„Nicht ständig in Tränen ausbrechen!“

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Josephine, du bist seit diesem Wochenende wieder in Deutschland. Wie ist denn die Stimmung?
Josephine: Gemischt. Die Schicksale der 29 Frauen, mit denen wir uns die Zelle geteilt haben, beschäftigen mich weiter. Und ich habe ja vorher gar nicht damit gerechnet, dass das eine so große Sache wird.

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Sondern?
Wir hatten einkalkuliert, dass uns religiöse Fanatiker in Tunis kidnappen. Oder dass wir vergewaltigt werden. Aber nicht damit, dass man uns vier Monate wegsperren will.

Würdest du die Aktion denn noch mal so machen?
Klar!

Warum?
Das ist ein Meilenstein für die Femen-Bewegung. Jetzt macht die Weltöffentlichkeit Druck auf das tunesische Justizsystem. Und unsere Mission ist nicht beendet. Amina sitzt immer noch im Gefängnis. Ich höre erst auf, wenn sie frei ist.

Wie geht es Amina Sboui?
Es gehr ihr sehr schlecht. Sie hat gerade einen Hungerstreik hinter sich, den haben ihre Eltern ihr zum Glück ausgeredet.

Spielen solche Aktionen in einem Land wie Tunesien nicht vielmehr den Fundamentalisten in die Hände – auf Kosten der arabischen Frauen?
Mit den Islamisten ist nicht zu spaßen! Das muss man sich mal vorstellen: Da kommen die Salafisten in unsere Verhandlung mit einer Armada von 14 Anwälten. Das ist eine reine Machtdemonstration. Unsere Anwältin wurde nach dem ersten Urteil in einem Restaurant zusammengeschlagen. Ihre Mutter, die 250 Kilometer von Tunis entfernt lebt, wurde von Salafisten aufgesucht und ist nach Frankreich geflohen. Das ist die Realität.

Wie sah denn die Realität im Gefängnis aus?
Wir waren mit etwa 29 Frauen eingesperrt. Uns hatten ja Polizisten vorher gedroht, dass wir im Gefängnis von Lesben vergewaltigt werden. Sie haben auch gesagt: Da sind nur Huren. Und ihr seid auch Huren.

Wie haben eigentlich die anderen Frauen in eurer Zelle reagiert?
Ihr seid doch verrückt, haben sie gesagt. Es genügt hier, von Freiheit nur zu reden, und man kommt ins Gefängnis. Aber sie waren begeistert, dass wir aus Europa gekommen sind, um eine Tunesierin zu unterstützen.

Weswegen sitzen diese Frauen im Gefängnis?
Da waren Frauen, die angeblich ihren Ehemann betrogen haben. Ein Mädchen, 15 Jahre alt, war komplett traumatisiert. Ihr Vater hatte sie an zwei Männer verkauft, die sie dann zu zweit vergewaltigt haben. Und als das Mädchen das bei der Polizei gemeldet hat, haben sie sie eingesperrt. Eine andere hatte einfach nur einen zu kurzen Rock an. Wie lange die Haftstrafen der Frauen sind, weiß niemand. Es ist alles ganz willkürlich. Auch die Ausgangszeiten. Oder die Waschzeiten. Überall Blut und Urin. Wir konnten in der ganzen Zeit nur ein Mal duschen.

Hast du nicht manchmal gedacht: Ich habe die Aktion falsch eingeschätzt?
Natürlich habe ich das gedacht! Natürlich habe ich mich gefragt: Warum bin ich überhaupt zu Femen gegangen? Warum bin ich nach Tunis gefahren? Ich hatte wirklich Angst, dass ich da nie wieder weg komme. Einmal hatte ich einen Kreislaufkollaps und konnte nichts mehr sehen. Und bevor wir das erste Mal ins Gericht gegangen sind, waren wir mit 12 Frauen stundenlang in einer zehn Quadratmeter große Zelle eingesperrt. Da drehst du durch. Und dann kamen genau die Polizisten, die uns vorher geschlagen und getreten hatten, und haben uns dazu gezwungen, uns komplett zu verschleiern. An meinem 20. Geburtstag saß ich in meiner Zelle und habe mir nur gewünscht, dass der Tag vorbei geht.

Gibt es innerhalb von Femen eine Debatte über euren Tunis-Protest?
Nicht alle fanden die Aktion gut. So etwas klären wir unter uns.

Wie kommen solche Entscheidungen überhaupt zustande?
Bei solchen Aktionen halten wir Rücksprache mit Sascha in der Ukraine. Aber eigentlich plant jede Gruppe den Protest selbst und trägt auch die Verantwortung und die Risiken.

