Sticken gegen den Backlash!

Foto: Claudia Rohrauer © Akademie der bildenden künste Wien
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Katharina, warum denn ausgerechnet Sticken?
Katharina: Für meine Arbeiten verwende ich immer das Medium und die Technik, die mir für das jeweilige Projekt am aussagekräftigsten erscheint. Sticken ist eine traditionell weiblich zugeordnete Tätigkeit, mit der Frauen früher zu Hause beschäftigt und ruhig gehalten wurden. Durch das Besticken von Staubschutznetzen auf Baustellen durchdringe ich buchstäblich eine sehr starke Männerdomäne, die Bauindustrie - und besetze diese neu.

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Bestickst du diese riesigen Flächen wie die am Innsbrucker Dom etwa alle selbst?
Das erste Netz haben die Textilkünstlerin Vivian Simbürger, die ich für dieses Projekt engagiert habe, und ich gemeinsam bestickt. Bei allen weiteren Netzen mache ich die Vorarbeiten, zeichne die Stickvorlage und definiere Größe und Positionierung, das Besticken macht dann sie. Wir arbeiten etwa 50 Stunden an einem Netz mit fünf Bahnen. Wir haben uns für pinken Tüll als Stickmaterial entschieden, das wir mit Kabelbinder auf das Netz im klassischen Kreuzstich applizieren. So bekommen die Buchstaben einen Körper.

https://www.instagram.com/p/Blz3PflAmQF/?taken-by=solange_theproject

Apropos Innsbrucker Dom: Warum steht da eigentlich nicht „Solange Gott einen Bart hat, bin ich FeministIn“?
Wir wechseln bei unseren Netzen mit „Solange..., bin ich Feministin." und „Solange..., bin ich Feminist." ab. Obwohl ich sonst in der Sprache gendere, finde ich bei diesem Projekt die geschlechterspezifische Zuordnung besser. Den Feministen in „Solange Gott einen Bart hat, bin ich Feminist“, hat sich zum Beispiel Propst Florian Huber aus Innsbruck gewünscht, um zu untermauern, dass er hinter der Aussage steht. Er hat diesen Satz aus mehreren von uns zur Auswahl gestellten Sätzen für den Dom ausgewählt.

Welche Botschaft möchtest du mit diesen Installationen vermitteln?
Wir möchten den Blick für Geschlechterverhältnisse schärfen. Wir möchten zum Gespräch auf Augenhöhe anregen. Wir möchten wachsam bleiben in einer Zeit, in der konservative, längst überwunden geglaubte Werte plötzlich wieder an Kraft zulegen und Geschlechterverhältnisse rückläufig definiert werden. Die Sätze, die wir auf die Netze sticken, generieren wir aus vielen Gesprächen mit Menschen aus unserem Umfeld und inzwischen auch aus dem mitteleuropäischen Raum. Es sind Antworten auf die Frage, ob Feminismus noch notwendig ist, oder ob wir den Zenit der Emanzipation bereits erreicht haben.

Wie reagieren die Menschen darauf?
Wir bekommen überwiegend positives Feedback. Die Reaktionen sind allerdings bei jedem Gebäude unterschiedlich, die Sätze sprechen ja auch immer jeweils bestimmte Menschen und Themen an. Alle Reaktionen, auch die kritischen und die ablehnenden, bestärken uns in unserer Arbeit. Es ist schön zu beobachten, wer sich durch unsere Sätze angesprochen fühlt. Natürlich gibt es auch die negativen Stimmen, die finden, Frauen hätten schon genug erreicht.

 Katharina Cibulka in Aktion. - Foto: Ferdinand Cibulka

Woran arbeitest du noch?
Ich wünsche mir, dass die bestickten SOLANGE-Staubschutznetze in ganz Europa auf Baustellen zu sehen sind. Deswegen arbeite ich zur Zeit sehr intensiv an dem Projekt, inzwischen sogar in einem wachsenden Team mit KooperationspartnerInnen. Ich fände es großartig, das Projekt global auszuweiten, um noch mehr Menschen erreichen zu können. Schließlich gibt es überall Baustellen - und gesellschaftspolitische Ungerechtigkeiten.

