Femen aller Länder, vereinigt euch!

Artikel teilen

Kiew ist zu klein geworden für sie. Anfang November zogen sie erst nach Paris, dann nach Rom. In Paris marschierten sie am Place des Vosges vor die Haustür von Dominique Strauss-Kahn. Bewaffnet mit Putzeimer und Scheuerlappen und gekleidet in den klassischen Porno-Dienstmädchen-Look: schwarzes Minikleid mit gestärkter weißer Schürze und Häubchen, dazu Netzstrümpfe. So machten sie sich daran, vor der Haustüre von DSK zu putzen. Nicht ohne ihre spitzenbehosten Hintern Richtung Kameras zu schwenken, die sie ­bereits erwartet hatten und nicht aufhörten, draufzuhalten. Und dazu sangen sie aufreizend: Voulez vous coucher avec moi ce soir …

Anzeige

Doch plötzlich drehten sie sich um, hielten Transparente hoch und riefen: „Schande, über dich, Strauss-Kahn!“ – „Komm raus, wenn du ein Mann bist!“ – „Geld und Kontakte können nützlich sein, um nicht bestraft zu werden. Aber von der Schande wird man niemals reingewaschen!“ Und: „Vive la liberté des femmes!“

Was war das? Protestierende Französinnen, denen es langsam reicht mit ihrem Beinahe-Präsidenten, gegen den inzwischen wegen Korruption via Gratislieferungen von Prostituierten und Gratis-­Luxusessen durch die Mafia ermittelt wird? Nein. Es waren Ukrainerinnen. Die Agitprop-Gruppe namens Femen (Frauen) hatte den weiten Weg von Kiew nach Paris nicht gescheut, um „gegen die mächtigen und korrupten Sexisten“ in aller Welt zu protestieren.

Ihre drastische Strategie: Wollt ihr nackte Busen? Okay, die könnt ihr haben. Aber nicht, ohne euch anzuhören, was wir zu sagen haben. Nämlich: Schluss mit der Prostitution! Nieder mit der Korruption! Shame on you Strauss-Kahn! Und: Fuck you, Silvio!

Nächste Station: Rom. Da liefen die Femen ein paar Tage später auf in diesem sonnigen November. Diesmal, um gegen „das System Berlusconi“ zu protestieren. Das korrupte System, in dem ein Staatschef unter anderem willfährige Mädchen zu Politikerinnen machen kann.

Auf dem Petersplatz demonstrierten die rasenden Femen gleichzeitig gegen Berlusconi und gegen den Papst. Diesmal standesgemäß mit schwarzem, transparentem Schleier überm Kopf und entblößtem Busen. Die rissen sie ab, als die Polizei sich nähert, sie hart auf den Boden schleudert und abführt. Ein letztes strahlendes Winken von Sascha aus dem Polizeiauto und weg ist sie, die sexy Blondine. Dem Rentner am Straßenrand bleibt nur noch der Kommentar: „Recht haben sie. Berlusconi, diese Marionette, muss gehen.“
Auch in ihrer ukrainischen Heimat lösen die Femen längst nicht mehr nur Amüsement und heiteres Begehren aus. Jüngst klopfte gar der Geheimdienst bei der Femen-Leaderin Anna Hutsol an die Tür und gab ihr mitten in der Nacht den heißen Tipp, aufzuhören – anderenfalls könnten auch mal ein paar Arme und Beine zu Bruch gehen. Doch Anna und ihre Mitstreiterinnen ließen sich nicht einschüchtern. Sie machten die Drohung umgehend publik.

Vier Jahre ist es nun her, dass die damals 22-jährige Anna und die 16-jährige Sascha zum ersten Mal beratschlagt haben, was sie nur tun könnten. Tun gegen den Ausverkauf der Ukrainerinnen an westliche Freier. Tun gegen die Entwicklung, dass laut Befragung zwei von drei Studentinnen auf der Straße bereits eindeutige ­Angebote von Westtouristen bekommen haben. Tun dagegen, dass die Mieten in Kiew inzwischen doppelt so hoch sind wie in München. Und tun dagegen, dass nicht noch mehr junge Frauen in die scheinbar verlockende Prostitution mit ihren schnellen Euro abrutschen – so wie es der besten Freundin von Sascha widerfahren ist.

