Fuck No! Vergewaltiger in Hollywood!
Vielleicht ist in Amerika irgendetwas im Trinkwasser, das den Feminismus direkt aus dem Mund ins Hirn spült. Es muss jedenfalls eine Erklärung dafür geben, dass Frauen dort den Kampf für Frauenrechte mit einer Selbstverständlichkeit vor sich hertragen, mit der Frauen hier, sagen wir mal, ihre neue Lederhandtasche schultern.
Es geht nicht um den typisch deutschen Wahlfreiheits-
feminismus
Das Bemerkenswerte: Es geht dabei nicht um den in Deutschland besonders unter linken und konservativen Feministinnen schwer beliebten „Wahlfreiheits“-Feminismus, der jede noch so perfide Menschenrechtsverletzung als feministisch deklariert, solange mindestens zwei Frauen behaupten, sie täten es „freiwillig“. Wer die Frauenrechtsdebatten in diesen Kreisen verfolgt, wird den Eindruck nicht los, die feministische Agenda laute: Recht auf Prostitution! Recht auf Pornografie! Recht auf Burka! Und mehr Empathie mit Tätern, die hatten nämlich eine schwere Kindheit/eine fiese Mutter/Pickel in der Pubertät etc.!
In der amerikanischen Öffentlichkeit läuft es anders, nicht nur bei politischen Aktivistinnen und Mitarbeiterinnen von Frauenrechtsorganisationen. Es sind auch die Stars auf der Bühne, die Themen ins Rampenlicht rücken, über die bisher eher geschwiegen wurde auf den Brettern, die die Welt bedeuten: Gender-Pay-Gap, Magerwahn, sexuelle Gewalt.
Zum Beispiel Lady Gaga auf der Oscar-Verleihung 2016. Die oft entblößte Lady Gaga saß an einem weißen Flügel und spielte „Till it happens to you“ (Bis es dir passiert). Ein Song gegen die Stigmatisierung vergewaltigter Frauen. „Bis deine Welt brennt und zusammenbricht, bis du völlig am Ende bist, bis du einmal in meinen Schuhen gestanden hast, will ich von dir nichts hören“, sang der Star vor dem exklusiven Publikum.
Den Song hatte Lady Gaga zusammen mit der Komponistin Diane Warren für die Dokumentation „The Hunting Ground“ geschrieben. Der Film handelt von der grassierenden sexuellen Gewalt an amerikanischen Hochschulen. Jede fünfte Studentin ist betroffen.
Die sexuelle Gewalt ist auch in Lady Gagas Welt epidemisch, der Musik- und Filmbranche. Lady Gaga ist eine Betroffene. Im Dezember 2014 sprach die Sängerin in einem Radiointerview erstmals darüber, dass sie als 19-Jährige von einem 20 Jahre älteren Musikproduzenten vergewaltigt wurde. Damals hieß Lady Gaga noch ganz einfach Stefani Germanotta. Stefani schwieg, aus Scham: „Ich wusste lange nicht, wie ich mich nicht selbst beschuldigen oder es nicht als meinen Fehler ansehen sollte.“
Als auf dem Höhepunkt von Stefanis/Lady Gagas Oscar-Performance dutzende Opfer sexueller Gewalt Hand in Hand aus dem Off ins Scheinwerferlicht treten, steht so mancher Schauspielerin im Saal die Tränen in den Augen. Wie viele von ihnen wohl noch immer schweigen, aus Scham?
„Danke Lady Gaga, dass du während der Oscars die Aufmerksamkeit auf die sexuelle Gewalt gelenkt hast“, twitterte die 29-jährige Sängerin Kesha („Tik Tok“). Sie hatte gerade einen Rechtsstreit mit ihrer Plattenfirma Sony und ihrem Produzenten Lukasz Gottwald alias „Dr. Luke“ verloren. Gegen ihn hat die Sängerin vor rund zwei Jahren Anklage erhoben.
Kesha war 18 Jahre alt, als Gottwald sie unter Vertrag nahm. Ihre Karriere verlief steil. Die Liste der Vorwürfe, die die 29-Jährige gegen ihren Produzenten erhebt, ist lang: Gottwald habe sie zwei Mal mit Drogen betäubt und vergewaltigt; er habe sie beleidigt, um ihr Selbstvertrauen zu zerstören; er habe sie in die Magersucht getrieben, bis sie sich in eine Klinik einweisen lassen musste, um nicht zu verhungern.