Brauchen wir wieder mehr feministische Interventionen im öffentlichen Raum?
Ja! Ich beobachte einen großen Umbruch, was die Rolle der Frau bei uns in Zentraleuropa betrifft. In den letzten Wochen z.B. wurden in Österreich vielen Fraueninstitutionen die Förderungen gekürzt, die Politik arbeitet ganz klar in Richtung „Frauen zurück in die Familien“. Meist ohne großes Aufsehen werden Gesetze geändert und Macht zugunsten traditioneller Geschlechterverhältnisse verschoben. Viele junge Frauen und auch Männer ruhen sich laut Umfragen auf den Errungenschaften unserer VorkämpferInnen aus und fühlen sich in ihrer „heilen Welt“ sicher und gleichberechtigt. Diese „heile Welt“ kann jedoch schnell einer nüchternen Realität weichen. Es steht ja fast täglich in den Medien: Bei Frauen kann das in die Abhängigkeit, Entbehrung, Unterdrückung, Mobbing, Sexismus oder Frauenarmut münden. Feministische Interventionen braucht es also dringend. Ich halte allerdings nichts von todernsten Kampagnen, mir ist ein gewisses Augenzwinkern wichtig.

Was hat dich als Künstlerin denn geprägt?
Starke Frauen und Männer aus meinem Umfeld; meine Mutterschaft; meine Reisen; mein Studium; mein nicht unterzukriegender Idealismus; und natürlich viele inspirierende Künstlerinnen und Künstler, die viel gewagt und bewegt haben.

Was planst du als nächstes?
Im November kommen drei SOLANGE-Netze nach Wien, zwei weitere nach Bern. Mit KooperationspartnerInnen in Bayern und Südtirol bin ich auch im Gespräch. Wir suchen Baustellen und SOLANGE-Sätze. Feel free to join #SOLANGE2018!

Das Gespräch führte Alexandra Eul.

Im Netz
www.katharina-cibulka.com
Instagram: #solange2018

 

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Zeit zum Stricken!

8. März 2017: Die Nadeln klackern im Berner Bundeshaus... © Anthony Anex/Keystone
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Am 8. März 2017 ertönte im Berner Bundeshaus ein nicht sehr lautes, aber an diesem ehrwürdigen Ort noch nie gehörtes Geräusch. Es klang in etwa so: Klackerklickerklacker. Stundenlang ging das so. Klackerklicker­klacker. Zusätzlich zu dem Geklacker bot sich in den heiligen Hallen zudem ein ungewöhnliches Bild: Herren in grauen Anzügen trugen pinke Mützen mit Katzenohren (Foto). Aber damit nicht genug: Die Herren strickten (siehe Foto oben). Oder sagen wir: Sie ließen sich von ihren Kolleginnen zeigen, wie man mittels zweier Nadeln und pinkfarbener Wolle weitere Mützen fabriziert und gaben sich, ganz unabhängig von der Parteizugehörigkeit, redlich Mühe mit rechten und linken Maschen.

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Parlamentarier mit Strickzeug – das hatte es im Schweizer Parlament noch nicht gegeben. Wie konnte es dazu kommen? Sechs Wochen zuvor hatten in Washing­ton Hunderttausende Frauen (und viele solidarische Männer) unter Trump-Schock einen gigantischen Marsch für Frauenrechte auf die Beine gestellt. Und dort, beim „Women’s March“, hatten sie geleuchtet – die Pussyhats! Ein Meer aus pinkfarbenen Muschimützen ergoss sich durch die Straßen der Hauptstadt und ließ die Bilder vom größten Protestmarsch in der Geschichte der USA noch eindrucksvoller erscheinen. Prompt trat die pinke Strickmütze ihren Siegeszug um die Welt an.

Mach eine Pussymütze! Gib eine Pussymütze weiter! Trag deine Pussymütze! Anleitung steht unten!

