Abschaffung der Männerrechte!
Es ist gar nicht so leicht, sich undercover bei einer Veranstaltung anzumelden. Dabei war der Plan so einfach wie genial: Da ich Journalistin bin, wollte ich den Damen von der Hysteria (dass ich das exaltiert-altmodische Wort „Damen“ schon so verinnerlicht habe, zeigt: Das Hysteria-Konzept funktioniert, doch dazu gleich mehr) eine andere Identität unterjubeln, unter der ich dann bei ihrer Schulung Mäuschen spielen könnte.
Brav schreibe ich also den Sophiensälen, die die Veranstaltung im Rahmen ihres „The future is f*e*m*a*l*e“-Festivals hosten, einen ganzen Monat vorher. Genauer: Ich bitte zwei meiner Freundinnen, dem Wunsch der Veranstalterinnen nach einer Anmeldung und einem „Motivationsschreiben“ nachzukommen.
Freundin Nummer Eins schreibt, sie arbeite im Theaterkontext mit Geflüchteten und wolle denen matriarchalische Werte vermitteln, Freundin Nummer Zwei schreibt, sie promoviere in Philosophie und benötige dafür Hintergrundwissen.
Ende August kommen die Zusagen. Freundin Nummer Eins entscheidet sich, selbst hinzugehen, weswegen ich ihre Identität nicht mehr verwenden kann. Zum Glück gibt es Freundin Nummer Zwei. Freundin Nummer Zwei allerdings bekommt einige Tage vor Veranstaltungsbeginn eine Nachricht: Anmeldungen nur unter Klarnamen, bitte. Langsam bekomme ich ein komisches Gefühl: Wollen die nicht, dass ich komme?
An einem Freitag Mitte September stehe ich vor der Villa Elisabeth, einem im goldenen Licht des beginnenden Herbstes schimmernden klassizistischen Gebäude. Vor dem Säulenportal der benachbarten Kirche lümmeln Studentinnen. Am Eingang der Villa steht eine Frau mit strengem Gesichtsausdruck und Klemmbrett. Die schwarzen Locken drängen unter einer roten Mütze hervor. Sie hat so eine Schönheit wie die Frauen aus der David-Lynch-Serie „Twin Peaks“, also eine Neunziger-Jahre-Schönheit. Sie macht ein Häkchen hinter meinen Namen und schaut missbilligend.
Vor dem Eingang stehen etwa zwanzig weitere Frauen, manche rauchen, alle sind sie im vorgeschriebenen Dresscode: weißes Hemd, schwarze Hose. Wenn man sich umblickt, beschleicht einen als ehemalige Berliner Kulturwissenschaftsstudentin das Gefühl: Die Gender-Studies-Fakultät hat einen Ausflug an die Invalidenstraße gemacht. Es ist einfach dieses typische queere Berliner Hebbel-am-Ufer-Sophien-Säle-Publikum. „Eigentlich schade“, sagt Freundin Nummer Eins, „dass immer nur die Gleichen kommen“.
Gleich beginnt die Schulung, ich betrete das Foyer, schreite erstmal zur Theke und beiße nervös in eine Trockenaprikose. Ich habe nämlich neulich in einem Artikel geschrieben, ich fände das, was die Hysteria macht, „wenig subversiv“. War das der Grund, dass es mit meiner Anmeldung so schwer war? Als ich ihnen ein E-Mail unter Klarnamen schrieb, hieß es zunächst, ich könne leider nicht mehr teilnehmen, erst im letzten Moment bin ich nachgerückt. Werde ich da oben, im Schulungszimmer, vielleicht gleich bloßgestellt? Bin ich schon Teil einer Performance, eines Witzes auf Kosten der „Systempresse“, wie die Hysteria Journalistinnen gerne nennt?
Der Verunsicherungseffekt ist programmatisch; es ist nämlich gar nicht so leicht zu erklären, was die „Burschenschaft Hysteria“ eigentlich ist. Sollte man es dennoch in einem Satz versuchen, würde der wohl lauten: „Eine kreative feministische Gruppierung um die Wiener Aktivistin Stefanie Sargnagel“. Stefanie Sargnagel, kaum noch erklärungsbedürftige, weil berüchtigte Facebook-Geschichtenerzählerin, Witzeschreiberin und omnipräsentes enfant terrible der Kulturszene, liefert sich regelmäßig epische Kämpfe mit der österreichischen Rechten und hat von dieser schon einiges Ekelhaftes zu erdulden gehabt. Die Burschenschaft Hysteria ist ein Kollektiv, das überall auftauchen kann, sei es beim Bachmann-Preis oder als Saalhüterinnen bei einer Aufführung von Elfriede Jelineks „Schutzbefohlenen“ – das Stück war von Mitgliedern der Identitären Bewegung gestürmt worden.
