MuslimInnen gegen Scharia-Gerichte
Sie waren alle in der Downing Street Nr. 10 aufmarschiert: die „British Muslims for Secular Democracy“, die „Iranian and Kurdish Women’s Right Organisation“ oder die „Southall Black Sisters“, die für die Rechte von asiatischen und karibischstämmigen Frauen kämpfen. „Ein säkulares Gesetz für alle!“ stand auf ihren Plakaten und „Hört auf, die Diskriminierung von Frauen zu billigen!“ Sie alle eint eine Sorge: Zunehmend ersetzen in Großbritannien in muslimischen Communitys sogenannte „Scharia-Gerichte“ die staatliche Rechtsprechung – und das mit Billigung des Staates. Immer öfter fällen Imame oder andere muslimische Autoritäten Urteile in Scheidungs-, Erb- und anderen Fällen, die eigentlich vor ein Familiengericht gehören.
Fundamentalisten füllen jetzt das soziale Vakuum
Jetzt überreichten die Organisationen Premierminister David Cameron einen Offenen Brief, den 400 Initiativen und – größtenteils muslimische – Einzelpersonen unterzeichnet haben. „Frauenrechts- und säkulare Initiativen mahnen die neue Regierung, konzertierte Maßnahmen einzuleiten, um die Entwicklung eines parallelen Rechtssystems zu stoppen“, schreiben sie. Denn: „Die ‚Scharia-Gerichte’ wurden stets als Recht auf Religionsfreiheit angepriesen, in Wahrheit sind sie aber ein sehr effizientes Werkzeug der rechten Islamisten, deren Hauptziel es ist, Menschen Rechte zu verweigern – besonders Frauen und Kindern.“
Dass die UnterzeichnerInnen, die das Problem „seit Jahren zunehmend alarmiert“ beobachten, ihren gemeinsamen Aufruf ausgerechnet jetzt starten, hat zwei Gründe. Erstens kann Premier Cameron seit den Unterhauswahlen im Mai 2015 mit seinen konservativen Tories mit absoluter Mehrheit regieren, könnte die „Scharia-Gerichte“ also vergleichsweise leicht wieder abschaffen. Zweitens hat sich die Lage durch die massiven Kürzungen der Regierung im sozialen Bereich verschärft. Weil auch Leistungen wie Prozesskostenhilfe oder die Stellung eines Rechtsbeistands „drakonisch zusammengekürzt“ wurden, sei gerade Frauen der Zugang zu den Gerichten erschwert. Die Folge: „Immer öfter füllen religiöse Fundamentalisten das Vakuum.“
Deshalb fordern die UnterzeichnerInnen vom Premierminister: „1. Führen Sie die Rechtshilfe in allen Bereichen des Zivil- und Strafrechts wieder ein, damit der gleiche Zugang aller zur Justiz gewährleistet ist. 2. Erkennen Sie an, dass ‚Scharia-Gerichte’ und andere religiöse Gerichtsbarkeiten eine willkürliche und verantwortungslose Form von ‚Justiz’ darstellen, die besonders Frauen und Kindern diskriminiert. Bürger- und Menschenrechte sind nicht verhandelbar. 3. Schaffen Sie die ‚Scharia-Gerichte’ und andere religiöse Schiedsgerichte ab, denn sie unterminieren das Prinzip der Gleichheit und der universellen Menschenrechte, die für alle BürgerInnen gelten.“
Haben Musliminnen nicht die gleichen Rechte?
Dem Vorwurf, ein Angriff auf die „Scharia-Gerichte“ sei islamfeindlich, entgegnet Maryam Namazie von der Initiative „One Law for All“: „Religiöse Gerichte abzuschaffen stellt nicht das Recht auf Religionsausübung in Frage. Aber wenn wir diesen Gerichten erlauben, Recht zu sprechen, dann bringen wir damit zum Ausdruck, dass muslimische oder jüdische Frauen in diesem Land nicht die gleichen Rechte haben wie andere. Das ist nicht akzeptabel!“
Übrigens: In Deutschland ziehen Gerichte oder Behörden bisweilen die Scharia heran. So zog zum Beispiel das Amtsgericht Siegburg im Falle eines iranischen Ehepaars, das seit neun Jahren in Deutschland lebte, einen Mullah heran, da die Frau die Scheidung eingereicht hatte, nach iranischem Recht aber nur der Mann die Scheidung aussprechen darf. In einem anderen Fall verlangte das Wuppertaler Standesamt von einer 32-jährigen Iranerin, dass sie für ihre Hochzeit die Erlaubnis ihres Vaters beibringen müsse. Auch hierzulande besteht also Handlungsbedarf.