Die Idee zum Pussyhat, die inzwischen zum feministischen Kultobjekt avanciert ist, stammt von Drehbuchautorin Krista Suh und der Designerin Jayna Zweiman (Foto ganz unten). Ein paar Wochen vor dem „Women’s March“ hatten die beiden das „Pussyhat Project“ ins Leben gerufen. Auf ihrer Website posteten sie Strickanleitungen und erklärten: „Die Pussymütze ist ein Symbol der Unterstützung und Solidarität mit Frauenrechten und politischem Widerstand. Mach eine Pussymütze! Gib eine Pussymütze weiter! Trag deine Pussymütze!“

Es funktionierte. Zu Tausenden erhörten die Frauen den Schlachtruf „An die Nadeln!“ und gaben beim „Women‘s March“ die Antwort auf Trumps pseudo-­potentes „You can grab them by the pussy“-­Geprotze. Dass sie das so durchschlagende Zeichen des weiblichen Widerstands gegen pathologisches Machotum mittels einer Tätigkeit hergestellt hatten, die als niederer „Weiberkram“ und folglich extrem unmännlich gilt, war Teil der bestrickenden Symbolik der Pussyhats.

Das begriffen auch die Schweizer Frauenorganisationen, die daraufhin am Internationalen Frauentag zum „Strick-in“ vor dem Berner Parlament luden. Hunderte strickten ihre pinken Pussymützen vor dem Bundeshaus und forderten unter ­Nadelgeklapper Lohngleichheit und Kita-­Plätze. Aber auch drinnen verdonnerten Politikerinnen ihre männlichen Kollegen zur Pussyhat-Produktion. Die Fotografen ließen sich das Bild der strickenden Nationalräte nicht entgehen, es erschien in quasi allen Schweizer Zeitungen.

Aber nicht nur in der westlichen Welt entdecken Menschen – in diesem Fall: Männer – neuerdings das revolutionäre Potenzial des Strickens. Am 25. November 2016, dem „Internationalen Tag gegen Gewalt gegen Frauen“, ertönte im Museum der Schönen Künste von Santiago de Chile ebenfalls das Klackerklickerklacker. Zehn Männer in rosa T-Shirts nahmen dort auf Holzklötzen Platz und strickten Stücke aus orangefarbener Wolle. Orange ist die Farbe der Kampagne „Ni una menos“ (Nicht eine weniger) gegen die grassierenden Frauenmorde in Südamerika.

Der strickende Mann "befindet sich außerhalb des Systems der Dominanz und der erwarteten Rollen".

Auf einer Tafel erklärten die „Hombres Tejedores“, die strickenden Männer, den Sinn ihrer Performance: „Als Konsequenz aus Patriarchat und Heteronormativität“ befinde sich der Mann „mit dem Akt des Strickens außerhalb des Systems der Dominanz und der Rollen, die die stereotypisierte und vorurteilsbehaftete Gesellschaft erwartet“. Wenn ein Mann diese als nieder betrachtete Arbeit verrichte, dann torpediere er damit „das Konzept von der Unterlegenheit der Frau“. Immer wieder tauchen die Hombres Tejedores im Stadtbild auf, sitzen strickend auf Bänken und Mauern und tragen dabei gern die männliche „Uniform“ aus Anzug, Hemd und Krawatte. Stricken als Generalangriff auf das Patriarchat. Hombre!

Die "hombres tejedores" aus Santiage de Chile bei einem Strick-In.
Die "hombres tejedores" aus Santiage de Chile bei einem Strick-In.

Nun könnte frau bemängeln, dass hier immerzu von Männern die Rede ist, wo doch das Stricken immer schon eine ganz und gar weibliche Tätigkeit war und die strickenden Herren sich hier sozusagen mit fremden Fäden schmücken. Die Sache ist aber die: Die Annahme, dass Stricken seit seiner Erfindung Frauensache sei, ist falsch.

