Lynn: Die Forscherin (Nr. 6)
„Ich engagiere mich auf zwei Arten. Erstens: Ich betreibe Grundlagenforschung. Zweitens: Ich bin Schirmherrin eines Kunstprojektes mit Flüchtlingen.
Erst mal zur Forschung: Als Masterstudentin an der Uni Hamburg in Internationaler Kriminologie habe ich letztes Jahr zwei Monate Feldforschung in Asylbewerberheimen in Schleswig-Holstein betrieben. Um herauszufinden, wie Flüchtlinge diesen neuen Lebensraum, der ihnen zugewiesen wird, wahrnehmen und vor allem: ob und wie sie ihn annehmen.
Lassen die Frauen sich scheiden, drohen Sanktionen bis zur Folter
Ich habe damals Interviews geführt. Ein besonderes Augenmerk hatte ich auf die Frauen. Manche kommen mit ihren Familien. Andere kommen allein oder nur mit ihren Kindern. Sie flüchten vor Krieg, vor Unterdrückung und Gewalt und oft auch: vor ihren Männer. Eine Scheidung ist vielen in ihren Herkunftsländern rein rechtlich verboten und mit enormen Sanktionen bis hin zur Folter verbunden.
Die meisten, mit denen ich gesprochen habe, waren stark traumatisiert. Viele haben schon vorher unter den restriktiven Frauenbildern in ihrer Heimat gelitten. Dazu dann die Gewalt auf der Flucht. Ich hatte Kontakt zu einigen Frauen, die auf der Flucht missbraucht worden sind. Einmal hier angekommen, sprechen die Frauen dann kein Wort Deutsch. Umso schwieriger ist es für sie, therapeutische Hilfe zu bekommen. Obwohl ich das Gefühl hatte, dass die Menschen ein sehr starkes Mitteilungsbedürfnis haben, sobald sie jemandem vertrauen. Nicht zu vergessen: Diese Frauen hatten die Stärke und die Leidenschaft, den ganzen Weg nach Deutschland auf sich zu nehmen. Das wird meiner Meinung nach viel zu selten thematisiert. Wie auch die Sicht der Flüchtlinge selbst.
Ich habe deshalb das Projekt „Lichterhafen Lübeck“ ins Leben gerufen. Unsere Idee: Die Flüchtlinge sollen anhand von Skizzen, Fotos oder auch Videos erzählen, wie sie ihre neue Heimat verstehen. Dazu bieten wir Workshops in Kameraführung oder im Zeichnen an. Außerdem sitze ich gerade an einem Mediatoren-Konzept für die Unterkünfte. Denn natürlich hat das Leben dort großes Konfliktpotential. Nicht nur aus kulturellen oder ideologischen Gründen, sondern aus ganz praktischen: wegen unterschiedlicher Reinlichkeitsansprüche an Küchen und Toiletten zum Beispiel. Ich habe sogar mitbekommen, dass deswegen Duschwände zertrümmert worden sind.
Das Leben in den Unterkünften hat großes Gewalt- und Konfliktpotential
Es gibt ohnehin immer wieder Gewaltausbrüche unter Männern in den Unterkünften. Die Sozialarbeiter sind schon jetzt total überarbeitet, die können das unmöglich alles regeln. Deshalb wollen wir ehrenamtliche Vermittler entsenden.
Aber vorher gehe ich für ein Auslandsemester nach Budapest, um im ungarisch-serbischen Grenzgebiet zu forschen. Dort, wo sie gerade den Zaun errichtet haben, um die Flüchtlingsströme abzuwehren. Ich möchte mir ansehen, wie sich die Fluchtwege durch den Zaun verändern. Und ich möchte konkret wissen, wie Frauen ihre Flucht organisieren. Ziehen sie gemeinsam los? Gibt es Rituale unter diesen Frauen? Wie verändern sich die Rollenerwartungen, wenn sie sich in einer solchen Notsituation befinden? Letztes Jahr war ich in Jordanien als ehrenamtliche Helferin in einem Flüchtlingscamp. Die Begegnungen dort, die haben mich einfach sensibilisiert.“