Künstlerinnen: Die Guerilla Girls
Amerika, Du hast es besser! Wenn auch bestimmt nicht alles zum besten steht, so schlägt dort doch das Gewissen der Kunstwelt. Es wacht über Gut und Böse, über Recht und Unrecht, es kämpft für Gerechtigkeit und prangert Diskriminierung an. Es plakatiert Daten und Fakten. Das Gewissen der Kunstwelt ist: hellwach und anonym, statistisch genau und immer zur Stelle. Es hat sogar ein Postfach in New York. ,,In Europa ist es sogar noch schlimmer", ließ es sich eines Tages vernehmen, schwarz auf weiß.
Und nun war es in Europa, das Gewissen. Genauer gesagt: in der neuen Hauptstadt Berlin, gerufen von den Frauen der Arbeitsgruppe "Realismus-Studio" an der Hochschule für Kunst. Das kam dem New Yorker Weltgewissen gerade recht, um zu zeigen, was Sache ist. Von Oktober bis November machten Berliner Kunst-Lernende und -Lehrende eine Aktion, die sie ,,Im Unterschied" nannten: "Positionen zeitgenössischer Künstlerinnen". Sie veranstalteten in der Hochschule für Bildende Künste Ausstellungen, Vorträge und Workshops und zeigten Werke und Plakate. Dazu luden sie das weibliche "Gewissen der Kunstwelt" ein: in Gestalt von drei Guerrilla Girls. Die drei kamen aus New York nach Berlin, und es wurde, wie immer, ein wahres Happening. Sie traten auf, wie sie seit 1985 immer auftreten: in ebenso spektakulären wie furchterregenden Gorilla-Masken (auf amerikanisch wird "Guerilla" wie "gorilla" ausgesprochen!), sie sprachen mit akustisch verfremdeten Stimmen und ließen sich ein auf ein Frage- und Antwortspiel. Besonders gewitzte Bemerkungen aus dem Publikum wurden mit einer Banane belohnt. Denn für die Guerrilla Girls sind Witz und Humor die wirksamsten Waffen beim Kampf um Platz für Frauen in der Kunst.
"Was wird ihre Sammlung wert sein, wenn Sexismus und Rassismus mal nicht mehr Mode sind?"
Entsprechend enttäuscht reagierten sie auf eine für sie typisch deutsche Humorlosigkeit: Ein Kameramann filmte entgegen der strikten Vereinbarung eines der GGs hinterlistig beim Abnehmen der Maske. In Amerika ist das, bei aller Neugierde, zu sehen, wer hinter der Maske steckt, noch nie passiert!
Doch auch von solchen Affronts lassen sich die Untergrundkämpferinnen nicht erschüttern. Denn schließlich haben sie sich vorgenommen, "den Feminismus wieder fashionable" zu machen. Seit sechs Jahren kleben sie ihre sarkastischen Plakate in Nacht- und Nebel-Aktionen an die Hauswände der New Yorker Kunstdistrikte SoHo und Tribeca - bei Tag landen die dann in den Kunstsammlungen der Fans, sofern es denen gelingt, den Kleister zu lösen. Die Wut der Getroffenen und die klammheimliche Freude heimlicher Mitstreiterinnen sorgen dafür, dass die Plakate nie länger als ein paar Tage lesbar sind: Sie sind über und über mit Pro- und Kontra-Kommentaren bedeckt.
Mit öffentlichen Auftritten allerdings müssen die GGs inzwischen vorsichtig sein, denn man könnte sie erkennen. Wer sie sind? Eine Gruppe - keiner weiß, wie viele wirklich - von Frauen verschiedenen Alters und verschiedener Rassen, unter ihnen bekannte Künstlerinnen und Frauen mit Positionen in der Kunstwelt, aber auch unbekannte. So manche riskiert ihren Job, würde ihr militantes Alter Ego bekannt.