Das Wissen um diese überraschende Tatsache haben wir Ebba Drolshagen zu verdanken. Sie hat soeben, als erste im deutschsprachigen Raum, die Kulturgeschichte des Strickens erkundet und erzählt. Und dabei sogar einen strickenden Cowboy aufgetrieben. Aber dazu später mehr.

Zur Motivation der Frankfurter Autorin hat zweifellos beigetragen, dass ihre Mutter aus Norwegen, also einer der weltweit führenden Stricknationen, stammt. Tochter Ebba lernte selbstredend schon als Kind das Stricken. Sie strickt ­erklärtermaßen täglich und ist, klar, großer Fan des Norwegersterns, der es zum wohl bekanntesten Muster auf Winterpullovern gebracht hat. Im Norwegischen trägt er den entschieden poetischeren ­Namen „Achtblattrose“.

Erfunden wurde die weltberühmte Rose 1857 im mittelnorwegischen Selbu von einer jungen Ziegenhirtin namens Marit Guldsetbrua Emstad, die sie sich während des Ziegenhütens ausdachte, denn in Norwegen wurde immer und in allen Lebenslagen gestrickt. Die Handschuhe mit dem Sternmuster wurden bald zum Markenzeichen von Selbu, ­später übernahm der staatliche Öl- und Gaskonzern Statoil Marits Muster sogar als Firmenlogo.

Strickforscherin Ebba Drolshagen.
Strickforscherin Ebba Drolshagen.

Aber Ebba Drolshagens familiäre Verstrickung ist nur ein Grund für ihr Buch („Zwei rechts zwei links – Geschichten vom Stricken“). Der zweite Grund ist: Zorn. Sie habe „die Schnauze voll davon gehabt, mit welcher Herablassung und Geringschätzung das Stricken behandelt wird“, wettert die Autorin. „Und das nur, weil Stricken als ‚Weiberkram‘ gilt.“ Dabei, sagt Drolshagen, hätten „in früheren Zeiten ganze Dörfer gestrickt. Das Stricken war existenzsichernd für ganze Landstriche!“ Ganz zu schweigen von der „unglaublichen kreativen Leistung“, die viele StrickerInnen erbracht hätten.

Also trat die passionierte Strickerin zur Ehrenrettung des „sehr komplizierten Handwerks“ an. Und erzählt uns die Geschichte des Strickens. Die beginnt leider mit einer enttäuschenden Mitteilung: Über die Anfänge des Strickens wissen wir – nichts. Das liegt nicht nur daran, dass Archäologen in der Regel keine ­Ahnung vom Stricken hatten, sondern vor allem daran, dass sich Wollfäden im Erdreich aufzulösen pflegen oder von Kleinstgetier zerfressen werden. Obwohl das Stricken höchstwahrscheinlich viel früher erfunden wurde, stammt das älteste gestrickte Fundstück aus dem 11. bis 13. Jahrhundert: ein Paar weiße Kniestrümpfe mit kompliziertem Muster in Indigo­blau. Entdeckt wurden sie in Ägypten.

In den mittelalterlichen Zünften der Berufsstricker hatten Frauen einfach keinen Zutritt.

Im Jahr 1268 wurde in Paris die erste Berufsstricker-Gilde gegründet. Weitere folgten im Oberen Rheintal, in der Nordschweiz, im Elsass und in Baden. Zu den Spezialitäten der Stricker gehörten kunstvoll gestrickte Seidenstrümpfe für adelige Damen und Herren, für die diese ein kleines Vermögen ausgaben. Stricken galt als ehrenwertes und lukratives Handwerk. Wer zum Beispiel in die Zunft der Nürnberger Strumpf- und ­Hosenstricker aufgenommen werden wollte, musste eine vierjährige Lehrzeit und eine ebenso lange Gesellenzeit absolvieren. Auch eine Meisterprüfung konnte abgelegt werden, für die der angehende Strickmeister mit seinen Nadeln äußerst anspruchsvolle Dinge herstellen musste, darunter „einen Teppich von allerhand frischen farben, mit figuren, blumen und laubwerk“.

