Mode Goes Feminism

Foto: Miguel Medina/Getty Images
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Das Branchenmagazin Business of Fashion hat es fein säuberlich ausgerechnet: Den 313 Labels, die im vergangenen September in den vier Städten New York, London, Mailand und Paris ihre Kollektionen präsentierten, stehen insgesamt 371 Designer vor. Nur 40 Prozent davon sind weiblich. Darüber, was Frauen tragen, wie Frauen aussehen sollen und damit sehr konkret darüber, welches Frauenbild herrscht, bestimmen also immer noch überwiegend Männer.

Wie weiblich dominiert die Mode ist, zeigt sich an den Prêt-à-porter- und den Haute-Couture-Schauen: Männer sieht man da kaum. Angefangen bei den Models – die als Ausnahme einer weltweit geltenden Gesetzmäßigkeit in ihrem Beruf deutlich besser bezahlt werden als ihre männlichen Kollegen; über die weibliche Prominenz, die wirkungsvoll in der ersten Reihe platziert wird; bis hin zu den Journalistinnen, Stylistinnen und Bloggerinnen: die Protagonisten sind weiblich. Nur am Ende einer Show, wenn die Kre­ativen sich verbeugen und den Applaus entgegennehmen, stehen da bei den ­berühmten Marken vor allem Männer.

Allerdings: Es tut sich was. Die Frauen kommen. Bei Alexander McQueen, Hermès, Lanvin, Dior, Chloé und Givenchy wurden die Kreativ-Posten frei und alle wurden sie mit Frauen besetzt: mit ­Sarah Burton, Nadège Vanhee-Cybulski, Bouchra Jarrar, Maria Grazia Chiuri, Natacha Ramsay-Levi und Clare Waight Keller. Das seit Jahren wichtigste Label der Welt, Céline, wird von einer Frau geführt, von Phoebe Philo, und Miuccia Prada gehört seit jeher zu den ganz Großen. Dass eine Veränderung in der Luft liegt, wurde bei Dior am deutlichsten: Es sei, sagte bei der Ernennung von Maria Grazia Chiuri Sidney Toledano, Geschäftsführer von Dior, Zeit für eine Frau gewesen.

Frauen machen andere Mode als Männer. Männer tendieren dazu, Frauen in Schubladen zu stecken, sie sprechen auch oft von Musen (was keine Designerin tut) und propagieren entsprechend wahlweise Lolita, Madame, sizilianische Witwe oder die Power-Frau. Alles Klischees, die mit der Realität der meisten Frauen nichts zu tun haben und ihnen schon gar nicht gerecht werden. 

Die besten Designerinnen haben eines gemeinsam: Sie machen Mode, die den Frauen dienen soll, nicht umgekehrt. Weshalb sie oft und gerne Elemente der klassischen Männermode einfließen lassen – weil diese sich immer an den ­Bedürfnissen der Träger orientiert, mit ­Innentaschen in Mänteln beispielsweise.

Das knüpft durchaus an eine Tradi­tion an: In den 1930er-Jahren gründeten Coco Chanel, Elsa Schiaparelli, Made­laine Vionnet, Jeanne Paquin, Nina ­Ricci, Jeanne Lanvin eigene Modehäuser und hatten großen Einfluss. Doch dann übernahmen die Männer. In den 80er- und 90er-Jahren wurden sie regelrechte Popstars, die Designer prägten das Label mit ihrem Gesicht: wie Yves Saint Laurent, Karl Lagerfeld oder John Galliano als Chef-Kreativer von Dior.

Frauen, erklärte Donatella Versace kürzlich, seien die besseren Designer, weil sie ihre Kundinnen besser verstünden. Es mag erstaunen, dass ausgerechnet eine Designerin, deren Mode sehr oft sehr laut Sex schreit, eine derart dezidierte Meinung vertritt. Das ist neu.

Ähnlich wie Politikerinnen, die sich ungeachtet ihrer Parteizugehörigkeit oft davor scheuen, frauenspezifische Themen anzusprechen – aus lauter Angst, in die feministische Schublade gesteckt zu werden – äußerten sich Designerinnen bis vor kurzem kaum über die Bedeutung des Geschlechts in ihrem Metier. Sie vermieden es regelrecht, wenn immer möglich. Auch in der Mode befürchteten sie, als „Sonderfall Frau“ wahrgenommen zu werden.