Die Frauen, die sich als „Burschenschaft“ zusammengefunden haben, sprechen gar nicht oder nur unter strengen Auflagen mit Vertretern der „Systempresse“; eine Journalistin von der Zeit durfte trotzdem neulich dabei sein, als die Hysteria ihre neue „Bude“ in einem ehemaligen Wiener Nazitreff einweihte, und verglich den Frauenverband mit den sozialen Plastiken von Beuys und Schlingensief.
Ein Wort, das man unbedingt vermeiden muss, wenn man über die Hysteria spricht, das habe ich schon gelernt, ist „Satire“, denn die Burschenschaft ist nicht im eigentlichen Sinne satirisch oder parodistisch gemeint; sie ist eher performativ. Sie findet statt. Es gibt sie. Und da sie eine Burschenschaft ist, konstituiert sie sich selbstverständlich über strenge Rituale.
Es geht eine breite Treppe hinauf, über dem Treppenhaus steht, in die Wand gekerbt, ein Bibel-Vers: „Der Herr / ist meine Macht / und mein Psalm / und ist mein Heil“. Passt. Neben mir erzählt eine Teilnehmerin, die Veranstalterinnen hätten für ihre Schulung sämtliche männlichen Mitarbeiter des Hauses verwiesen.
Man hört viel Österreichisch. Wir nehmen Platz an den Tischen, die, wie in einem Klassenzimmer, in vier Längsreihen mit einem breiten Gang in der Mitte aufgestellt sind. Vorne ein Flipchart, das Logo der Burschenschaft Hysteria wird in gespenstischem Blau an die Wand geworfen: Eine Hyäne, die (Lachend? Gähnend? Zum Kampf aufheulend?) den Kopf in den Nacken wirft.
Der Effekt von fast vierzig schwarz-weiß uniformierten Frauen in einem Raum ist überwältigend: Sofort wird spürbar, wie effektiv die männlichen Machtinszenierungen sind, die die Frauen sich hier aneignen, um sie spielerisch umzuwerten. Es ist zwölf Uhr, vier Stunden werden wir Berlinerinnen jetzt in den Werten, Grundsätzen und Traditionen der Wiener Hysteria geschult.
Als erstes wird, natürlich, marschiert. Die vier Frauen mit den roten Kappen und den kurzen schwarzen Jeansjacken im Hooligan-Look (auch auf ihnen prangt die Hyäne und der Schriftzug Burschenschaft Hysteria in altdeutschen Lettern) sind die Anführerinnen und Aufpasserinnen, sie gehen streng voran, wir marschieren in Zweierreihen hinterher.
Vielleicht, denke ich marschierend, ist die Stärke der Gruppierung auch ihre Schwäche: die Deutungsoffenheit, was das Ganze jetzt eigentlich sein soll (Theaterperformance? Ernstgemeintes Netzwerken, bei dem sich Wienerinnen und Berlinerinnen kennenlernen? Satirische Performance?), schwächt den performativen Charakter: eigentlich würde man sich, wenn man schon bei so einem Treffen ist, wünschen, richtig gedrillt zu werden.
Frau will bei sowas ja an die Grenze kommen, will marschieren, brüllen, mit einem kurzen Wonnegraus dem marschierenden Massentier begegnen, unter verkehrten Vorzeichen, nämlich jenen des Matriarchats, auf dessen Errichtung die Hysteria hinarbeitet (beziehungsweise hinzuarbeiten behauptet, was aber hier unbedingt das gleiche ist). Und eben das ist ja auch die Intention dieser Gruppierung: die Übernahme von Kulturtechniken der befremdlichen Resthorte eines Brutalpatriarchats, die Burschenschaften sind. Ihr Durchexerzieren unter weiblichen Vorzeichen. Die Wahrwerdung der Alpträume der patriarchalischen Kulturproduktion: militante Weiber, die die Männer enteiern und die Macht an sich reißen wollen.
Schon der Name, Hysteria, kommt ja von einer der ältesten und gemeinsten Krankheitsmetaphern, in denen Kulturen je von Frauen gedacht haben: die Hysterie, die mangels männlicher Befruchtung wandernde Gebärmutter, die sich im Gehirn festbeißt. Wir nehmen an unseren Tischen Platz, der Blick wandert empor zum kunstvollen Holzschnitzwerk der den Raum umsäumenden Balustrade. Blätter werden ausgeteilt.