Wie seid ihr in Deutschland organisiert?
Hellen: Wir sind mittlerweile 20 Frauen und haben gerade einen Verein gegründet, damit wir Spenden sammeln können. Es ist wichtig, dass Femen in den einzelnen Ländern autonom agieren können – und trotzdem zusammenhalten. Dazu gehört auch, dass wir finanziell gut aufgestellt sind. Und mit Anwälten zusammenarbeiten, die uns verstehen. Und die auf unserer Seite sind. In den vergangenen Wochen haben wir sehr viel Unterstützung von Femen Frankreich bekommen. Da ist ja auch unser Headquarter. Viele französische Femen machen den Protest hauptberuflich. Wenn man die nach ihrem Job fragt, sagen sie: "I am a political activist!".

Und Femen Ukraine?
Wir stehen über Skype in Kontakt. Es ist aber trotzdem schwierig, immer alle Informationen auszutauschen. Auch wegen der sprachlichen Barriere.

Wie sind denn eure Erfahrungen mit den Medien?
Josephine: Es ist ein Geben und Nehmen. Ich liebe Überschriften wie „Die Naivität der Josephine M.“

Hellen: Das ist echt anstrengend. Einerseits verbreiten Medien wie Bild unseren Protest, dadurch erreichen wir Leute, die sich sonst nie mit Feminismus befasst hätten. Andererseits sind genau diese Medien oft manipulativ. Und aufdringlich. Dann ruft dich ein Journalist an und sagt: Ich habe das und das gehört. Und ich sage: Das kann ich aber so nicht bestätigen. Und der sagt: Aber Sie können es auch nicht leugnen, oder?

Josephine: Meine Eltern wurden belagert. Sämtliche Familienmitglieder wurden angeschrieben. Meine Profs von der Uni Hamburg mussten sich äußern. Und wie sie sich jetzt auch alle um die Exklusivverträge für Fernsehauftritte balgen ...

Wieso seid ihr überhaupt zu den Femen gegangen?
Josephine: Ich bin Feministin. Und ich liebe Fußball. Während der EM in der Ukraine habe ich das erste Mal von den Femen-Protesten gehört. Als ich gesehen habe, dass es eine Gruppe in Deutschland gibt, habe ich gleich angerufen. Ich studiere ja Philosophie, und das ist so theoretisch. Und der Feminismus, der ist auch oft so theoretisch.

Theorie ist nicht das erste, was einer zu Femen einfällt...
Hellen: Ja, das ist bei uns anders als beim Netzfeminismus. Da schreiben Frauen halt Blogs im Internet und diskutieren auf Twitter. Zum Beispiel über uns.
Josephine: Aber es reicht nicht, darauf zu warten, dass irgendwann mal die richtigen Leute deinen Blog lesen. Wir wollen das Patriarchat bekämpfen – und ihm dabei in die Augen schauen.

Und du, Hellen?
Hellen: Wer immer nur zuhause diskutiert, bewegt nichts in der Öffentlichkeit. Bei vielen politischen Gruppen ist es so elitär, da braucht man ja fast schon ein Diplom, um mitzumachen. Und auch wenn sich alle als so offen geben, muss man einem gewissen Look entsprechen. Wenn ich zum Beispiel mit Freunden rede, die eher links sind, und ich bin geschminkt und habe ein Kleid an, dann muss ich mir immer erst mal Respekt verschaffen.

Wie war das bei Germanys Next Topmodel?
Hellen: Ich war ja mit Zana Ramadani da. Unser größtes Problem war, nach vorne auf die Bühne zu kommen. Der Innenraum war für Freunde und Hardcore-Fans reserviert. Und deshalb sind wir erst mal ewig hin und her gelaufen. Dann haben wir gesehen, dass da zwei Sitzplätze im oberen Unterrang in der Nähe der Bühne frei sind - und haben dem Security-Mann einfach erzählt, das seien unsere. Der hat uns zum Glück durchgelassen. Und dann hat Zana geflüstert: Jetzt oder nie! Ich bin daraufhin einfach losgerannt. Und sie hinterher. Und dann haben wir uns unsere Hemden beim Rennen ausgezogen und uns auf der Bühne genau vor Heidi Klum aufgebaut und ihr ins Gesicht gebrüllt: „Kein Foto für Heidi!“. Die hat erstmal gar nicht gewusst, wie sie reagieren sollte.

Und wie geht es jetzt weiter?
Hellen: Eines unser Hauptanliegen in Deutschland ist die Änderung des Prostitutionsgesetzes.
Josephine: Aber erstmal kommt Amina frei!

Schön wär's.

Weiterlesen
Femen, #Aufschrei und die Neofeministinnen (EMMA 4/2013)
Femen in Tunis in Gefahr (EMMAonline, 13.6.2013)
Aminas Vater ist stolz auf seine Tochter (EMMAonline, 7.6.2013)
Femen gegen Islamismus (EMMAonline, 3.5.2013)
Femen-Protest: Befreit Amina! (EMMAonline, 5.4.2013)
Femen aller Länder, vereinigt euch! (EMMA 1/2012)

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