Das kann sich keine leisten, wenn die Rechnung lautet: "Frauen in Amerika verdienen zwei Drittel von dem, was Männer verdienen und nur ein Drittel von dem, was Künstler verdienen". So der Text eines der GG-Plakate, das eine überdimensionale Dollarnote zeigt, deren rechtes Drittel durch eine Trennlinie abgeteilt ist: so wenig bleibt für die Künstlerinnen.
Bekannte Künstlerinnen und unbekannte stecken unter den Gorilla-Masken
Auf Museumsbosse und Galeristen, die Frauen und Farbige nicht ausstellen, war der Kampf der Girls zunächst gerichtet: "Nur vier kommerzielle Galerien in New York zeigen schwarze Frauen. Nur eine zeigt mehr als eine." - "Wie viele Frauen hatten im letzten Jahr Einzelausstellungen in New Yorker Museen? Guggenheim 0 / Metropolitan 0 / Modern 1 / Whitney 0."
Auf einem ihrer bekanntesten Plakate fragen sie, ob Frauen vielleicht nackt sein müssen, um ins Metropolitan Museum zu kommen (siehe oben). Die Abbildung zeigt Ingres',,Große Odaliske" mit Gorilla-Maske, und der statistisch genaue Zusatz zählt sarkastisch auf: "Weniger als 5 % der Künstler in den modernen Abteilungen sind Frauen, aber 85 % der Akte sind weiblich." Ein weiteres Plakat höhnt: "Ein Großteil der in bedeutenden Museen sichtbaren Penisse gehört dem Jesusknaben."
Die Plakate verstehen sich als "öffentliche Bekanntmachung der Guerrilla Girls, Gewissen der Kunstwelt". Die Quellen der Statistiken sind ordentlich vermerkt, dazu die Adresse der Guerrilla Girls: ein Postfach in Manhattan. Manchmal steht noch dabei: "Schicken Sie $ und Kommentare".
Auch die Namen von frauenfeindlichen Galeristen, Kuratoren, Kritikern und Künstlern werden auf den Plakaten der GGs angeprangert. Aber sie lassen sich nicht lumpen, sie veröffentlichen auch eine Hitliste der Frauenfreunde: "Die die Dinge für Künstlerinnen besser machen".
Natürlich wüssten die Opfer gern, wer diese "Girls" sind. Jede könnte dem Geheimbund angehören. Sie könnten wie Motten im Pelz der Kunst-Gesellschaft sitzen: eine Künstlerin hier, eine Sekretärin da, eine Kritikerin in jenem vielgelesenen Blatt: Big Sister is watching you! "Neulich", erzählte eine von ihnen in Berlin, "stand ich neben dem Direktor eines großen Museums, der sagte, ich weiß, wer die Guerrilla Girls sind. Ich sagte nur: Aha... So was macht Spaß!"
Sarkastische Kommentare nicht nur gegen die Kunstwelt, auch gegen die Politik
Doch natürlich hat die Anonymität auch eine andere, weniger lustige Seite. Sie ist auch ein Eingeständnis der Namenlosigkeit von Künstlerinnen in der Kunstwelt, die sich auch mit noch so gewitzter Taktik nicht ins Gegenteil wenden lässt. "Wäre sie eine bekannte Künstlerin, so wäre sie nicht in der Gruppe der Guerrilla Girls", hämte grinsend ein Künstler, der meinen Recherchen mit der Telefonnummer eines GGs weiterhalf.
Den Spieß dennoch und gerade damit umzudrehen, muss den Guerrilla Girls ein höllisches Vergnügen gemacht haben. Sie nutzten die Neugier des auf ihre Aktionen aufmerksam gewordenen New Yorker Publikums und plakatierten "Guerrila Girls' Identities exposed" (GGs entlarvt). Die Namen, die dann folgten, waren aber nicht etwa die der Untergrundkämpferinnen selbst, sondern die von 500 Künstlerinnen, die diskriminiert werden und eigentlich mitkämpfen sollten, finden die GGs.