Frauen durften nicht Mitglied der Strickzünfte werden – Stricken war Männersache. Zumindest, solange es gewinnbringend in den renommierten Gilden praktiziert wurde. Auf den Dörfern sah das schon anders aus. Hier strickten alle. „Konkret bedeutete das beispielsweise, dass 1780 im Münsterland alles, was Hände hatte – Bauer und Bäuerin, Kinder, Knechte und Mägde, vom Kind zum Greis – die Wolle der grobwolligen Heidschnucken zu Strümpfen verstrickte, und das immer und überall: tags im Schatten, abends am ­Feuer“, schreibt Ebba Drolshagen.

Man und frau strickte für den Eigenbedarf, aber auch, um die warmen Socken und Pullover zu verkaufen und sich so den oftmals kargen Lebensunterhalt aufzubessern. Zwar strickten auch Schäfer, Lehrer und sogar Soldaten. Aber es waren vor allem Frauen, die mit der Strickerei manchmal ganze Regionen am Leben erhielten. „Als in Tirol im 17. Jahrhundert der Silberbergbau zurückging, mussten Frauen das Stricken als ‚berufsmäßig ausgeübtes Hausgewerbe‘ aufnehmen. Mitte des 19. Jahrhunderts wurden einige Taunusdörfer von einer Kartoffelkrankheit heimgesucht, die einzige Erwerbsquelle war eine besondere Art des Strickens – die Filetstrickerei – mit der die Frauen und Mädchen die Familien vor dem Verhungern retteten.“

Auch Marit Emstads Norwegerstern sorgte dafür, dass die Familien von Selbu überlebten, als Anfang des 20. Jahrhunderts die Steinbrüche schlossen und die Männer arbeitslos wurden. Bald lebte der ganze Ort von den Erlösen aus dem Verkauf der Handschuhe. Gestrickt wurde, nicht nur in Selbu, Tag und Nacht, denn eine geübte Strickerin schaffte ein nicht allzu kompliziertes Muster auch bei funzeligem Licht aus der Öllampe.

In den wohlhabenderen Kreisen fluchten die „höheren Töchter“ ebenfalls über ihrer Strickarbeit, wenngleich aus anderen Gründen. Die „Handarbeit“ gehörte zu den Fähigkeiten, die ein weibliches Wesen comme il faut zu beherrschen hatte. Allerdings durfte dabei nichts wirklich Nützliches herauskommen, denn auf keinen Fall sollte der Eindruck entstehen, dass der Herr des Hauses nicht solvent genug sei, um Frau und Kinder zu ernähren. Kleidung oder auch nur Topflappen zu stricken, geziemte sich also nicht.

Gleichzeitig durften die Damen des Hausherrn nicht den Eindruck erwecken, dem Müßiggang zu frönen. So erläuterte anno 1884 der Ratgeber „Der gute Ton in allen Lebenslagen“, dass „ein Mädchen nie müßig sitzt. Wer eine gute Hausfrau werden will, muss frühzeitig lernen, keine Minute müßig vorüber gehen zu lassen, jede Stunde weise auszunützen.“

Wieviel Weisheit der Fabrikation von Taschentuch-Umrandungen innewohnte, sei dahingestellt. Allerdings war das Stricken so manches Mal weit mehr als Beschäftigungstherapie für ins Haus eingesperrte Töchter und Gattinnen. Lieferte es doch den Vorwand, gleichzeitig einer anderen Tätigkeit nachzugehen, die für Mädchen und Frauen als unschicklich galt: das Lesen.