2008 gingen die Femen zum ersten Mal auf die Straße. Nicht immer mit entblößtem Oberkörper. So manches Mal ziehen sie auch mit braven Wollmützen los und verteilen Flugblätter auf dem Boulevard Chreschtschatyk; vor allem an Männer, um sie darüber aufzuklären, dass Prostitution die Frauen kaputt macht und ein Verstoß gegen die Menschenwürde ist. Manche Männer reagieren aggressiv, andere aber nehmen die Flugblätter an und schauen den sehr jungen Frauen sehr erstaunt hinterher.

Anna Hutsol ist mit 27 die älteste Feme und studierte Ökonomin. Ihre Berufserfahrung als Tourmanagerin von Rockgruppen nutzt der Frauentruppe ungemein. Und die Mädels sind nicht nur mutig und schlau, sondern auch ziemlich kreativ. Warum sie sich ausziehen? „Das ist der einzige Weg, um heutzutage als Frau überhaupt beachtet zu werden“, erklärt Anna und fügt hinzu: „Wir brauchen das Interesse der Medien, um gehört zu werden und etwas verändern zu können. Und die Medien springen nun mal auf Humor, Show, Schock und Erotik.“

Seit ihrer ersten Busenaktion 2008 haben sich die Auftritte der Femen bemerkenswert verfeinert. Sie entblößen sich nicht mehr nur, sie schminken sich und sind selten ohne die traditionellen, dekorativen Blumenkränze im Haar mit den flatternden Bändern zu sehen. Das hebt. Die Aufmerksamkeit.

Am Anfang waren sie nur eine Handvoll, jetzt sind sie zwei Dutzend Aktivistinnen, rund 3000 SympathisantInnen und Zehntausende, die im Internet auf ihre Seite gehen (femen.livejournal.com/ – leider auf Russisch). Wie sie das alles finanzieren? „Ein paar Geschäftsleute unterstützen uns“ und auch ein DJ aus Deutschland, DJ Hell, steuert was bei. Neuerdings bessern die cleveren Femen ihre Kasse auch mit Femen-Fan-Artikeln auf: Femen-T-Shirts, Femen-Tassen, Femen-Taschen.

Anna Hutsol ist die einzige Berufstätige in der Guerilla-Truppe. Alle anderen sind Studentinnen. Sie wohnen in tristen Wohnsilos am Stadtrand von Kiew und wenn sie aufbrechen zu ihren Aktionen im Zentrum, nehmen sie den Bus. Ein Auto hat keine von ihnen.

Jüngst haben die Femen vor dem Parlament mit Transparenten wie „Freie Kasse“ demonstriert: gegen den regierenden Präsidenten Janukowytsch ebenso wie gegen die von ihren politischen Gegnern ins Gefängnis gebrachte Julia Tymoschenko. Denn: „Die sind beide die Oberhäupter krimineller Vereinigungen“, sagen die Femen. „Beide sind unendlich weit entfernt von den Bedürfnissen der einfachen Leute.“

Begonnen hatte der Protest der Femen mit dem Kampf gegen den Sextourismus, diese Seuche, die ganz Osteuropa vergiftet und heute für die Femen „das Problem Nr. 1 der Ukraine ist“. Die Femen fordern: Eine Bestrafung der Männer, die Sex kaufen! Die Erhöhung der Strafen für Zuhälterei! Den Kampf der Regierung gegen den Sextourismus! Und: Dass Ausländer, die als Sextouristen auffällig geworden sind, keine Einreisegenehmigung mehr in die Ukraine erhalten! Mit der deutschen Botschaft in Kiew, sagen sie, arbeiten sie schon konstruktiv zusammen. Die türkische Botschaft aber, deren Land die Hauptklientel derFreier in der Ukraine stellt, hatte es bisher noch nicht einmal nötig, auch nur zu antworten.

Ihre No-Prostitution-Aktionen machen die Femen zurzeit vor dem im Bau befindlichen Fußballstadion. Denn da soll im Sommer 2012 die EM stattfinden (gemeinsam mit Polen) – was bekanntermaßen nicht nur eine Flut von Fans, sondern auch die Freier vermehrt ins Land spült. Und wo die Kunden sind, da ist auch die Ware. Sprich: Die große Versuchung für naive und verzweifelte Frauen, sich zur Ware zu machen. Von den zahlreichen Zwangsprostituierten ganz zu schweigen.

