen auf 26 Rede- Seiten ist der als ‚Durchbruch der Frauen’ Bejubelten die Frauenfrage Wert. „Liebe Freunde“, spricht Angela Merkel da, „Liebe Freunde, die CDU ist in Bewegung: Fast auf den Tag genau vor 15 Jahren brachte schon einmal ein Parteitag in Essen einen großen Durchbruch für die CDU: der Essener Parteitag 1985 zur Frauenpolitik. Das war - die Frauen seufzen schon - eine echte Pionierarbeit für die große Volkspartei der Mitte.“

War? Ausgerechnet an diesem historischen Tag, wo eine Frau an der Spitze nicht länger Traum, sondern endlich Wirklichkeit ist, ausgerechnet an diesem Tag, erklärt die Erste, die es - nicht nur dank Freund Zufall, sondern auch dank Freundin Emanzipation - geschafft hat, die Frauenfrage für erledigt? Ja sie wagt es sogar, Heiner Geißlers provokante Vision von der ‚Partnerschaft 2000’ ausgerechnet in dem von ihm einst beschworenen Jahr zu den Akten zu legen. Das ist in der Tat ein Grund zum Seufzen für die wackeren Kämpferinnen in der CDU, denen mann, eine nach der anderen, in den vergangenen Jahren das Genick gebrochen hat.

Für alle Minderheiten hatte die neue Vorsitzende in ihrer programmatischen Antrittsrede ein Wort. Für die Ossis, klar. Für Kohl. Für die Landwirte und Soldaten und die Alten - nur für eine Mehrheit nicht: für die Frauen. Streifte sie doch mal das Thema, hätte sie besser geschwiegen.

Merkel zur Familienpolitik: „Es stellt sich die Frage, ob die Gleichstellung der Frau wirklich nur über Erwerbstätigkeit erreicht werden kann“. – Hört, hört. Die ins Haus zurückgedrängten Ostschwestern werden es der Karrierefrau danken! Krippen und Kindergärten? Kein Thema. Aber dafür mehrfach der ‚Schutz des Lebens’, der ‚mit dem Embryo beginnt’. Beifall.

Zwei Jahre haben die anderen Parteien bis zur Bundestagswahl 2002 jetzt Zeit, auch ihrerseits ‚die Frau als Waffe’ (Focus) einzusetzen. Zwei Jahre hat Angela Merkel Zeit, nicht nur die Konservativen zu beruhigen (Seht her, ich bin eine von euch), sondern auch, die Frauen zu gewinnen. Niemand erwartet Feminismus pur von ihr, sie ist ja Christdemokratin. Aber dass eine Light-Version möglich ist, haben CDU-Frauen vor ihr, von Schwarzhaupt bis Süssmuth, hinlänglich bewiesen.

Nicht vergessen: Frausein ist schön - aber es ist noch kein Programm. 

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