England: Männer gegen Pornografie

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Matt McCormack Evans sah in der Uni-Bibliothek einer Bibliothekarin zu, wie sie Bücher einstellte und sich strecken musste, um an die obersten Borde zu kommen. Da kam ihm der Gedanke, sich „an diesem Abend einen Porno zu suchen, in dem es ums Thema Bibliothek geht“. Heute sagt er: „Ich weiß noch genau, wie ich mir das vorgenommen habe und wie mir dann plötzlich klar geworden ist, was ich da tue.“

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Matt war damals um die zwanzig und guckte seit einem Jahr regelmäßig Pornos – seit er studierte und einen eigenen Computer hatte. Er tat es, wenn er allein war; niemand bekam es mit. Dann merkte er, dass seine Kommilitonen ebenfalls Pornos schauten, oft und offen – ja, sie gaben regelrecht damit an. Von da an begann Matts Unbehagen.

Es gab Momente, in denen er ahnte, wie Pornografie sein Leben und das anderer Männer zu beeinflussen begann. Flash-Momente wie den in der Bibliothek, als ihm aufging, wie die Pornos seine Reaktion auf Frauen in der realen Welt veränderten. Oder als er mitbekam, wie ein Kommilitone sich einen blöden Witz über zuviel Oralsex verkneifen musste, als eine Mitstudentin über Halsschmerzen klagte.

Matt, ein nachdenklicher, eloquenter Londoner Philosophiestudent, hatte sich nie in besonders machohaften Zusammenhängen bewegt. Und nun stellte er fest, dass die „vergleichsweise differenzierten jungen Männer“ aus seinem Bekanntenkreis sich zu verändern begannen. „Sie kamen an die Uni, hatten ihren ersten eigenen Computer, waren viel allein und wurden immer machohafter. Einmal hat einer meiner Kumpels in einem Club einer Frau an den Hintern gefasst. Da bin ich total ausgeklinkt.“ Matt MacCormack Evans hat gehandelt. Mit 22 hat er jetzt ein Online-Projekt mitbegründet: www.antipornmen.org.

Die Initiative will Männer dazu bringen, über ihren Pornokonsum nachzudenken und zu reden. Bisher kamen solche Projekte meist aus der religiösen, konservativen Ecke.

Matts Anti-Porn-Men-Project kommt aus der fortschrittlichen. Es geht davon aus, dass Pornografie im Zusammenhang mit Ungleichberechtigung und Gewalt gegen Frauen zu sehen ist. Außer Matt sind noch zehn weitere Männer auf der Website aktiv. Das Ziel ist es, eine Community zu gründen, „wo Leute ihre Erfahrungen und Probleme austauschen und eine alternative Stimme finden können“.

Mit dieser Website ist McCormack Evans einer der wenigen Männer weltweit, die Pornografie öffentlich aus einer feministischen Perspektive diskutieren: mit einer positiven, offenen Grundhaltung zur sexuellen Freiheit, aber kritisch gegenüber der Industrialisierung von Sex und den Folgen. Sein prominentester Mitstreiter ist Robert Jensen, Journalistikdozent an der University of Texas in Austin, der 2007 das erschütternde Buch „Getting Off: Pornography and the End of Masculinity“ (Aussteigen – Pornografie und das Ende von Männlichkeit) veröffentlicht hat.

Darin schreibt Jensen u.a. über die Pornoserie „Slut Bus“ (Nuttenbus), in der Männer mit einer Videokamera im Minivan durch die Gegend fahren und Frauen fragen, ob sie mitfahren und sich für Geld beim Sex filmen lassen wollen. Die Frauen in dem Film sagen immer Ja. Wenn die Frau danach aussteigt und nach dem Geld greifen will, fahren die Männer davon und lassen sie dumm dastehen. „Manche Männer zahlen tatsächlich für Videos mit dieser simplen Botschaft: Frauen sind dafür da, gefickt zu werden“, schreibt Jensen.

„Man kann Frauen kaufen, um Sex mit ihnen zu haben. Aber letztlich sind sie’s noch nicht mal wert, dafür bezahlt zu werden. Sie verdienen es noch nicht mal, gekauft zu werden. Sie verdienen es, am Straßenrand stehen gelassen und von wegfahrenden postpubertären Typen ausgelacht zu werden.“

„Slut Bus“ kommt auch in „Guyland“ (Mackerland) vor, dem 2008 erschienen Buch des Dozenten für Gender-Studies Michael Kimmel. „Pornotopia ist die Welt, in der junge Männer es den Frauen heimzahlen können, wo die Frauen kriegen, was sie ‚verdienen‘, wo die Männer sich nie beweisen müssen und nie abgewiesen werden. So wird das Porno-Universum zu einem Ort des homosozialen Trostes. Eine Zuflucht vor der rauen Wirklichkeit einer Welt, in der die soziale Gleichstellung der Geschlechter so weit vorangekommen ist wie noch nie. Es geht um Wut über den Verlust von Vorrechten – und den Versuch, die unangefochtene Autorität des Mannes wiederherzustellen.“ Besonders groß scheint diese Wut bei jungen Männern zu sein.