Scharf im Visier haben die Femen auch die Unterdrückung der Frauen in den islamistisch beherrschten Ländern. Für das Recht der Frauen in Saudi-Arabien, auch Autofahren zu dürfen, schlossen die Femen sich der internationalen Kampagne „Women2Drive“ an. Sie demonstrierten mit nacktem Busen und schwarz verschleiertem Gesicht in Kiew. Slogan: „Autos für Frauen! Kamele für Männer!“ Und aus Protest gegen das ­Todesurteil gegen Sakineh Mohammadi Ashtiani (die mit deutschen Journalisten gesprochen hatte und im letzten Augenblick begnadigt wurde) zogen die so ­moralischen Schamlosen vor die iranische Botschaft in Kiew – und ersparten auch den bigotten Frömmlern den Anblick ihrer prächtigen Busen nicht.

Und da die Probleme, gegen die die Femen in der Ukraine kämpfen, weltweit sind, beginnen sie jetzt, ihren Protest zu erweitern und in den schlappen Westen zu exportieren. Denn nicht nur in Osteuropa steigt „die Geringschätzung der Frauen und ihre Einschränkung“, wenn es da auch besonders schlimm zu sein scheint. So kann in dem Land, das noch vor kurzem so stolz war auf seine „Orange Revolution“, zum Beispiel der Staatschef ungestraft erklären: „Frauen gehören an den Herd.“

Ein Fall für die Femen. Prompt marschierten sie barbusig vor dem Regierungssitz auf, protestierten gegen die „Vergewaltigung der Demokratie“ und das „Bordell Ukraine“ und forderten die Ehefrauen der Politiker zum Sexstreik auf. Inzwischen ist bei den Auftritten der Femen auch in Kiew die Polizei nicht mehr weit. Als die Uniformierten sich der Sex-Guerilla-Truppe vor dem Parlament nähern, setzen die Femen beim Wegrennen mit wogendem Busen noch einen drauf und rufen: „Man müsste die ganze Mannschaft mitsamt dem Präsidenten einsperren! Die sind alle korrupt!“

Keine Frage, Mut haben sie. Klar, sagt Anna: „Wir sind keine schwachen Frauen. Wir haben wirklich etwas zu sagen.“ Das findet auch die Genderprofessorin Tamara Marsenyuk von der Mohyla-Akademie. Befragt von deutschen Journalisten erklärte sie: Bei der Strategie der Femen handele es sich „um einen fundierten, postmodernen Grassroot-Feminismus“. Aha.

In einem Land, in dem auf fast jedem Plakat ein nackter Busen zu sehen ist (um irgendetwas damit zu verkaufen), und wohin ein neuseeländischer Rock-Sender jüngst den Sieger eines Gewinnspiels schickte, um seinen 1. Preis abzuholen – eine Ukrainerin – in einem solchen Land kann frau diesen vielstrapazierten Busen vermutlich nur noch zur Waffe machen. Und das gilt ja nicht nur für die Ukraine, sondern für diese ganze sexistische Welt.

Längst hat die Kunde von der Busen-Offensive der Femen international die Runde gemacht. Jüngst waren bei einer Occupy-Wall-Street-Aktion zwei entblößte Amerikanerinnen zu sehen. Allerdings verschränkten die Girls noch verschämt die Arme vor ihren Brüsten – und gingen nicht so schamlos in die Offensive wie ihre ukrainischen Schwestern.

Na, wenn das Schule macht. Werden dann die Männer beim Anblick eines bloßen Frauenbusens eines Tages nicht mehr Frauenkauf assoziieren, sondern Frauenkampf? Schöne Aussichten.

Anna Hutsol und ihre Mitstreiterinnen jedenfalls scheinen noch einiges zu planen. Jüngst erklärte Anna den willfährig lauschenden Journalisten: „Wir wollen eine Partei werden. Und international agieren.“ Und sodann setzte die im kommunistischen Kindergarten Geschulte noch hinzu: „Femen aller Länder, vereinigt euch!“

Mehr zum Thema
femen.livejournal.com/
www.myspace.com/femenukraine

Artikel teilen
 
Zur Startseite