Es ist kein Zufall, dass Tory Burch, die amerikanische Designerin mit eigenem Label, sich jetzt ebenfalls zu Wort meldet. Sie lancierte bereits 2009 die Kampagne „Embrace Ambition“. Die Idee dahinter ist, tüchtige Frauen zu unterstützen und mit Mentorinnen und Geld zu fördern. Seit drei Jahren kooperiert Burch mit der Bank of America, in dieser Zeit sind 25 Millionen Dollar Kredite mit niedrigen Zinsen für über 1.000 von Frauen geführten Unternehmen vergeben worden. Burch hat bis vor kurzem nie darüber gesprochen, aus Sorge, man könnte es für einen billigen Marketing-Trick halten. Jetzt aber sagt sie, sei es an der Zeit, dass Frauen ihr Licht nicht länger unter den Scheffel stellten, sondern genauso selbstbewusst ehrgeizig sein könnten wie Männer.

Selbstverständlich ist das gerade in der Modebranche nicht. Denn die ist trotz der Trends, die sie setzt, nicht etwa ein visionäres Metier, sondern eher reaktionär. Das zeigte sich unter anderem darin, dass die Luxus-Firmen die digitale Revolution fast komplett verschliefen. Da passte es, dass es mit Natalie Massenet eine Frau war, die im Jahr 2000 mit Net-à-porter das erste Online-Portal für Designer-Mode gründete. Sie fand damals kaum Labels, die bereit waren, Ware auf ihrer Seite zu verkaufen, im Gegenteil: Deren Manager belächelten Massenet und erklärten ihr süffisant, so etwas würde niemals funktionieren. Die Herren verkannten nicht nur die Zeichen der Zeit, sondern auch das gewaltige wirtschaftliche Potenzial des Online-Handels; Natalie Massenet jedenfalls verkaufte ihre Net-à-porter-Anteile zehn Jahre später für 61 Millionen Euro an den Luxus­güter-Konzern Richemont und wurde vor kurzem von Konkurrent Farfetch in den Vorstand gerufen.

Auch Tamara Mellon, Gründerin des Schuh-Labels Jimmy Choo, bezeichnete die Branche in den letzten Jahren wiederholt und unverblümt als „frauenfeindlich“. Die Männer in den Teppich­etagen hätten sie schlicht respektlos behandelt. Gerade in Italien und Frankreich gelten die großen Häuser als Macho-Hochburgen, junge Designerinnen berichten in den letzten Monaten immer wieder, wie sie selbst nach Jahren im Job darum kämpfen müssen, gehört zu werden.

Auch Maria Grazia Chiuri von Dior erklärte, sich früher nicht zugetraut zu haben, eines Tages eines der ganz großen Häuser zu führen: „Ich habe oft gesehen, dass Frauen nicht an sich glauben. Sie denken immer noch, es wirke aggressiv, wenn sie pointiert ihre Meinung vertreten und dass sie lieb und brav sein sollten. Aber gerade als Frau muss man unbedingt sagen, was man denkt.“

Chiuri setzte in ihrer ersten Kollek­tion für Dior gleich ein deutliches Zeichen und ließ, noch bevor die Mode nach der Wahl von Donald Trump den Feminismus entdeckt hatte, T-Shirts mit einem Zitat der Autorin Chimamanda Ngozi Adichie bedrucken: „We Should All Be Feminists“. Und sie nahm das selbst wörtlich: Sie beauftragte für die Dior-Kampagne nur Frauen, nämlich die Fotografinnen Brigitte Lacombe, Sarah Moon und Lea Colombo.

Wie sehr der Schuss nach hinten losgehen kann, wenn man den Zeitgeist ignoriert, musste ausgerechnet das Haus Saint Laurent schmerzlich erfahren. Die neue Kampagne sorgte Anfang März für so viel wütenden Protest, dass die französische Werbe-Aufsicht einschritt und das Label aufforderte, das Sujet zu entschärfen. Zu sehen war ein Model in Netzstrümpfen und Discorollern, das mit gespreizten Beinen am Boden liegt. Empörend war nicht nur das Bild an sich. Empörend war auch die vollkommene Abwesenheit eines Gespürs dafür, was momentan in der Luft liegt. Gerade für Saint Laurent, dessen Aufgabe es als Modehaus traditionell ist, den Zeitgeist zu erkennen oder ihm im Idealfall gar voraus zu sein, war das Foto deshalb so peinlich, weil es vollkommen gestrig wirkte.