Wenn man mit Leuten, die in den Sechziger- und Siebzigerjahren erwachsen wurden, über Pornografie spricht, verstehen sie darunter oft schlüpfrige Sex-Filmchen mit einer rudimentären Handlung. Heute ist „Gonzo“ angesagt: Filme ganz ohne Handlung, die ausschließlich sexuelle Akte zeigen. 1998 erklärte selbst die Pro-Porno-Aktivistin und Pornodarstellerin Nina Hartley, man sehe „immer mehr Videos, in denen Frauen mit dem Gesicht über den Boden geschleift und bespuckt werden und jemand ihren Kopf in die Toilette steckt.“

Während sehr viel darüber geschrieben wurde, welche Auswirkungen Pornografie auf Frauen hat – insbesondere über die schockierende Behandlung von Frauen innerhalb der Pornoindustrie –, findet man bisher wenig über die Auswirkungen von Pornografie auf Männer. Was seltsam ist, wenn man bedenkt, dass Pornografie, wie McCormack Evans sagt, vorwiegend „von Männern gemacht, von Männern vermarktet und von Männern konsumiert wird“.

Ein Problem für viele Pornokonsumenten ist der Konflikt zwischen ihren erklärten Überzeugungen, was die Gleichberechtigung und den Respekt vor Frauen angeht, und dem, was sie sich im stillen Kämmerlein zu Gemüte führen. Matt spricht von einer Art „gespaltenem Bewusstsein“: „In der halben Stunde, die ich Pornos guckte, dachte ich: ‚Das läuft völlig getrennt von meinem übrigen Leben und beeinflusst meine reale Einstellung überhaupt nicht.‘ Aber dann merkte ich, dass sie es doch beeinflussen.“

Jensen sagt, von dieser Spaltung höre er ständig. „Männer sagen: Ich weiß, dass die Bilder, die ich mir reinziehe, in diametralem Widerspruch zu meinen Überzeugungen stehen, aber ich kann’s einfach nicht lassen.“ McCormack Evans: „Hinterher sitzen sie da, und da ist immer noch ein Bild auf dem Schirm, und sie gucken in den Spiegel und denken: ‚Bin ich widerlich …‘ Dann kommt ihre Tochter herein oder ihre Frau oder Freundin, die gerade beim Pilates war, und am nächsten Tag suchen sie einen Pilates-Porno und fühlen sich noch mieser. Das kann ganz schön selbstzerstörerisch werden.“

Pornos hinterlassen in den Köpfen der Männer Bilder und Drehbücher, die sie nicht mehr loswerden und die beim realen Sex ablaufen. Gail Dines berichtet in Pornland von ihrer Begegnung mit „Dan“, der ihr erklärte: „Ich habe schon Pornos geschaut, bevor ich Sex hatte, also habe ich mehr oder weniger durch Pornos gelernt, was Sex ist. Ich kriege die Bilder von Analsex nicht aus dem Kopf, wenn ich mit einer Frau zusammen bin. Und dann bin ich mit meinen Gedanken gar nicht wirklich bei ihr, sondern bei der letzten Analsex-Szene, die ich gesehen habe.“

Der Antisexismus-Aktivist Jackson Katz, Verfasser des 2006 erschienenen Buchs „The Macho Paradox“, vertritt die These, dass die Pornoindustrie ein handfestes Interesse daran hat, die sexuelle Intimität zwischen Männern und Frauen zu unterminieren: Wenn Partner miteinander befriedigenden Sex hätten, würde der Markt einbrechen. Und diese Intimitätsfeindlichkeit ist laut Jensen eine Erklärung dafür, dass Pornos so brutal, entwürdigend und erniedrigend geworden sind. Dass sie, um den Schriftsteller Martin Amis zu zitieren, „das Gegenteil von Liebe sind, nämlich Hass und Tod“.

„Wenn Pornografie Gefühle anspräche, die mit Gegenseitigkeit, Respekt und gleichberechtigter Beziehung zu tun hätten“, sagt Jensen, „würden die Männer sie nicht kaufen, weil sie Pornos konsumieren, um vor Gefühl und echter Partnerschaft zu fliehen. Also führt der Weg zur Absatzmaximierung zu Wut, Aggression und Dominanz.“

Einer der verrücktesten Aspekte von Pornos ist, dass sie „nie wirklich befriedigen“, sagt Matt. Wenn Pornos also nicht einmal dieses grundlegende Versprechen erfüllen, warum werden sie dann nicht von mehr Menschen infrage gestellt?

Jensen ist überzeugt: „Das hat damit zu tun, dass viele linksliberale Männer selbst Pornos konsumieren und keine Selbstkritik üben wollen. Und die heterosexuellen Frauen? Will frau denn wirklich wissen, was der eigene Freund oder Mann sich da reinzieht? Wenn er zu Bildern von erniedrigten Frauen masturbiert, kann sie ihm dann noch glauben, wenn er sagt: ‚Oh, dich sehe ich ganz anders‘? Das wäre doch naiv.“

Und noch ein Problem sieht Jensen. „Es ist ja schön und gut zu sagen: ‚Ist den Leuten denn nicht klar, was Pornografie langfristig anrichtet?‘ Aber wenn man vor seinem Computer sitzt, den eigenen – um es mal drastisch zu sagen – Schwanz in der Hand, und in drei Minuten zum Orgasmus kommen kann, wie langfristig denkt man da?“

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