Um das zunächst schicke Interesse an ihrer Form des Feminismus auch über die Jahre wachzuhalten, müssen sich die Guerrilla Girls immer neue Strategien ausdenken, und ihre Phantasie scheint noch lange nicht erschöpft. Sie beschränkten sich dabei von Anfang an nicht auf die Kunstwelt, sondern geben auch sarkastische Kommentare zur großen Politik ab. Ihr Berliner Kommentar zum Golfkrieg: "It was just like Bush was holding his penis up against Saddam" (Es war, als ob Bush seinen Penis auf Saddam gerichtet hatte), wird wohl nicht seinen Weg auf ein Plakat finden. Doch Rassismus, Armut und Obdachlosigkeit gehören selbstverständlich zu ihren Themen.
Die inzwischen große Popularität der GGs hat sich längst in Artikeln der "New York Times", in "Artforum" oder im ,,Zeit-Magazin" niedergeschlagen. Die provokative Ironie ihrer Äußerungen und die bittere Schärfe ihrer Plakatsentenzen sind durchaus mit den zurzeit hochanerkannten Kunstproduktionen einer Jenny Holzer oder einer Barbara Kruger zu vergleichen.
Staatliche Unter-
stützung für KünstlerInnen? Die gibt es in Amerika nicht.
Kruger war übrigens ebenfalls New Yorker Gast in Berlin. Dabei ging es, laut Initiatorin Ingrid Wagner-Kantuser, "nicht darum, gemeinsame ,weibliche' ästhetische Prozesse und künstlerische Konzepte herauszuarbeiten, da auch bei Frauen stark divergierende Arten des künstlerischen Handelns existieren und auch Themen heute schwerlich auf den ersten Blick als 'feministische' identifiziert werden können, wie dies vielleicht noch vor 15 Jahren in Ansätzen möglich gewesen wäre". Es ging vielmehr darum, zu demonstrieren, wie Frauen trotz Behinderung aktiv in die Vermittlungsprozesse von Kunst eingreifen können.
Die Berliner Organisatorin ist Referentin für Frauenförderung im Stab des ,,Senators für kulturelle Angelegenheiten" und bemüht sich um ein "interdisziplinäres Künstlerinnen Förderprogramm". Sie hofft, 1992 für Arbeitsstipendien und Projekte erstmalig eine Million DM loszueisen. Über solche Art öffentlicher Förderung konnten die Guerrilla Girls nur staunen. Staatliche Unterstützung gibt es in Amerika, dem Land der selfmade-men ohne sozialen Schutz, weder für Künstlerinnen noch für Künstler.
Liegt es daran, dass in der deutschen Kunstszene auf den ersten Blick zurzeit kein Geschlechterkrieg tobt? Zumindest in der Hochburg europäischer Kunst, in Köln und Umgebung, herrscht Ruhe. Auf keiner Großausstellung zählte öffentlich irgendwer Männlein und Weiblein in Töpfchen und Kröpfchen. In den Berichten vom Kölner Kunstmarkt "Art Cologne 91" prangten ungetrübt Erfolgszahlen. Und die nächste "documenta" steht erst noch bevor. Das Bonner Frauenmuseum hat gar sein zehnjähriges Bestehen gefeiert. Und Katharina Schmidt, Bonner Direktorin und Bauherrin eines der schönsten Museen der Republik, erhielt 1990 den Art-Cologne-Preis für ihre geschickte Ankaufs- und Ausstellungstätigkeit.
Doch die Ruhe täuscht. Auch in Europa mangelt es den Frauen in der Kunst nicht an Problemen. Denn weder der Disput um eine Quotenregelung, noch Förderprogramme haben in den letzten Jahren viel an der Statistik ändern können, die da ausweist: Von allen deutschen Studienanfängern in Sachen Kunst sind 70 % weiblich, 40 % schließen ab und 10 % kommen in die großen Ausstellungen und Galerien. Werden also auch hierzulande bald Guerrilla Girls trouble machen? Vielleicht ja auch unter einer ganz anderen Maske?