Die Sängerin forderte vor Gericht eine einstweilige Verfügung, die sie schon vor dem Ende des Hauptverfahrens wegen sexueller Gewalt aus ihrem Vertrag mit Gottwald entlässt. Als das Gericht ablehnte, brach die Musikerin in Tränen aus. (Auch die Klage selbst wurde inzwischen übrigens abgewiesen). Twitter explodierte förmlich unter dem Hashtag #FreeKesha.
Nicht nur ihre Fans meldeten sich zu Wort, sondern auch die Kolleginnen. „Ich bewundere deinen Mut“, schrieb Lady Gaga. Sängerin Lorde erklärte: „Ich halte in diesen traumatischen, zutiefst unfairen Zeiten zu Kesha.“ Und Lena Dunham kommentierte: „Was Kesha passiert, beweist, wie das amerikanische Rechtsystem kontinuierlich Frauen verletzt – statt sie vor den Männern zu beschützen, die sie als ihre Vergewaltiger identifizieren.“
Viele Frauen in Hollywood schweigen schon lange aus Scham
Taylor Swift spendete Kesha zur Deckung der Gerichtskosten sogar 250.000 Dollar. Überhaupt, Taylor Swift! Status: erfolgreichste Pop-Musikerin der Gegenwart. Gilt als Leaderin des so genannten „Squads“. So nennen US-Medien die Girl-Gang um Swift, von denen sie einige sogar für ihr Musikvideo zu „Bad Blood“ zusammengetrommelt hat. In dem kloppen sich die Frauen und fahren dicke Motoräder, ganz wie die Männer im Pop-Biz.
Im Squad sind Schauspielerinnen wie Emma Watson und Jessica Alba, Supermodel Cara Delevingne oder „Girls“-Macherin Lena Dunham. Seit Swift sich öffentlich als Feministin bezeichnet (also seit 2014), redet sie viel über die Diskriminierung von Frauen. Als sie in diesem Jahr drei Grammys auf einmal abräumte, sagte sie in ihrer Dankesrede: „Ich möchte gerne all den jungen Frauen da draußen sagen: In eurem Leben wird es Menschen geben, die euch euren Erfolg wegnehmen wollen. Achtet gar nicht auf diese Menschen, sondern fokussiert euch auf euch selbst und eure Arbeit.“
Für solche Sätze wird Taylor Swift verhöhnt, weil sie angeblich so furchtbar banal seien. Die Millionen Mädchen, die ihr auf Twitter folgen, sehen das anders. Sie nennen sich „Swifties“ und hängen an den Lippen ihres Vorbilds.
Manche Feministinnen allerdings kritisieren Swifts „doppelte Botschaft“. Einerseits trete sie als Frauenrechtlerin auf und andererseits bediene sie optisch das Klischee des leichtbekleideten, unterernährten Pop-Püppchens – und verdiene damit sehr viel Geld. Sie sei eine „privilegierte, weiße Feministin“, auch das ist ein oft wiederholter Vorwurf der Political-Correctness-Fraktion.
Um in dieses Kritik-Karussell zu geraten, muss frau übrigens gar nicht weiß sein. Die „Queen of Pop“, Beyoncé, setzt sich insbesondere für die Rechte schwarzer Frauen ein. Auch Beyoncé wird vorgeworfen, sie missbrauche den Feminismus als „Marketing-Werkzeug“.
Nicht feministisch genug – die Liste der erklärten US-Feministinnen, über die im Netz und in den Medien dieses Urteil gefällt wird, ist lang. Manchmal ist die Kritik erwartbar, wie bei Sängerin Miley Cyrus, die 2013 vollmundig verkündete: „Ich fühle mich wie eine der größten Feministinnen der Welt!“ Gelegentlich kommt die Kritik aber auch überraschend, wie bei den Hardcore-Feministinnen Amy Schumer, Amy Poehler oder Tina Fey, drei erfolgreiche US-Comedians, die Frauen- und Mädchenrechte zu ihrem Dauerthema gemacht haben. Oder bei Patricia Arquette, die ihre Oscar-Dankesrede 2015 zum Plädoyer für Frauenrechte umfunktionierte. Oder bei Jennifer Lawrence, die sich nicht nur dem Hollywood-Magerwahn verweigert, sondern auch zu den sehr lauten Kritikerinnen des Gender-Pay-Gaps, der Unterbezahlung von Frauen in ihrer Branche zählt.
