Alice Schwarzer schreibt

Falsche Schwestern: Wie mies sind Frauen?

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"Sisterhood feels good", Schwesterlichkeit tut gut, das war die Parole, unter der die Amerikanerinnen in den sechziger Jahren antraten. Wenig später euphorisierte der Slogan "Frauen gemeinsam sind stark" die deutschen Feministinnen.

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Frauen sind stark. Frauen sind klug. Frauen sind solidarisch. Das klingt beschwörend und ist auch so gemeint. Black is beautifull. Schwarzsein ist schön. Aus Jahrtausenden der Verachtung und Selbstverachtung bricht ein strahlendes neues Selbstverständnis hervor. Und da, wo es noch nicht Wirklichkeit ist, soll die magische Formel es erzwingen.

Doch sind Frauen gemeinsam wirklich stark? Hat man uns nicht immer erzählt, die schlimmsten Feinde der Frauen seien die Frauen selbst? Nun, sie sind ganz sicherlich nicht unser "schlimmster Feind", denn dazu sind Frauen viel zu machtlos. Aber - sie können uns das Leben schon ganz schön schwer machen. Auch tut es, gerade im Zuge der neuen Sisterhood, besonders weh, wenn Frauen sich gegen Frauen richten.

Über Jahrtausende geduckt und gedemütigt sein - kann das nur Gutes, kann das nur lautere Seelen zeugen? Nein. Man gehört nicht ungestraft über Generationen zu den Geknebelten! Macht korrumpiert. Und auch Ohnmacht deformiert. Frauen haben aufgrund ihrer anderen Lebenssituation zwar besondere Qualitäten entwickelt (Menschen- und Realitätsbezogenheit, Spontaneität und Emotionalität), aber sie haben auch besondere Nachteile, tragen die Verkrüppelung der ihnen aufgezwungenen "Weiblichkeit".

Menschen, die über Generationen ihre Muskeln nicht ausbilden durften, sind real schwächer. Und uns Frauen hat man nicht nur den Körper, sondern auch den Geist eingesperrt. Wenn es heute trotzdem starke, mutige, wissende Frauen gibt, so spricht das nur doppelt für uns: die Aneignung dieser Fähigkeiten hat man uns schwer genug gemacht. Die offene Auseinandersetzung wurde Frauen bisher verweigert. Also lernten sie, die Waffen der Schwachen zu benutzen, griffen sie zur Heuchelei, List und Intrige.

Wir alle wissen, worum es dabei geht. Die Freundin, der wir etwas anvertraut haben, und die es nun gegen uns benutzt. Die Kollegin, von der wir glaubten, sie stünde auf unserer Seite, und die nun hinter unserem Rücken über uns hetzt. Die Feministin, mit der wir jahrelang zusammengearbeitet haben, und die nun eine persönliche Verstimmung oder inhaltliche Meinungsverschiedenheiten nicht offen austrägt, sondern hinterrücks durch Tratsch, Unwahrheiten und Diffamation.

Wo bleibt da die vielbeschworene Solidarität? Mein Gott. Wenn wir die wirklich schon hätten - ja, dann hätten wir es geschafft. Denn genau das ist ja unser größtes Handikap: dass wir noch nicht begriffen haben, wie stark wir gemeinsam wirklich sein könnten! Generationen von Frauen wurde die Verachtung des eigenen Geschlechts eingeimpft. Generationen von Frauen wurden auseinandergetrieben und auf den Mann dressiert. Wie sollten und könnten wir da so schnell umlernen? Vor allem auch, da die Männer kein Interesse daran haben. Sie reden uns verstärkt ein, diese "entzückenden weiblichen Schwächen" seien in Wahrheit unsere Stärken...

Nein, Frauen gemeinsam sind nicht immer stark und solidarisch. Sie wollen es noch werden. Da sind die "Weibchen", die es nur den Männern recht machen, und die "Lagerwechslerinnen", die es ihnen nur nachtun wollen. Aber da sind auch wir, die wir von uns behaupten, wir verhielten uns schon anders, seien bereits die "neuen Frauen". Doch noch ist das leider oft mehr Wunschdenken als Realität.

Gestehen wir es uns ruhig ein: Die weibliche Solidarität existiert, aber sie ist noch nicht sehr fest verankert. Sie will jeden Tag neu errungen sein! Auch unter Feministinnen gibt es, wie überall, Machtkämpfe und Hass. Aber es gibt auch viel Ermutigendes. Es gibt eine Herzlichkeit und Gemeinsamkeit, wie wir sie in unseren kühnsten Träumen nicht zu hoffen gewagt hätten. Und genau das macht mir Mut, Frauen nicht blind zu idealisieren! Denn je konsequenter wir selbst die Sonnen- und die Schattenseiten der "Weiblichkeit" analysieren und angehen, um so rascher werden wir vorankommen. Ehrlichkeit tut not. Und Selbstkritik.

Dass Differenzen da sind, ist klar: sowenig wie es zum Beispiel DIE Linke gibt, gibt es DIE Frauenbewegung. Wir sind Tausende, sind unterschiedlich betroffen, haben zwar einen gemeinsamen Minimalnenner - den Kampf gegen die Männergesellschaft.-, aber verschiedene Motive, Einschätzungen, Strategien und Ziele. Das Eingeständnis dieser Vielfalt ist eines der fundamentalen Prinzipien des Feminismus: keine Gleichschaltung! kein Programm weniger für Viele! dafür Selbstbestimmung! Und gerade das will gelernt sein, und - es öffnet zunächst auch Missbrauch Tür und Tor.

Wo keine institutionalisierten Autoritäten sind, machen sich die grauen Eminenzen breit. Wo kein verbindliches politisches Programm existiert, kann Grundsätzliches leicht verwässert werden, kann jede Gruppe ihre Sicht jederzeit zur einzigen feministischen Wahrheit erklären.

Doch unser Hauptfeind sind nicht die Frauen, sondern ist und bleibt die Männergesellschaft. Und wenn manche Frauen sich heute noch nicht entsprechend verhalten können, dann müssen wir, bei aller Sisterhood, auch fähig sein, uns zu wehren - auch gegen die eigenen Schwestern.

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