Gründer Yves Saint Laurent hatte ganz im Gegenteil die Frauen befreien wollen, weshalb er für sie bereits in den 60ern den Smoking entwarf und in den 70ern selber für sein Parfum „Y“ nackt posierte. Yves Saint Laurents langjähriger Lebens- und Geschäftspartner Pierre Bergé, mittlerweile 86 und immer noch eine feste Größe in Frankreichs politisch-kulturellem Leben, bekennt sich als überzeugter Feminist und verurteilte scharf die Anbiederung von Designern wie Dolce & Gabbana, die mit so genannter „modest fashion“, also anständiger Mode, den arabischen Raum bedienen. Während alle anderen schwiegen, sagte Bergé: „Designer sollten nichts mit islamischer Mode zu tun haben. Sie sollen die Frauen schöner machen, sie befreien, und nicht mit Diktatoren kollaborieren, die die Frauen verstecken oder unsichtbar machen wollen.“

Von den Mode-Bloggerinnen, die jetzt Influencerinnen heißen und hunderttausende oder Millionen von Followern haben, war über die modische Verschleierung nichts zu hören. Weder von Camille Charrière oder Pernille Teisbaek (beide 500.000 Follower) noch von Chiara Ferragni (knapp acht Millionen Follower).

Der Einfluss der Modebloggerinnen beschränkt sich mittlerweile darauf, wandelnde Litfaßsäulen zu sein. Sie schreiben nicht mehr länger Artikel, sie posten nur noch auf Instagram – mit Ausnahme von Leandra Medine von Man Repeller (1,6 Millionen Follower) oder Garance Doré (knapp 700.000 Follower), die allerdings zunehmend in eine weiblich klischierte Lebenshilfe-Welt abdriftet.

Sie posten sich selbst in einer Jeans der Marke X, sich selbst mit einer Tasche der Marke Y, sich selbst in Schuhen der Marke Z. Dafür lassen sie sich fürstlich bezahlen, mit 2.000 bis 5.000 Euro pro Post, in Einzelfällen bis zu 30.000 Euro, was sie jedoch nicht kenntlich machen. Die Branche hatte angesichts dieser neuen PR-Möglichkeiten Dollarzeichen in den Augen, verständlicherweise. Zum Vergleich: Das Schalten einer einzigen ganzen Werbeseite bei der US-Vogue kostet 325.000 Dollar. Da ist die Rechnung schnell gemacht.

Und so tun Influencerinnen das, was sie halt tun, weil sie dafür bezahlt werden: Sie jubeln. Sie bejubelten Gigi Hadid, Model mit unvorstellbaren 30 Millionen Followern. Anfang Februar trug sie bei Tommy Hilfiger noch das Solidaritätsbändchen für Toleranz und Offenheit, und kurz darauf blickte sie auf dem Titelblatt der neu lancierten Vogue Arabia mit kajalgeschwärzten Augen hinter einem reich bestickten Schleier hervor und sah aus wie ein Klischee von 1001-Nacht.

Die Meinungsmacherinnen jubelten, als bei Missoni an der Präsentation der Herbst/Winter-Kollektion für 2017/2018 eine ganze Model-Armada mit pinkfarbenen Pussyhats über den Laufsteg schritt.

Doch am lautesten war der Jubel, als Max Mara und Alberta Ferretti Halima Aden über den Laufsteg schickte: das erste Kopftuch tragende Model, das von der Agentur IMG unter Vertrag genommen worden war. „Diversität“ schrien alle kollektiv verzückt. Und sie fanden auch das Feminismus-T-Shirt von Maria Grazia Chiuri ganz toll.

Es geht eben auch und vor allem um Geld in der Modebranche, nicht um Haltung. Doch wenn die Mode relevant bleiben will, braucht sie mehr als hunderttausendfach geteilte schöne Bilder, sie braucht Inhalt. Denn die Mode war noch nie abgekoppelt von dem, was auf der Welt passiert. Dass jetzt so viele Frauen wie schon lange nicht mehr das Sagen haben, könnte einen Richtungswechsel bedeuten. Es wäre an der Zeit. 

Annette Hülsenbeck (Hg.): Die Kleider meines Lebens – Erzählungen von Margaret Atwood bis Virginia Woolf (ebersbach & simon)

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