„Es giebt im Frauenleben immer Stunden, wo ein Strickstrumpf nicht zu verachten ist“, erklärte Louise Otto-Peters. Die Frauenrechtlerin, die 1849 die Frauen-­Zeitung gründete, hatte für ihr Lob des Strickstrumpfes gute Gründe: „Da in den früheren Zeiten das weibliche Lesen immer als Zeitverschwendung galt, so war es doch gestattet, wenn man dabei strickte und so geistige Nahrung und realistisches Schaffen miteinander Hand in Hand gingen. Was wäre in früherer Zeit aus so mancher weiblichen Bildung geworden, wenn nicht die strengen Mütter, sobald sie das Strickzeuch in der Hand der Töchter dabei sahen, ihnen das Lesen gestattet hätten! Auch wir Schwestern saßen an allen Abenden, wo kein Besuch da war, um die Mutter am Tisch herum und strickten, wobei jede entweder für sich in einem Buch las und es mäuschenstill im Zimmer war, oder nur eine strickte und vorlas, indeß sich dann die Andern auch mit Handarbeiten beschäftigten.“

Als die Strickmaschinen kamen, wurde das Handstricken weiblich - es lohnte sich nicht mehr.

Der Turning Point, an dem das Stricken schließlich auch schichtübergreifend zum „Weiberkram“ wurde, kam im 19. Jahrhundert. Grund: die Erfindung und Verbreitung der Strickmaschine. Mit der maschinellen Produktion von Strickwaren wurde „das Handstricken von einer gewerb­lichen Tätigkeit zur ‚freien Arbeit‘. Um es ganz deutlich zu sagen: Hand­stricken wurde erst weiblich, als es sich ­finanziell kaum noch lohnte.“

Als das Stricken per Hand nicht länger Männersache war, war sein Ruf als respektiertes und kompliziertes Handwerk natürlich dahin. Egal, wie exakt das Waffelmuster, Flechtmuster, Rhombenmuster, Mosaikmuster oder Guernseymuster berechnet werden musste; schnurz, wieviel Wissen das Verständnis einer Strickanleitung erforderte – Row 5 (RS) Using C, k3, *brkyobrk, slIyo, brk, slIyo) – schnuppe, wie viel Kenntnisse über die Qualität verschiedenster Wollsorten erforderlich waren, Stricken galt nun für lange Zeit als eine Art klappernde Begleiterscheinung des Kaffeekränzchens.

Ausnahme: der Erste Weltkrieg. Nun wurde Stricken zum patriotischen Akt. Nicht nur im kriegsbesoffenen Deutschland strickten Frauen für die frierenden Helden an der Front. „Knit for victory!“ – „Strickt für den Sieg!“ lautete der Schlachtruf beim deutschen Kriegsgegner England.

Cowboy David Faulkner strickt "Männliches" wie Satteldecken und Hängematten.
Cowboy David Faulkner strickt "Männliches" wie Satteldecken und Hängematten.

Aber das Stricken konnte auch ein Akt des Widerstands sein. So benutzte im Zweiten Weltkrieg so manche Strickerin im von Nazi-Deutschland besetzten Norwegen ihre vermeintlich harmlose Nadelarbeit zur Tarnung, genannt: der „illegale Pullover“. „Das war ein Strickzeug, das unauffällige Bürgerinnen in ihren Taschen mit sich führten und an dem sie in Bussen, Zügen und Fähren vielleicht sogar arbeiteten. Tatsächlich aber lag im Garnknäuel eingewickelt Illegales wie ein Film oder ein Dokument, das auf diese Weise an allen Kontrollen vorbei unentdeckt zum richtigen Empfänger wanderte. Der wickelte es aus, bevor die Wolle, mit neuem Schmuggelgut, erneut aufgewickelt wurde. Welcher deutsche Soldat wäre schon auf den Gedanken gekommen, dass die reizende Norwegerin, die eine Jacke für ihr Töchterchen strickt, als Kurier der Widerstandsbewegung unterwegs war?“

Vier Jahrzehnte später wird das Stricken wieder zum politischen Akt. Die Friedensbewegung marschiert, die Grünen ziehen in den Bundestag ein und all das wird begleitet von Nadelgeklapper in Friedensgruppen, Hörsälen und selbst im Bundestag. Dort werden nun sogar männliche, etwas verzauselte Abgeordnete gesichtet, die mit ihren Nadeln gegen Haus-, Kleider- und Geschlechterordnung anstricken.

