New York: Die Hackerin
Rund 4.800 Kilometer vom Silicon Valley entfernt, in Manhattan unweit der Lower East Side, sitzt die bitforms gallery, das künstlerische Zuhause von Addie Wagenknecht. In Innsbruck hat die 34-Jährige ihren zweiten Wohnsitz. Im Internet ihren dritten. Addie Wagenknecht hat außerdem ein internationales Kollektiv aus Hackerinnen, Forscherinnen und Künstlerinnen initiiert. Das „Deep Lab“. Fernziel: mehr Vielfalt in der Tech-Kultur. Ihre Themen sind: Überwachung, Kunst, Feminismus und, klar: Hacken – im technischen wie sozialen Sinne. Addie, selbst Mutter von drei Kindern, hat den Müttermythos gehackt. Zu ihren bekanntesten Arbeiten zählt die „Optimization of Parenthood“, ein Roboterarm, der eine Kinderwiege anschiebt. Auch Addies Interesse für die Überwachungskultur kommt nicht von ungefähr. Fremde Männer, die ihr auf der Straße hinterher pfeifen. Oder: fremde Männer, die ohne Ankündigung in ihrem Atelier auftauchen. Die neue Überwachung via Internet folgt im Grunde genau dieser alten patriarchalen Logik, sagt sie.
Addie, wie kam es zur Gründung von Deep Lab?
Ich habe damals von einem befreundeten Professor in New York das Angebot bekommen, mit ihm gemeinsam etwas zum Thema Überwachung zu machen, er hatte ein Budget. Da war ich gerade in Paris bei einem Graffiti-Projekt. Wie immer der gleiche Bro-Club: nur weiße Männer – und ich. Und da dachte ich: Warum verwende ich nicht das Geld und bringe die brillantesten Frauen zusammen. Ich wollte einen Girls-Club!
Mit welchem Ziel?
In Amerika gibt es eine starke Kriminalisierung von Hackern. Aber wir brechen ja nicht in Banken ein, sondern wollen Positives schaffen, Menschen das Gefühl geben, dass sie selbst smart genug sind, sich vor Überwachung zu schützen zum Beispiel. Vor allem Frauen müssen das begreifen. Viele denken: Ich weiß nicht, wie ich mit der Skriptsprache PHP eine Webseite programmiere; und ich weiß nicht, wie ich meine Daten verschlüssele. Und ich antworte: Ich kann dir das innerhalb von zehn Minuten erklären. Bei Typen ist es ja oft so, dass sie das für dich erledigen – aber sie erklären es nicht.
Worum geht es noch?
Um Vielfalt. Nur wenn mehr Frauen, mehr Homo-, Bi- und Transsexuelle, mehr Schwarze und überhaupt Menschen aus unterschiedlichen Ländern Teil der Tech-Community werden, können wir dieser Filter-Bubble entkommen, in der alles von weißen Männern bestimmt wird. Das ist die einzige Perspektive, die wir bisher im Bereich Software- und Hardware-Entwicklung haben. Und: Nur durch Vielfalt können wir mitbestimmen, wie unsere Daten gesammelt werden und warum. Typisch, dass genau dieser Bereich von Männern besetzt wird. Und so ist die kaputte Kultur entstanden, die wir jetzt haben.
Das Porträt ist in dem Dossier "World Wide Women!" über Frauen und Technologie in der November/Dezember EMMA erschienen. Zur Dossier-Übersicht