Doku über Sander: Helke räumt auf
Helke Sander räumt auf. In 87 Lebensjahren ist in ihrer Berliner Wohnung einiges zusammengekommen. Was sie da aus den Regalen zieht, sortiert, beschriftet, in neue Ordner oder alte Schränke stellt, zeigt sie ihrer Filmbiografin Claudia Richarz. Und aus dem, was Sander zu den Fundstücken erzählt, fügt sich ihr Leben zusammen – und ihr Lebenswerk. „Aufräumen“ hat Richarz (die 2000 den Grimme-Preis für ihre Dokusoap „Abnehmen in Essen“ gewann) ihre Dokumentation über die feministische Pionierin und Filmemacherin genannt.
Da sind zum Beispiel die sechs Tassen aus echtem Meißner Porzellan, die Helkes Tante gehörten und die die Bombardierung von Dresden überstanden haben. Helke Sander war acht, als der Zweite Weltkrieg endete. Damals waren sie und ihr kleiner Bruder mit der Mutter in Karlsbad in einen der herrenlos herumstehenden Züge eingezogen. „Es kamen die Russen und die haben die Frauen aus den Zügen geholt.“ Die eigene Mutter entgeht der Vergewaltigung nur, weil Helke sich im Etagenbett vor sie legt, so dass die Soldaten glauben, nur das Kind läge im Bett.
1992 wird Helke Sander einen Film über die Kriegsvergewaltigungen deutscher Frauen machen: „BeFreier und Befreite“. Sie befragt Zeitzeuginnen und errechnet aus den Krankenakten gynäkologischer Stationen in Berlin, wie viele Frauen damals Opfer wurden. Sie kommt auf 100.000 Frauen allein in Berlin.
„Endlich hat eine Frau ein Kapitel des Zweiten Weltkriegs geöffnet das bisher von Historikern übersehen wurde“, erklärt ein sichtlich bewegter Ulrich Wickert in den Tagesthemen. „BeFreier und Befreit läuft ab morgen in den Kinos. Ihn anzusehen, ist Pflicht.“
Und natürlich findet sich beim Aufräumen auch die DVD mit der „berühmten Tomatenrede“. Am 13. September 1968 hielt Sander auf dem Delegiertenkongress des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) eine fulminante Rede, in der sie den eigenen Genossen ihre Frauenfeindlichkeit vorwarf und sich weigerte, die Frauenfrage weiterhin als „Nebenwiderspruch“ statt als Hauptsache zu betrachten. Noch einmal erzählt Sander, die zuvor den „Aktionsrat zur Befreiung der Frau“ gegründet hatte, wie ihre Genossin Sigrid Rüger damals die in der Mittagspause eingekauften Fleischtomaten auf das rein männerbesetzte Podium warf.
Dann sind da die Fotos aus Finnland, wohin die 22-Jährige, die einen finnischen Schriftsteller geheiratet hatte, 1959 ausgewandert war. „Absolut atemberaubend“ fand sie es, dass der Schwiegervater seine Hemden selber bügelte und die Schwiegermutter mit ihren Freundinnen über Politik debattierte. Die gelernte Schauspielerin Sander inszeniert am finnischen Arbeitertheater und arbeitet fürs Fernsehen. Als sie 1965 aus dem emanzipierten Finnland als alleinerziehende Mutter ins geteilte Berlin zurückkehrt, kann und will sie sich mit den frauen- und mütterfeindlichen Verhältnissen nicht abfinden – und geht auf die Barrikaden.
Und so zeigt Helke Sander in dem knapp 90-Minuten-Film ein Fundstück nach dem anderen: Die ersten Ausgaben der Zeitschrift Frauen & Film, die sie 1974 mit Claudia von Alemann gegründet hatte, oder ihre Sammlung prähistorischer Venus-Figuren, denn in ihrem letzten Buch „Die Entstehung der Geschlechterhierarchie“ hat sich Sander 2017 mit der Entstehung des Patriarchats beschäftigt. Sie ist eine scharfe Kritikerin des „Sternchen-Feminismus“, denn „die Gender-Theorie war tatsächlich in der Lage, die Reste einer politischen Bewegung zu entpolitisieren und biologische Faktoren zu vernachlässigen“.
Zu Helke Sanders Aufräum-Aktivitäten gehört auch, ihre eigene Beerdigung zu planen. Es überrascht nicht, dass sie die rüschenbesetzten Sargdecken furchtbar findet und das Bestattungsinstitut aufmischt. „Gibt’s da nicht auch einfach so Säcke?“ Sack statt Sarg – das sei leider verboten, erklärt der Bestattungsunternehmer. „Vielleicht sind Sie Ihrer Zeit voraus.“ Das wäre im Leben der Helke Sander ja nicht das erste Mal.
Die Doku "Aufräumen" startet am 7. März im Kino. Termine auf: https://helkesanderfilm.de/termine/
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