Ein im wahrsten Sinne des Wortes Vorreiter des Rollenbruchs hatte wenige Jahre zuvor in den USA sein Coming-out gewagt: Dave Fougner, seines Zeichens Cowboy und Pferdezüchter. Mit seinem Buch „The Manly Art of Knitting“ verfolgte der Mann aus Nordkalifornien „zwei Ziele: Zum einen will es Männer an das Stricken heranführen, die sich zwar dafür interessieren, vor einem Versuch bisher aber zurückgescheut haben; zum anderen entsteht es in der Hoffnung, dass Männer, die schon jetzt stricken, nicht mehr zögern, es einzugestehen.“

Diese Ziele dürfte Dave Fougner zumindest bei einigen seiner Geschlechtsgenossen erreicht haben, und zwar, indem er sie ganz und gar männliche Gebrauchsgegenstände stricken ließ: Satteldecken, Hundedecken, Hängematten. 2016 erschien Fougners Buch in Deutschland. Zwar gibt es hierzulande nur wenige Cowboys, aber vielleicht hilft es einigen echten Kerlen ja dennoch, ihre männliche Strickhemmung zu überwinden, wenn sie sich vorstellen, sie ­säßen beim Stricken im Sattel.

Eine geistige Vorläuferin der Kampfstrickerinnen dürfte die Künstlerin Rosemarie Trockel sein.

Nun gibt es ja aber zweifellos auch eine weibliche Strickhemmung, zumindest in emanzipierten Kreisen. Dort war das Stricken, wie die so genannten Handarbeiten generell, lange verpönt, weil: Weiberkram. Etwas, das gendermäßig zurückgebliebene Großmütter tun, nicht aber die junge oder auch ältere coole Feministin.

Umgarnter Panzer.
Umgarnter Panzer.

Doch kurz nach der Jahrtausendwende kommt ein neuer Turning Point: Junge Frauen holen das Stricken (aber auch das Häkeln) aus der feministischen Mottenkiste und eignen sich das verstaubte Handwerk, zu dem vor ihnen Generationen von Frauen verdonnert worden waren, in Eigeninitiative wieder an. Sie geben ihm angesagte Namen wie „Crafting“ oder DIY (Do it yourself) und treffen sich in „Knitting Lounges“. Und sie erfinden den „Craftivism“: den Aktivis­mus per Stricknadel.

Eine geistige Vorläuferin der Kampfstrickerinnen dürfte Rosemarie Trockel sein. Die Künstlerin und bekennende Feministin hatte es Mitte der 1980er Jahre mit ihren „Strickbildern“ zu Weltruhm gebracht. Trockel verpasste ihren mit der „weiblichen“ Kulturtechnik gefertigten Bildern „männliche“ Symbole wie Hammer und Sichel oder den Playboyhasen. Fertigen ließ sie die Objekte nicht von Frauenhänden, sondern von Strickmaschinen.

Die neuen Strick-Aktivistinnen hingegen nehmen bewusst selbst die Nadeln in die Hand. Mit Selbstgestricktem und dem Slogan „Fuck Sizes“ torpedieren sie den (Kleinst)Größenterror der Bekleidungsindustrie und boykottieren die ausbeuterischen Herstellungsmethoden von H&M & Co. Sie stricken Mützen, die sie über Überwachungskameras oder Park­uhren stülpen und nennen das Garn-Graffiti oder Guerilla-Knitting. Sie umstricken Bäume und Zäune und bezeichnen das als weibliche Wiederaneignung des männlich dominierten öffentlichen Raumes. Das Buch zur Bewegung: „Craftista! Hand­arbeit als Aktivismus“.

Und jetzt also die Pussymützen. „In ihrer Schlichtheit und gleichzeitiger Raffinesse einfach genial“ findet Strick-Passionata Ebba Drolshagen die „Pussyhats“. Auch wenn sie bedrückend einfach zu stricken sind – und keinen Norwegerstern haben.

Chantal Louis

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Ebba D. Drolshagen: Zwei rechts, zwei links (Suhrkamp, 18€)

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