Kitsch oder Feminismus?

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Als Karen Köhlers Romandebüt „Miroloi“ erschien, schlugen die Wellen hoch. Die einen schrieben, das Buch sei eindrücklich, einzigartig, bewegend; die anderen urteilten, es sei kitschig, plakativ, ein Ärgernis. Die, die das Buch mochten, schrieben es eher auf Instagram, die, die es hassten, eher in den Zeitungen. Die, die es mochten, waren eher Frauen, die, die es hassten, eher Männer. Was war da los?

Es geht um wesentlich mehr als um das ästhetische Urteil; an „Miroloi“ wird verhandelt, was gerade auf dem Buchmarkt im Umbruch ist, und das wiederum hat natürlich viel damit zu  tun, was sich in der gesellschaftlichen Debatte gerade ändert. Es hat mit Feminismus zu tun und mit dem Vorwurf, es würden von den Verlagen – die damit ängstlich ein Leserinnen-Interesse antizipierten – nur noch Bücher zugelassen, die über ein Thema funktionierten. Und das Lieblingsthema der Verlage sei eben dieser Zeit der Feminismus; genauer: die junge Frau mit all ihren Problemen, mit denen sich wunderbar literarisches Agenda-Setting betreiben lasse.

Es entstehe eine affirmative Kultur, in der es nur noch darum gehe, sich gegenseitig auf Insta­gram abzufeiern und in der an die Stelle von ­Literaturkritik irgendwelche BuchhändlerInnen treten, die Preise an fotogene junge Schriftstellerinnen verleihen.

Was ist dran an den Vorwürfen? Steckt in der ungnädigen Rezeption von „Miroloi“ etwa ein Schuss männliche Verunsicherung, weil man das Gefühl hat, man habe keine Chance mehr auf einem Buchmarkt, der junge, queere feministische Frauen will?

Es stimmt. „Miroloi“ ist ein durch und durch feministisches Buch, auf eine altmodische, brachiale, kompromisslose und leicht kitschige Weise. Es erzählt in 128 Kapiteln, so genannten „Strophen“, die Geschichte einer jungen Frau in einer fiktiven patriarchalen Gesellschaft, von der sie sich schrittweise emanzipiert. Köhler schreibt in einer Sprache, die einen naiven, ursprünglichen Weltzugang widerspiegeln soll: Substantivzusammenziehungen wie „Lampenlichtgeflacker“ oder „Glänzedach“.

Die Welt, die Köhler für ihre Protagonistin entwirft, ist auf seltsame Weise reduziert; als habe sie sich überlegt, was die Grundzutaten des Patriarchats sind und daraus einen Roman gebastelt.

Alina, wie sich das namenlose Mädchen irgendwann in einem Akt der Selbstbefreiung nennt, emanzipiert sich auf die denkbar plakativste Weise: Sie lernt, angestiftet von dem Mann, der sie als Säugling gefunden und aufgezogen hat, das Lesen und das Schreiben, das in ihrer Welt Frauen allgemein und ihr im Besonderen eigentlich strengstens verboten ist. Und gegen das Sexverbot wehrt sie sich, indem sie ihre „Knospe“ entdeckt. Schließlich lernt Alina durch Zufall den einzigen Mann kennen, der anders ist als die anderen zumeist plumpen und primitiven Insel-Männer, einen Mann, der sie zärtlich liebt und mit dem sie bei heimlichen Treffen Sex hat.

Doch dieser seltsame Inselstaat taugt einfach nicht als Metapher, für die Art von Sexismus-Auseinandersetzung, wie wir sie gerade führen. Das alles ist so sehr feministisches Malen nach Zahlen, ist so allgemein und unpräzise, dass es als politische Kritik scheitern muss, weil es für wirklich nichts, das uns dieser Tage beschäftigt, steht.

Mich erinnert das Buch an einen Klassiker der feministischen Weltliteratur, an „Kassandra“ von Christa Wolf aus dem Jahr 1983. Wolf gibt darin der Priamos-Tochter und Seherin Kassandra eine Stimme. „Miroloi“ ist, ebenso wie „Kassandra“, als Totenklage angelegt, es sind Texte von einer, die sterben muss, weil sie aufbegehrt hat.

Doch trotz aller Schwächen bleibt das Gefühl, dass dieses Buch deswegen nicht ertragen wird, weil es so feministisch ist wie lange keines.

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Karen Köhler: Miroloi (Hanser, 24€)

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