In fremder Haut

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Als die Durchsage ertönt, dass man soeben die iranische Grenze überflogen habe, zwängt sich die Frau mit dem schwarzen Schleier und der dunklen Sonnenbrille auf die Flugzeugtoilette. Sie reißt sich den Schleier vom Kopf, macht ihn unter dem Wasserhahn nass und wickelt ihn um den Rauchmelder. Dann setzt sie sich auf die Klobrille und raucht eine Zigarette.

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Ein paar Stunden später am Flughafen. „Haben Sie Ihr Todesurteil als beglaubigte Kopie?“ fragt der deutsche Beamte. „Nein“, antwortet die verblüffte Frau. „Warum wollen Sie denn Asyl beantragen?“ Sie zögert. „Politische Gründe.“ Was sie nicht sagt: Fariba (Jasmin Tabatabai) ist aus dem Iran geflüchtet, weil sie Shirin liebt. In der Scharia steht auf Homosexualität Steinigung.

In einem überfüllten Auffanglager wartet Fariba auf ihren Bescheid. Dort begegnet ihr Siamak, ein sanfter Landsmann, der sich in einer iranischen Studentengruppe engagiert hatte. Siamak, der politische Dissident, bekommt Asyl. Fariba, die jetzt den wahren Grund für ihre Flucht nennt, bekommt keines. Fariba soll abgeschoben werden. Aber dann gibt ihr ein trauriges Ereignis die Chance zu bleiben: Siamak bringt sich um. Und Fariba nimmt seine Identität an. Sie schlüpft in eine ‚Fremde Haut‘.

So lautet der Titel des neuen Films von Angelina Maccarone. Die Identität war von Anfang an das zentrale Thema der Regisseurin aus Pulheim bei Köln, Tochter eines italienischen Gärtners und einer deutschen Verwaltungsangestellten, alle ihre Filme kreisen um (Homo)Sexualität und (Nicht)Deutschsein. Schon mit ihrem TV-Debüt, der Komödie ‚Kommt Mausi raus!?‘, einem herzerfrischenden Coming-Out-Film, erregte sie 1995 Aufsehen. In ‚Fremde Haut‘, dem vierten Film der inzwischen 40-Jährigen, sind die komischen Momente selten, dafür die ernsten umso anrührender.

Das bewirkt vor allem Hauptdarstellerin Jasmin Tabatabai, die nun ausgerechnet als Mann ihr sonst so präsentes Aggressionspotenzial komplett zurücknimmt und einen stillen, verstörten Siamak gibt. „Ich wollte, dass sie einen Mann spielt, dessen Würde und Stolz sich nicht über Aggression zeigen“, sagt die Regisseurin. Genau diese Sanftheit ist es, mit der Siamak/Fariba, der/die sich illegal in einer Sauerkrautfabrik in der schwäbischen Provinz verdingt, das Herz von Kollegin Anne (ebenfalls sehr eindringlich: Anneke Kim Sarnau) gewinnt. Die spürt, dass dieser Mensch nicht nur geografisch aus einer anderen Welt kommt.

„Es war“, sagt die Regisseurin, „sehr mutig von Jasmin Tabatabai, diese Rolle anzunehmen“, die so dicht an ihrem realen Leben ist. Jasmin Tabatabai ist Halb-Iranerin. Sie war zwölf, als ihr Vater seine deutsche Frau und die vier Kinder 1979 aus dem Schatten der Khomeini-Diktatur ins sichere, aber nicht immer sonnige und auch nicht immer ausländerfreundliche Bayern schickt. Eine Art männlicher Zwilling ist in Tabatabais Leben ihr geliebter, anderthalb Jahre älterer Bruder Amir. Und die kleine Jasmin sieht nicht ein, warum Amir plötzlich mehr Freiheiten hat, nur weil er ein Junge ist. Sie wird ein ruppiges kleines Mädchen, das sich „männliche“ Freiheiten nicht nehmen lässt – und ist inzwischen selbst Mutter einer kleinen Tochter namens Angelina.

„Überzeugungsarbeit“ musste Regisseurin Maccarone auch leisten, um einen Produzenten für ihren Film zu finden, den sie mit Co-Autorin und Kamerafrau Judith Kaufmann realisierte. Schon seit 1998 schwirrte die Idee in den Köpfen des Teams herum. „Wir wollten zeigen, was passiert, wenn man alles verliert, was eine Identität ausmacht – bis hin zum Geschlecht.“ Außerdem brannte der Halb-Italienerin Maccarone die „ungeheuerliche Abschiebepraxis“ auf den Nägeln.

Es dauerte übrigens auch unter Rot-Grün noch sieben Jahre, bis „geschlechtsspezifische Asylgründe“ anerkannt wurden. Die reichen aber immer noch nicht für ein dauerhaftes „Asyl“, sondern nur für eine vorläufige „Duldung“. Wenn die Geflüchtete Glück hat. „Beim Asylgrund Homosexualität gibt es zum Beispiel Befragungen, in denen man herausfinden will, ob es sich um eine ‚unumkehrbare Veranlagung‘ handelt“, weiß Maccarone. Fariba dürfte also auch im Jahr 2005 keineswegs mit Asyl rechnen.

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Jasmin Tabatabai besingt das Frausein

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Bekannt geworden ist sie 1997 mit ihrer rauchigen Rockstimme in dem Rebellinnen-Film „Bandits“. 14 Jahre später zeigt die Schauspielerin und Sängerin, dass sie auch anders kann. Mit sanfter, einschmeichelnder Stimme präsentiert sie auf ihrer neuen CD „Eine Frau“ elf Lieder in einer Mischung aus Barjazz und Schlager. Es geht darin um Frauenleid und Frauenfreud, von der Vertonung des Tucholsky-Textes „Augen in der Großstadt“ über das Remake von Marlene Dietrich („Ich weiß nicht, zu wem ich gehöre“) bis zu Texten der Schlagerwriterin Edith Jeske. In den vergangenen Jahren ist Tabatabai eher als Schauspielerin hervorgetreten, unter anderem in politisch engagierten Filmen wie „Fremde Haut“. Die 44-jährige Wahlberlinerin ist heute Mutter zweier Töchter und lebt mit dem Vater der zweiten, dem Schauspieler Andreas Pietschmann. Jüngst veröffentlichte die Deutsch-Iranerin ein Buch über die „Rosenjahre“ (Ullstein) ihrer Familie, die zunächst in Teheran lebte und 1979 vor den Mullahs zurück nach Deutschland floh. „Eine Frau“ – heute in Düsseldorf.

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