Zwei blonde Frauen stellen sich in strengem, irgendwie aber auch väterlich-wohlwollenden Gestus als Bursche Irma und Bursche Irmgard vor. Man werde jetzt kurz über Grundwerte und Aktionen der Hysteria reflektieren, das Trinken sei erlaubt, das Essen keinesfalls. Die Telefone würden jetzt eingesammelt – mich trifft ein strenger Blick.
Wir sollen auf dem ausgeteilten Papier jetzt kurz darüber reflektieren, wofür wir kämpfen. Ich beschließe, mich zu enttarnen und sage, als ich an die Reihe komme – man muss sich erheben, wenn man spricht –, ich würde „für die Verbesserung der Systempresse“ kämpfen. Eine der Hysteriafrauen weist mich an, meine Notizen auf dem dafür vorgesehenen Papier zu tätigen, nicht in meinem Notizbuch.
Es geht jetzt um die Beantwortung der Frage, wofür die Burschenschaft steht, was man schon von ihr wisse. Als eine Frau sich erkundigt, wer eigentlich Hysteria gewesen sei, erwidert Bursche Irma scharf: „WIR haben eine Frage gestellt“. Eine Frau mit runder Brille sagt: „Hysteria kämpft für die Abschaffung der Männerrechte“ und erntet ein wohlwollendes Nicken. Eine andere Frau führt an, die Burschenschaft Hysteria gehe auf die Kaiserin Leopoldina zurück, es gebe reguläre Burschen und Aspirantinnen. Irma und Irmgard nicken mit stolzgeschwellter Strenge.
Wir Berlinerinnen lernen nun etwas über die bisherigen Aktionen der Hysteria: über die Übernahme des Fritz-Stüber-Heims, der besagte Nazitreff. Über das Totengedenken und den Simmeringer Frühshoppen, bei dem getrunken wurde und es einen betreuten Männerbereich gegeben hat. Über das Zugrabetragen des Patriarchats. Wir lernen, dass die Mütze der Burschen „Deckel“ heißt, dass die Farben der Hysteria schwarz-weiß-rot sind.
Wir Berlinerinnen singen nun die Hymne der Burschenschaft, eine musikalisch eher avantgardistische Angelegenheit mit drei Kreuzen, deren prägnanteste Textzeile „Ehre, Freiheit, Vatermord“ lautet. Direkt nach dem Singen werden uns die Blätter wieder weggenommen, daher kann ich mich nur noch an die Zeile „unsere Scheiden sind aus Stahl“ erinnern, die mir sehr gut gefällt. Wir üben uns im Zeichnen des Hysteria-„Zirkels“, einer Verschlingung mehrerer Buchstaben, die die Anfangsbuchstaben des Hysteria-Mottos bilden: illuminatae hyaenae dominatio.
Die Hyäne ist das Totemtier, unter dem die Forderungen der Frauen aspiriert werden: 80 Prozent Frauen- und Transgenderquote, Abtreibungen für maximal 30 Euro. Wir lernen die Gründer-Dame Kaiserin Leopoldine kennen, die mit einem attraktiven, aber intellektuell unbrauchbaren Portugiesen verheiratet war und sich später mit ihrer Geliebten absetzte, um ungestört ihren Forschungen nachgehen zu können. Wir werden nun selbst zum Dichten angeregt, wir sollen das goldene Matriarchat bedichten, wir tragen unsere Texte vor versammelter Gruppe vor.
Was seltsam ist und schön: niemand fällt aus der Rolle. Freundin Nummer Eins und ich scheinen fast die einzig Uneingeweihten, nebst einer Dame, die zu spät kommt und das im falschen Hemd – sie wird zurückgeschickt und kommt später im richtigen wieder. So wird das ironische Spiel vollends unentscheidbar – die Teilnehmerinnen sind Schauspielerinnen und eifrige Schülerinnen, setzen sich stolz und zufrieden, wenn sie richtig geantwortet haben. Es wirkt, als würden sich alle kennen, in den Pausen ist zu hören, wie sich Österreicherinnen und (vermutete) Berlinerinnen austauschen: „Und, wie macht ihr das so?“ Und da ist die ironische Performance dann wohl doch auch einfach Netzwerktreffen.
Als wir Berlinerinnen nach vier Stunden die Holztreppen hinuntergehen, fragt mich eine junge Frau, wie ich es reingeschafft habe, sie selbst sei als Journalistin abgewiesen worden. Ich habe keine Ahnung, aber ich bin froh, dass ich dabei war.
Hannah Lühmann
Die Autorin ist Redakteurin im Feuilleton der Welt. Für EMMA schrieb sie zuletzt über die Medienstudien (5/17).