Ja, selbst die feministische Jung-Ikone Lena Dunham wird kritisiert, seit sie nicht mehr nur als die pummelige, erfolglose Nachwuchsautorin aus der Serie „Girls“ in der Öffentlichkeit steht, sondern ein Star geworden ist. Dunham hat inzwischen ein Buch veröffentlicht, das Newsletter-Magazin Lenny ins Leben gerufen und macht jetzt auch noch Wahlkampf für Hillary Clinton, die erste Frau und erklärte Feministin auf dem Weg ins Weiße Haus. Und als Amnesty International im vergangenen Sommer dafür plädierte, „Sexarbeit zu entkriminalisieren“, unterzeichnete Dunham (u.a. mit Meryl Streep) eine Petition gegen die Verharmlosung der Prostitution.
Und jüngst schrieb Lena bei Lenny einen Text darüber, warum sie mit Photoshop-Retusche endgültig durch sei: „Wenn das bedeutet, dass ich in keinem Fashion-Magazin mehr zu sehen bin, dann ist das eben so“, erklärte sie. „Adieu zu einer Ära, in der mein Körper Freiwild war!“
Lena Dunham ist auch eine der ganz wenigen US-Schauspielerinnen, die es jemals gewagt haben, sich öffentlich mit Dylan Farrow zu solidarisieren, der Adoptivtochter von Woody Allen. Dylan hatte vor zwei Jahren einen Offenen Brief in der New York Times veröffentlicht, in der sie das jahrzehntelange Schweigen der Branche über ihre Missbrauchsvorwürfe gegen Woody Allen anklagt. „Mutig und kraftvoll“, so nannte Lena Dunham via Twitter den Brief von Dylan. Und Woody Allen bezeichnete Lena ein Jahr später auf dem Sundance-Filmfestival als „echten Perversen“. Seine Filme, sagt sie, schaue sie schon lange nicht mehr.
Oder sie werden als Femi-Nazi & First-World-
Feministin beschimpft
Selbstverständlich ist das alles auch in Amerika nicht. Denn auch wenn Feminismus derzeit als hip gilt, stößt die offene Sympathie damit nicht unbedingt immer auf Zuspruch. Emma Watson, Britin mit direktem Draht nach Hollywood, hat in einem Interview erzählt, dass ihr im Vorfeld ihrer ersten großen Rede als UN-Botschafterin für Frauenrechte etliche Menschen in ihrem Umfeld deutlich davon abgeraten hatten, das Wort „Feminismus“ in den Mund zu nehmen. Watson hat „lange nachgedacht“ – und sich für das Gegenteil entschieden. Denn: „Wenn schon Frauen Angst haben, das Wort zu benutzen – wie sollen Männer es dann jemals wagen?“ So oft wie in ihrer viel zitierten Rede zu der Kampagne „He for She“ im September 2014 ist das Wort „Feminismus“ im Hauptquartier der Vereinten Nationen in New York vermutlich noch nie gefallen. „Nennt mich Feminazi, nennt mich schwierig, nennt mich eine First World Feministin, nennt mich was ihr wollt – es wird mich nicht davon abhalten, zu tun, was ich für richtig halte“, sagt Emma Watson heute. Sie reagiert damit auf die Beschimpfungen von Männern wie auf die von den selbsternannten „wahren“ Feministinnen der Political Correctness.
Emma ist die erste Hollywood-Schauspielerin, die ein feministisches Sabbatical angekündigt hat. Ein Jahr lang will sie keine Rollen annehmen, um sich intensiv mit Frauenrechten zu beschäftigen. Ein Buch pro Woche hat sie sich zur Lektüre vorgenommen. Damit sie damit nicht alleine bleibt, hat sie auf der Amazon-Plattform „Good Reads“ einen feministischen Buchclub ins Leben gerufen: „Our Shared Shelf“. Sie hat schon jetzt über 120.000 angemeldete Mitglieder, die in der Community und auf Twitter über Bücher (wie die gerade erschienene Autobiografie „My life on the road“ von Gloria Steinem oder Simone de Beauvoirs „Das andere Geschlecht“) diskutieren.
Was auch immer es ist, dass auf der anderen Seite des Atlantiks den Feminismus in so viele Köpfe spült – es ist die richtige Inspiration.
Alexandra Eul